Abstempelungen von 1 Kreuzer-Frankaturen während der Mühlradzeit

  • Lieber maunzerle,

    eine wunderschöne Seite von dir - eigentlich könnte ich mir die Verwendung jeglicher Adjektive ersparen, weil ja all deine Seiten ausnahmslos wunderschön sind, aber ich möchte dennoch gerne darauf hinweisen, weil es einfach nicht so leicht ist, derartige Qualitäten in dieser Fülle und Vielfalt zusammen zu tragen.

    Da ich ja nicht unbedingt im Verdacht stehe, mental ausgetretene Pfade zu vertiefen, denke ich mal laut vor mich hin:

    Bei Ortsverwendungen (du siehst, ich umschiffe die Klippe "Ortsbriefe", weil es ja auch Ortsdrucksachen gab) gab es keine Kontrolle hinsichtlich der Entwertung und der Benutzung alternativer Entwertungsformen der verwendeten Marken, von daher war es fast egal, wie man die Marken der Lokalkorrespondenz annullierte.

    Beim Stempelprozeß wurde unterschieden zwischen Lokalkorrespondenz, Dienstbriefen, direktem Versand (Post zu Nachbarpost), vorgesetzten Poststellen (bei Auslandsbriefen wegen der Nachprüfung des Frankos bzw. Portos) und der postvereinsmässigen Spedition.

    Prinzipiell war immer der Mühlradstempel zu benutzen. Die damaligen Postler haben sicher auch "Häufchen" (das ist kein Ausdruck der Fäkalsprache) gemacht und sie entsprechend "abgearbeitet". Kamen da Briefe auf das falsche Häufchen, erhielten sie evtl. im Fall des Häufchens für Ortskorrespondenz, auch mal den falschen Stempel = Ortsstempel. Vielleicht sind es diese Fälle, die wir hier anhand loser Marken zeigen können, welche dann überstempelt wurden um dann auf dem richtigen "Häufchen" zu landen.

    Dass dergleichen selten vorkam, erkennen wir an dem geringen Vorhandensein dieser auffälligen und schönen Marken (darüber hinaus gäbe es noch einen zweiten Grund für diese "Duplexentwertungen", der aber nur am Ganzstück zu belegen wäre und noch seltener vorkam als der hier von mir vermutete Fall).

    Es gab auch sicher, vor allem bei Massenauflieferungen von Drucksachen bei den Poststellen, die über größere Firmenansiedlungen verfügten, eine Häufchenbildung nach der Art der Belege, also Druchsachen (DS), Briefe mit 3 Kr. Franko, Briefe mit 6 Kr. Franko und Briefe mit 9 Kr. Franko. Wenn vlt. Hunderte von DS aufgeliefert wurden, gerne noch kurz vor Schluß, dann war ein Stempler sicher überfordert, denn die verehrliche Kundschaft wollte ihre DS so schnell wie möglich abspediert haben, denn jede DS = Offerte sollte ja einen möglichst schnellen Auftrag nach sich ziehen.

    Was lag da näher, als einem Subalternen ein Stempelgerät in die Hand zu drücken und loszulegen? Bei den billigen Einkreuzermarken war wenig falsch zu machen und DS mit Sonderdiensten (Chargé, Expreß oder Retourrecepisse) sind und waren damals schon große Seltenheiten, so dass auch von da kaum Ärger wegen fehlerhaften Behandlungen ins Haus stehen konnte.

    Bei den vorhandenen, von mir dankbar aufgenommenen statistischen Zahlen ist also kein Schema oder eine glasklare Tendenz festzustellen. Diese gibt es aber bei allen anderen Poststücken mit Nicht - 1 Kr. Frankaturen. Insofern ist die Frage, ob DS oder Ortsbrief mit oder ohne Mühlrad eine dienstliche Bewandnis hatte oder hätte haben können, zwar offen, aber nicht klärbar. Vielmehr muss man sich fragen, warum Nicht - 1 Kr. Frankaturen mit Ortsstempeln vorkommen. Aber da ist der liebe maunzerle fachlich führend und hat schon Belege und Marken zeigen können, die einen blaß werden lassen.

