Hallo und eine Frage

  • Hallo aus Großbritannien! Ich lese/übersetze deutsche Briefe aus den Jahren 1855-58.

    Ich habe eine ganz besondere Frage über die Frankierung von Briefen aus Göttingen (Hannover) nach der Schweiz (Montreux).

    Eine Frau schreibt an ihren Mann, sowohl unfrankiert als frankiert. Manchmal bittet der Mann, dass sie einen unfrankierten Brief schickt - es scheint, dass er eine Nachricht dringend erwartet, und meint, der Brief wird so schneller ankommen. Könnte das aber sein? Und warum?

    Vielen Dank für irgendeine Hilfe.

    :)

  • Hallo Judith,

    schön, jemanden aus dem UK hier zu haben. Prinzipiell ist es immer besser, die Briefe von vorn und hinten zu sehen (auch gerne von innen), aber deine Frage ist nicht schwer zu beantworten.

    Briefe von Altdeutschland, hier: Hannover, in die Schweiz konnten unfrankiert und frankiert verschickt werden. Die Kosten waren gleich, die Leitwege waren gleich und die Laufzeit der Briefe war gleich.

    Die Aufgabepost hat alle Briefe von Göttingen in die Schweiz in einen Postsack gesteckt und über die schnellste Route via Frankfurt am Main und Baden bis Basel geleitet.

    Bei der Ankunft in Basel ist die Schweizer Post auch so vorgegangen und hat keine schnellen und langsameren Briefe aus ihnen gemacht.

    Die innerpostalische Bearbeitungszeit für unfrankierte Briefe dauerte länger, als bei frankierten Briefen, aber das hatte in der Praxis keinen Einfluß auf die Auslieferung in Montreux.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo Judith,

    es stimmt, was Ralph schreibt. Mitte der 1850er Jahre war es der Post egal, ob frankiert oder unfrankiert verschickt wurde: Man bekam das Geld, das man haben wollte. Der Schnelligkeit des Transportes wurde damals alles untergeordnet und gerade um 1855 nahm mancher Brief daher weite Umwege, weil das Eisenbahnnetz noch etliche Lücken aufwies.

    Übersetzt du nur vom Deutschen ins Englische oder auch umgekehrt?

    Falls du Belege zeigen möchtest, bitte im entsprechenden Thema.

    viele Grüße

    Dieter

  • Vielen Dank für die schnellen und hilfreichen Antworten!

    Ich habe noch eine Frage über die Antwort von Bayern klassisch. Der Brief der Frau beginnt: „Laut Ordre schreibe ich heute unfrankiert, dass Ernst [der Sohn] nicht nur examiniert ist, sondern ein glänzendes Examen gemacht hat.“ Ich habe den entsprechenden Brief des Mannes nicht, aber aus diesen Worten hatte ich ermittelt/angenommen, daß ein unfrankierter Brief vielleicht schneller wäre, denn der Mann wohl sehr begierig über das Ergebnis des Examens war.

    Ich weiß nicht, wie die Briefe in der Schweiz geliefert wurden, aber könnte ein Unterschied darin (nicht im Postsystem selbst) bestehen? ZB, wenn ein frankierter Brief vom Empfänger selbst geholt werden mußte, könnte der Mann jeden Morgen/Abend den Postamt besuchen, um den Brief möglichst schnell zu bekommen (zumal daß er in einem Hotel bzw. einer Pension wohnte)?

    Vielen Dank

  • Hallo Judith,

    wenn man aus Göttingen frankiert nach Montreux schrieb, kam der Brief dort an und wurde ausgetragen. In der damaligen Zeit bedeutete dies, dass er unter der Haustür durchgeschoben wurde, wenn der Empfänger ein Hausbesitzer war, dass man ihm den Brief unter die Wohnungstür durchgeschoben hätte, wenn er eine Wohnung hatte, oder wenn er nur ein Hotelgast war, dann nahm das Hotel = der Empfangschef die Post für die Hotelgäste an und damit galt der Brief als dem Empfänger ausgeliefert.

    Bei einem unfrankierten Brief konnte die Abgabe nur nach Zahlung des Portos erfolgen. Bei einem Haus- bzw. Wohnungsbesitzer musste der Postbote also anklopfen, den Brief zeigen und den Betrag kassieren, ehe er den Brief aus der Hand geben durfte.

    Bei einem Hotel war das egal - das Hotel legte in der Regel das Porto für den Gast aus und wenn der Gast im Laufe des Tages ins Hotel zurück kam, hatte er das Porto beim Empfang zu bezahlen, ehe man den Brief an ihn aushändigte.

    Wäre niemand im Haus, oder der Wohnung anwesend gewesen, wenn ein mit Porto belasteter Brief eingetroffen wäre, hätte man ihn einer Person aus dem Umfeld übergeben, die bereit war, das Porto zu entrichten. Das war in der Regel ein anderer Hausbesitzer, ein gut bekannter Nachbar, ein Verwandter oder ein Freund in der Nähe.

    Sollte sich wider Erwarten niemand finden, der das Porto für den Empfänger augelegt hätte, hätte der Postbote angefragt, wann und wo der Empfänger anzutreffen wäre und versucht, ihn dort zuzustellen.

