Der besondere Brief - Das besondere Poststück

  • Liebe Freunde,

    der folgende Brief sieht wie ein ganz Normaler aus, wenn man übersähe, was da links unten von der Hand des Absenders mal notiert worden war: "Mit 1 großen Schleifstein frey".

    Der Absender in Röthenbach im Allgäu wollte am 12.5.1858 der Firma Gerhauser in Kaufbeuren einen großen Schleifstein schicken und hierfür diesen Brief als Begleitbrief oder Begleitadresse fungieren lassen, hat es sich dann aber anders überlegt.

    Dafür hatte er (nicht die Post!) diesen unzulässigen Vermerk (die Briefpost übernahm keine Briefe mit großen Schleifsteinen) zu streichen und, da frey schon mal notiert worden war, auch den Brief zu frankieren, hier bis 1 Loth inkl. bis 12 Meilen mit 3 Kreuzern, was er auch tat.

    Am Folgetag kam der Brief an - wann der große Schleifstein bei Gerhauser angekommen ist, werden wir wohl nie heraus finden.

  • Liebe Freunde,

    meine nicht enden wollende Liebe zu Bayerns mit Abstand unattraktivster Marke, der Porto Nr. 1, war es, die mich dieses leere Briefchen kaufen ließ:

    Absenderbehörde war das bischöfliche Dekanate Bayermünching am 18.6.1869, welches zum Postort Mering gehörte, an den Herrn Pfarrvikar Wiedeman in Meringerzell, Filiale von Mering. Es fiel in die Rubrik "Österlicher Seelenbeschrieb betreffend" und war mit der Expedition-Nr. 131 und dem Zusatz (Franchise) R.S. für Regierungs - Sache versehen aufgegeben worden.

    Der Brief zeigte (mittlerweile leider ausgeschnitten) ein Dienstsiegel, die Angabe der Absenderbehörde oben vorn, die Expeditions-Nr. und die Franchise R.S. - und wurde trotzdem mit Porto belastet, blau in Mering taxiert und, weil im eigenen Zustellbezirk verbleibend, mit einer Portomarke versehen (Attest Brettl vom 4.11.2004 liegt hier vor - alles echt und authentisch).

    Doch damit nicht genug, wie uns das Attest zeigt: Die Marke war zuvor bereits auf einem anderen Brief verwendet worden und wurde hier als Postbetrug erneut verwendet!

    Schon das Recyclen einer Portomarke ist eine Rarität und nur in ganz wenigen Fällen (max. 5) bekannt - aber die Verwendung auf einem portofreien Lokalbrief ist noch seltener und wenn man beide Varianten auf einem Stück zeigen kann, ist man ein glücklicher Sammler.

  • Lieber Ralph,

    diese Glücksgefühle kann ich nachvollziehen. Ich freue mich für Dich.

    Liebe Grüße von maunzerle

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Liebe Freunde,

    vielen Dank für eure lieben Kommentare. Der passt in folgende Sammlungen:

    1. Contra - Sammlung Markenzeit.

    2. Portomarken der Kreuzerzeit - Verwendungen und Besonderheiten.

    3. Besonderheiten bei Dienstbriefen.

    Ich werde wohl bald 2 Kopien machen müssen ... :)

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo Ralph

    Doch damit nicht genug, wie uns das Attest zeigt: Die Marke war zuvor bereits auf einem anderen Brief verwendet worden und wurde hier als Postbetrug erneut verwendet!

    Da stelle ich mir jetzt allerdings doch irgendwie die Frage, wie hier betrogen werden konnte. Der Absender scheidet dafür aus, da er Portomarken nicht beziehen konnte. Darüber verfügte nur die Post. Ergo kommt nur Postbediensteter dafür in Betracht. Abgesehen davon, wie ein solcher dann an eine recyclebare Portomarke gelangt sein soll:

    Die 3 Kr Porto mussten ja erst einmal vom Empfänger eingenommen werden. Steckte ein Postler die dann für sich ein, was sonst sollte das Ziel eines Betrugs sein, dann hat er doch im Vergleich zum Aufbrauch der seinem Amt zugewiesenen Anzahl von Portomarken ein Minus von 3 Kr in seiner Kasse, auch wenn er eine Portomarke wiederverwendet. Solche hatten ja keinen Nominalwert wie Freimarken.

    Oder wie sollte das kaschierbar gewesen sein ? Ich steh`da evtl. gerade mal wieder auf dem Schlauch.

    Viele Grüße

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • ...aaah Denkfehler: Die 3 Kr Porto werden bei der ersten Verwendung ordnungsgemäß kassiert, für die wiederverwendte Portomarke wird nochmal 3 Kr Porto an der Postkasse vorbei kassiert, aber die Anzahl der dem Amt zugewiesenen Portomarken hat sich nicht weiter reduziert. Das der Post real entstandene Minus ist somit nicht nachvollziehbar.

    uff

    + Gruß

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    2 Mal editiert, zuletzt von Pälzer (24. Mai 2020 um 15:16)

  • Liebe Freunde,

    so ist es. Machen wir es erklärbarer mit einem Beispiel:

    Die Post hat 10 Portomarken a 3x = 30x.

    Man gibt einen Portobrief in den Lokalbzirk auf. Die Post klebt eine 3x Portomarke auf, gibt den Brief dem Empfänger und kassiert dafür das Porto.

    Jetzt rechnet man ab: Man hat noch 9 Portomarken im Wert von 27x und 3x Bargeld vom Empfänger = 30x, die Kasse stimmt.