    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Lieber bayern klassisch,
    Deinem umfangreichen Beitrag stimme ich eigentlich in allen Einzelheiten zu.
    Die Theorie, dass man es bei 1 Kr. Marken wohl nicht so genau nahm, weil im Falle der Nicht-Entwertung der Verlust für die Staatskasse nicht so groß gewesen wäre, habe ich in meinem Artikel schon erwähnt.
    Deiner Häufchen-Theorie kann man sich auch nicht verschließen. Das hieße allerdings, dass die Correspondenz schon vor dem Stempeln geordnet wurde, was, da ja vermutlich für alle Correspondenzen Mühlradentwertung vorgeschrieben war, auf den 1. Blick nicht wirklich zwingend gewesen wäre. Anders sieht die Sache aus, wenn man sich bei Expedition X grundsätzlich bei Ortskorrespondenz den Nummernstempel sparte, weil man bezüglich der Abstempelung da nicht kontrolliert wurde.
    Was ich diesbezüglich in den nächsten Tagen oder Wochen einmal machen werde, ist, dass ich auch zwei Häuflein (im Kopf) mache, und einmal ein paar Hundert Drucksachen aus Auktionskatalogen durchchecke nach Ortsdrucksachen und Drucksachen nach auswärts. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Wäre eine kleine Sensation, die Du da angestoßen hättest, wenn sich da zahlenmäßig ein deutlicher Unterschied ergäbe. Dann hätten wir zwar immer noch kein gesetzliches Fundament, aber einen Einblick in die damalige Arbeitsweise und damit doch auch eine stichhaltige Erklärung.

    Zu Deinem letzten Absatz zu den Nicht-1-Kreuzer-Frankaturen mit Ortsstempelentwertung sei hier nur ganz am Rande gesagt, dass es sich in den allermeisten Fällen eindeutig um Zufallsentwertungen handelt. Aber das wäre dann schon wieder ein ganz anderer Thread.

    Liebe Grüße von maunzerle :thumbup:

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Lieber maunzerle,

    ich freue mich, dass du meine Thesen nicht als völlig abwegig verworfen hast und durch das Studium von Katalogen eine Verifikation in Angriff nimmst. Die Antwort darauf würde sicher jeden hier interessieren. :)

    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo maunzerle,

    als Freund statistischer Auswertungen erlaube ich mir zu Deinem Projekt noch eine Anregung:

    Angesichts des signifikanten Unterschieds der Entwertungsarten der beiden 1 Kreuzer Werte (rosa bzw. gelb) liegt die Vermutung nahe, daß sich die Entwertungsgewohnheiten im Zeitablauf änderten. Es könnte sich also lohnen, die Verwendungszeiten, soweit ermittelbar, in die Betrachtung einzubeziehen.

    Recht interessant in diesem Zusammenhang ist auch die sächsische Praxis:

    Markenentwertung mit Nummerngitterstempeln war bis zu deren von einem Inspektionsbeamten festzustellender Unbrauchbarkeit mit folgenden Ausnahmen vorgeschrieben:

    - Ausfall des Stempelgerätes während dessen Reinigung (scheint länger gedauert zu haben)
    - Drucksachen ab 1959

    Betrachtet man die vorkommenden Belege, so fällt auf, daß es erkennbar vorschriftswidrig zwei Bereiche gibt:

    - ab etwa 1865 erlauben sich einige Postanstalten ohne erkennbares System abwechselnde Entwertungen mit Nummern- bzw. Ortsstempeln.

    - vor 1865 finden sich zwar bisweilen Ortsstempelentwertungen von einigen Postanstalten als Ausnahme, eine Häufung ist aber ausschließlich bei Orts- bzw. Landpostbriefen zu beobachten, also genau dem Bereich, auf den schon bei Bayern hingewiesen wurde. Offensichtlich war auch die Disziplin der sächsischen Postler abhängig von der Gefahr der Entdeckung.

    Beste Grüße

    Altsax

    2 Mal editiert, zuletzt von Altsax (18. August 2011 um 11:41)

  • Hallo Altsax,

    Vielen Dank für die Anregung, die ich gerne aufnehmen will. :thumbup: Das ist kaum ein Mehraufwand, wenn man schon mal am Blättern ist. Auch will ich verstärkt auf die eigentlichen Orte achten, um herauszufinden, ob man sich an manchen Orten mehr herausnahm als an anderen. So wird das doch ein etwas größeres Projekt, als ursprünglich gedacht. Aber nachdem nun über 150 Jahre stets Falsches kolportiert worden ist, kommt es auf ein paar Wochen oder Monate jetzt auch nicht mehr an.

    Im übrigen bin sehr froh und dankbar, dass dieser Thread nicht zu einer Privatveranstaltung zwischen bk und mir verkommt. Auch deswegen herzlichen Dank!

    Bei der Gelegenheit nun gleich Seite 3.

    Beste Grüße von maunzerle :thumbup:

    Bilder

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Hallo zusammen,

    hallo maunzerle,

    Du zeigst uns wieder einmal das Beste vom Besten aus Deiner schier endlosen Stempelsammlung :thumbup: :thumbup: Danke dafür.