    Hätte auch das nichts genutzt, hätte man ihn auf der Post liegen lassen und den Empfänger verständigt, dass ein mit Porto belasteter Brief bei der Post ein paar Tage lang zur Abholung bereit liegt.

    Wäre er dann immer noch nicht abgeholt worden, warum auch immer, hätte man den Brief der Absenderin zurück geschickt mit dem Vermerk: "Nicht zustellbar/nicht abgeholt/Adressat nicht erreichbar" oder so ähnlich.

    Dann wären die Portoanteile zurück gerechnet worden und die Absenderin hätte alles bezahlen müssen, weil jeder Absender juristisch und finanziell für seinen Brief verantwortlich war. Fazit: Viel Arbeit, hohe Kosten, keine Informationen für den Empfänger - eine glatte Katastrophe also.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Nochmals vielen Dank für die schnelle Antwort. Es scheint also unerklärlich, warum der Mann das verlangt hatte!

    Nebenbei habe ich Ihren Beitrag aus 2011 über Teilfrankobriefe sehr hilfreich gefunden. In 1855 hatte der Mann die Frau streng verboten, eine deutsche Briefmarke auf einem Brief nach der Schweiz zu benutzen, denn man mußte trotzdem das ganze Porto bezahlen. Alles wurde klar, wenn ich Ihren Beitrag auf diesem Forum gestern gefunden habe! :)

  • Hallo Judith,

    der Postvertrag vom 1.10.1852 der deutschen Staaten (Baden, Bayern, Thurn und Taxis, Württemberg, Österreich am 1.11.1852) sagte aus, dass im Falle des Wunsches des Absenders nach Frankierung beide Teile (den Deutschen und den Schweizerischen) der Frankatur entrichtet werden mussten.

    Der Absender klebte also z. B. 3 Silbergroschen für den deutschen Teil (über 20 Meilen von der Aufgabepost bis zum Grenztaxpunkt der Schweiz) und 2 Silbergroschen = 20 Rappen ab dort bis nach Montreux.

    Verklebte der Absender nun aber statt 5 Silbergroschen = Gesamtgebühr nur 4 Silbergroschen, war der Brief unterfrankiert. Bei unterfrankierten Briefen wurde der Wert der Briefmarken NICHT angerechnet, sondern dieser Wert war verfallen. In diesem Fall musste der Empfänger den Gesamtbetrag von 5 Silbergroschen = 50 Rappen bezahlen.

    Das war natürlich ärgerlich. Erst zum 1.7.1856 wurde diese retardierende Maßnahme aufgehoben und ab diesem Tag wurde auch bei unterfrankierten Briefen der Wert der aufgeklebten Briefmarken auf das Gesamtporto angerechnet.

    In meinem Beispiel würde man bei einem mit nur 4 Silbergroschen frankierten Brief nach Montreux nur einen Groschen = 10 Rappen vom Empfänger nacherhoben haben.

    Das war ein gewichtiges Argument, wenn die Gebührenhöhe nicht bekannt war.

    Im Allgemeinen galt aber, dass man lieber unfrankierte Briefe abschickte ins Ausland, weil man die Zustellung von Briefen als sicherer erachtete, wenn die Post ihre Gebühr erst noch erheben musste, anstatt sie von vorn herein bereits bekommen zu haben (über die Briefmarken). Dies änderte sich erst international in den 1860er Jahren sukzessive.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo Judith,

    ich habe keine Ahnung, wie in der Schweiz verfahren wurde, wenn ein Brief unfrankiert in einem Hotel eintraf. Wenn der Gast im Hotel gut bekannt war, wurde der Betrag vermutlich ausgelegt, andernfalls mußte der Empfänger zur Post um den unfreien Brief zu erhalten.

    Es wäre schön, wenn du Vorder- und Rückseite zeigen könntest.

    Den Admins schlage ich vor, die Diskussion in Thema Hannover - Schweiz zu verschieben.

    viele Grüße

    Dieter

  • Ich vermute mal, der Grund für die Bitte Ehemanns war ein anderer: er wollte seiner Frau einfach die Geldauslage ersparen, weil ihr dadurch ihr Geldvorhaben länger ausreichte. Denn Bargeld-Automaten gab es damals noch nicht, und Geld leihen war vermutlich auch nicht so ganz einfach. Und Geld aus der Schweiz nach Göttingen zu schicken hätte extra gekostet.

  • Das Argument, dass der Mann der Ehefrau die Groschen ueberlassen wollte ist gut, ich koennte mir auch vorstellen (auch wenn weniger starkes Argument), dass den Brief in den Briefkasten werfen schneller war wenn man keine Biefmarken parat hatte und somit nicht zum Schalter musste. Auch kann sein dass die gute Frau sich schon in einem vorgehenden Brief geirrt und zuwenig Porto drauf geklebt hatte...

    Nette Geschichten ...

    Eine kleine Vignette von ca 1875 aus der illustrierten Welt ... rosa war der Umschlag aber wohl nicht mehr - man war ja schon verheiratet ;)

    Einmal editiert, zuletzt von Admin-S (7. Oktober 2023 um 15:21)