    Wie auch immer kommt man jetzt an einen Brief mit dieser Portomarke, die man nicht entwertet hatte und nimmt die Marke ab. Jetzt braucht man nur zu warten, bis der nächste Portobrief aufgegeben wird - man appliziert die Marke, stempelt sie perfekt ab, wie bei meinem Brief und gibt sie dem Ruralboten zur Zustellung mit. Dieser gibt den Brief ab, kassiert 3x, die er später seinem Expeditor abzugeben hat und der steckt sich das Geld in die eigene Tasche.

    Fazit: An obiger Amtsrechnung ändert sich nichts, der Expeditor hat 3x "verdient", die eigentlich der bayer. Post zugestanden hätten, da sowohl der Expeditor, als auch der Landbote (Ruralbote) vom Staat bezahlt wurden - allerdings nicht dafür ...

    In meinem Fall wurde ja noch der Empfänger betrogen, der die R.S. hätte gar nicht bezahlen müssen - aber man hat ihm dennoch 3x abgeknöpft.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo zusammen,

    in Ergänzung zum Beitrag #137 , der zwar schon etwas länger her ist, zeige ich einen Brief aus der gleichen Korrespondenz mit gleichen Merkmalen.

    Es handelt sich um einen Drucksache an den Herrn Kniewitz, frankiert mit Nr. 14 vom 24.04.1869 mit Briefen Hannetetter...vermerkt Hier, somit ein Ortsbrief.

    Ich denke, dass die beigefügten Briefe eingelegt wurden, da auch dieser Brief nicht verschlossen ist/war.

    Auch in diesem Ortsbrief wird eine Verlobung angezeigt, welche ebenfalls (siehe #137) zwei Tage alt ist.

    "Pauline Brans und Jobs Abrell Verlobte. (Ulm, Kempten) Augsburg, 22.April 1869."

    Viele Grüße,

    Christoph

  • Hallo Christoph,

    wenn du das gute Stück mal nicht mehr brauchst, wäre ich ein geeigneter Abnehmer, weil ich eine Sammlung "Briefe mit Briefen" habe, der solch ein Schmankerl gut zu Gesicht stünde ... :thumbup:

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    eine bunte Chronologie der Ereignisse erfreut uns mit diesem Rosinchen:

    Das II. Curatbenefizium in Wallenstetten (man fragt sich, wo das I. hin ist) sandte am 3.11.1874 einen einfachen Brief an das hochwürdigste bischöfliche Ordinariat Augsburg.

    Ein Amtsbote überbrachte den Brief in das nahe Senden, wo er am selben Tag aufgegeben und mit 7 Kreuzern als Fernbrief aufgegeben wurde. Über Neu-Ulm noch am selben Tag ging er ab.

    Am Folgetag traf er in Augsburg II ein und übergab ihn zur Bestellung dem Stadtbriefträger Nr. 3, jedoch war das Ordinariat als vorgesetzte Stelle mit den gewünschten 7 Kreuzern nicht zufrieden. Siegelseitig notierte man: Wird gegen Porto nicht angenommen. Augsburg den 4. Novermber 1874 Dr. Gratz. Das war völlig korrekt, denn obere Behörden hatten keine mit Porto belasteten Briefe nachrangiger Behörden zu bezahlen.

    Die Verweigerung der Zahlung eines Portos entsprach gleich der Verweigerung der Annahme, so dass der Brief, noch immer mit 7 Kreuzern belastet, der Aufgabepost zu remittieren war. Augsburg notierte daher richtig vorne: Retour - verte (Zurück, hinten schauen).

    Er lief folglich wieder über Neu-Ulm retour (kein Stempel) und traf in Senden ein (auch ohne Stempel). Dort dauerte es bis zum 10.11.1874, ehe man sich entschließen konnte, a) zuerst die auf dem Brief lastenden 7 Kreuzer und b) 3 weitere Kreuzer für die Frankatur aufzubringen. Vermutlich musste der halbe Vorstand dort dieses kostspielige Unterfangen erst einmal absegnen.

    Nun ging es frankiert auf die Reise, so dass die blaue 7 und der Retour - verte - Vermerk vorn und hinten mit Rötel abgestrichen wurden. Noch am selben Tag passierte der Brief wieder Neu-Ulm und traf dieses Mal sogar noch am selben Tag in Augsburg II ein. Nun bekam ihn der Stadtbriefträger mit der Nr. 3 zum Austragen - er kannte ihn ja schon von einer Woche zuvor und hat seinen Job sicher erstklassig erledigt.

    Es sind solche kleinen Vortragsstücke, die einem Sammler das Leben lebenswerter gestalten, gerade in Zeiten wie diesen ...

  • Lieber Ralph,

    ein Kuratbenefizium stellt kein größeres Amt mit eigenem Boten dar, sondern besteht aus einem einzelnen Priester, zum Beispiel in einer Schlosskapelle, einer Wallfahrtskapelle oder einem ähnlich exponierten Ort. Der Priester liest Messen, die ihm durch eine Messstiftung auferlegt sind und ist in der aktiven Seelsorge tätig (im Gegensatz zu einer sogenannten Sinekure). Den Weg zur Post hat der Kuratbenefiziat sehr wahrscheinlich selbst per pedes apostolorum angetreten.

    Ich dachte mir doch, dass dieser Brief einen Liebhaber in diesem Forum finden würde!

    Viele Grüße aus Erding!

    Achter Kontich wonen er ook mensen!

  • Liebe Freunde,

    vielen Dank für eure lehrreichen Kommentare und passenden Links - Wullenstetten/Wallenstetten - die Schreibweise hat sich wohl auch geändert.

    Ja, solche Stücke kaufe ich gerne, kann ich mich doch damit beschäftigen und, wie man sieht, nicht nur mich allein. :)

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Lieber Franz,

    die passen wie die Faust aufs Auge. Wundervolle Briefe. :thumbup::thumbup:

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.