    Du hast mir auch ein paar unruhige Tage verschafft, und das kam so. Vor einiger Zeit (so fangen Märchen an) also vor einiger Zeit kam mir die Idee einmal zu erkunden, wie sich das mit der Abstempelung der 1 Kreuzer-Frankaturen verhält. Ich habe also alle erreichbaren Auktionkataloge mit bekannt vielem Bayernmaterial in der Bibliothek des Vereins für Briefmarkenkunde Frankfurt am Main - jetzt Philabibliothek Heinrich Köhler - durchforstet und kam bei über 450 Briefen zu einem Ergebnis, das von Deinen Zahlen kaum bedeutend abgewichen ist. Als ich mich daransetzte, alles in eine angemessene Schriftform zu bringen, da bist Du mir mit Deiner Veröffentlichung zuvor gekommen. Jetzt habe ich mich wieder an meine Aufzeichnungen erinnert und zwei Tage vergeblich nach danach gesucht. Umsonst war die Suche nicht, denn ich habe Sachen gefunden, von denen ich garnicht mehr wußte, dass ich sie überhaupt hatte. :D So hat alles sein Gutes. Ich kann also aus der Erinnerung Deine Zahlen voll bestätigen.

    Angehängt habe ein Beispiel zweier "Ortsbriefe"

    Grüße aus Frankfurt
    hasselbert

  • Hallo hasselbert,

    irgendwie kam mir die 1 Kr. von Augsburg so bekannt vor, bis ich unten links las "p(er) Einschluß". Ein tolles Stück! Aber auch der seltene ZZ aus München reiht sich da bestens ein.

    Danke fürs zeigen und liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

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    • Offizieller Beitrag

    Hallo manuzerle und hasselbert

    Hier wird wunderschöne Briefe gezeigt :P :P :P

    Zu die Theorien hier, will ich nichts sagen. Was ich aber sehe, ist dass alle Briefe mit Mühlradstempel auch ein Ortsaufgabestempel dazu hat. Die Ortsstempelentwertungen hat kein zusätzlichen Aufgabestempel. Es sieht so aus ob nur der Ortsstempel hier wichtig war. Weil es so bei alle bisher gezeigte Briefe so ist, kann man erwarten dass es kein Zufall war.

    Viele Grüsse
    Nils

  • Hallo hasselbert,

    zwei ausgesuchte Belege, wobei man bei dem ersten mit einem meiner Lieblingsstempel ( :P ) sagen muss, dass man dort praktisch nie mit dem Mühlradstempel parallel gearbeitet hat, weil man wohl diese neue Stempeltype ohne Mühlradstempeleinsatz testen wollte.

    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo hasselbert,
    Wunderschöne Belege zeigtst Du uns da wieder, wobei vor allem der Brief mit der Sondertype Bahnhof München bei mir Begehrlichkeiten weckt. Ich kennen keinen 2. Ganzbelege mit diesem Stempel.

    Hallo Nils,
    Zu Deiner Beobachtung bezüglich der Aufgabestempel ist folgendes zu sagen:
    Wenn bk's Häufchentherie stimmt, wenn also die Postler sich ein Häufchen mit 1 Kreuzer-Frankaturen machten mit dem Hauptzweck, sich den Mühlradstempel zu sparen (man könnte auch sagen: aus Faulheit), dann ist es natrülich nicht verwunderlich, dass sie sich den Aufgabestempel auch sparten, denn es gab ja bei Ortscorrespondenz natürlich auch niemanden, der diesen kontrollierte. Aber ich werde diesen Aspekt im Auge behalten.

    Nun zur Ergänzung noch mein 4. Albenblatt zu diesem Thema.

    Viele Grüße von maunzerle :thumbup:

    Bilder

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Hallo zusammen,

    hallo maunzerle, eine super Seite, respekt :thumbup: :thumbup: Ich denke, Du hast gelesen, dass ich "seelenverwandt" am gleichen Thema gearbeitet habe.

    Hallo bayernjäger, sogenannte "hier" Briefe haben immer etwas besonderes, leider suche ich immernoch nach einem schönen. :( Aber das wird schon. ;)

    Hallo mikrokern, auch Dein Brief hat "Gesicht" :thumbup:

    Hier zeige jetzt passend zum Thema ein Briefpaar der gelben 1 Kreuzer als Drucksachen; einmal mit Ortsstempel und einmal mit Mühlradstempel.

    Grüße aus Frankfurt
    hasselbert

  • Hallo hasselbert,

    Natürlich habe ich von Deinen Untersuchungen gelesen. Schön wäre es, wenn Du sie vielleicht wieder finden könntest (Unverhofft kommt oft!). Ich habe schon oft plötzlich was gefunden, nachdem ich ich eine langwierige Suche erfolglos abgebrochen hatte. Dann könnten wir meine, Deine und die noch ausstehenden unter Umständen zu einem großen ganzen zusammenfügen.

    Viele Grüße nach Ffm von maunzerle :thumbup:

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Hallo zusammen,

    hallo maunzerle, die Suche geht weiter. Im Ergebnis werden dann nur ganz deutlich Deine Zahlen voll bestätigt.

    Hallo bayernjäger, ein schönes Paar, Deine Ortsbriefe hier unf dahier, einmal mit Mühlradstempel und einmal mit Ortsstempel :thumbup: :thumbup:

    Danke fürs Zeigen und

    Grüße aus Frankfurt
    hasselbert