aus dem Wuppertal

  • Wie der Titel andeutet, geht es hier nicht um Briefe aus der Stadt Wuppertal - Gründung bzw. der Zusammenschluß erfolgte am 1.8.1929 - sondern um Belege aus den vorher selbständigen Gemeinden/Städten Vohwinkel, Elberfeld, Barmen, Ronsdorf und Cronenberg.

    Anlass, jetzt mal mit diesem Thema zu starten ist der folgende Brief, der für 1,99 € traurig seine Runden in der Bucht drehte.

    Rein postalisch (und optisch) ist er auch nur mässig attraktiv: Ein Postvorschuß-Brief über 1 Rth. von 1855 aus Elberfeld nach Dellwig b. Unna.
    1 Taler = 30 Sgr. in Auslage genommen, dazu 2 Sgr. Porto für die 1.Entfernungs-/2.Gewichtsstufe (1 3/10 Loth) und 2 Sgr. Procura ergeben die vom Empfänger zu zahlenden 34 Sgr.

    Interessanterweise taucht hier schon der Begriff Nachnahme auf, der Betrag wurde vorschriftsmäßig in Zahl und Wort notiert.

    Interessanter ist der Inhalt.

    Gemäß dem vorderseitigen Absenderstempel wurden von dem Verlag die Elberfelder Zeitung und das Kreisblatt herausgegeben. Wann diese Blätter gegründet wurden, weiß ich nicht. Aber im Stadtarchiv sind die Jahrgänge 1834-1938 der Zeitung und 1841-1862 des Kreisblatts archiviert.

    Innenseitig ist die Rechnung für ein Inserat über 1 Taler von der Expedition der Elberfelder Zeitung. Anscheinend lag zumindest die Seite mit dem Inserat bei, da de Brief heute deutlich leichter ist.

    Der Empfänger Pfarrer Philipps bestätigte dann noch mal unterhalb der Rechnung, dass er neben der Inseratsgebühr auch noch 4 Sgr. Porto/Procura gezahlt hat. Diese Bestätigung war anscheinend nötig, um den Betrag aus der Gemeindekasse erstattet zu bekommen.

    Der Empfänger Pfarrer Karl Phillips (geb. 1824 in Lüdenscheid, gest. 1867 in Dellwig) stammte aus einer kleinen westfälischen Pfarrerdynastie (natürlich aus einer evangelischen!). Sein Enkel Werner Philipps schaffte es dann bis zum Superintendenten von Soest und Arnsberg.

    Gruß

    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

    Einmal editiert, zuletzt von Michael (6. März 2022 um 21:48)

  • Lieber Michael,

    herrlich - für so wenig Geld kann man (Heimat-)Geschichte greifbar machen. Passte fast in die philatelie, wo es eine Reihe "Der 1-Euro-Brief" oder so gibt (habe den richtigen Titel nicht greifbar) und man sieht, dass Gutes und Interessantes nicht teuer sein muss.

    Wäre mal interessant zu sehen, ob es Post zwischen diesen Orten im Wuppertal untereinander gab, also Orts- bzw. Localbriefe.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    so ein Fund ist für Heimatsammler natürlich mehr wert als die bezahlten 1,99 €. Insofern schön, dass da niemand sonst drauf geachtet hat. ;)

    Zeitungen gab es Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht in der Masse, wie man es später gesehen hat. Daher ist dieser Fund eine schöne Sache.

    Orts- und Lokalbriefe gibts natürlich auch, habe ja seit vielen Jahren eine (An-)Sammlung von entsprechenden Briefen von diesen Orten, die darauf warten, mal eine Sammlung zu werden (oder wieder in den großen Kreislauf zurück zu gelangen).
    Da jetzt mal ein Anfang gemacht ist, werde ich sporadisch was hierzu zeigen.

    Viele Grüße

    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

    Einmal editiert, zuletzt von Michael (7. März 2022 um 11:44)

  • Liebe Freunde,

    da nach Lokalbriefen gefragt wurde:

    Eine 1 Sgr.-Ganzsache von Vohwinkel nach Barmen-Wupperfeld.

    Vohwinkel ist der westlichste Teil der späteren Stadt Wuppertal und Wupperfeld in Barmen bildete den östlichsten Bezirk. Die Entfernung Vohwinkel-Elberfeld-Barmen-Wupperfeld betrug 1,5 Meilen.
    Das einem Preußen-Sammler auch bekannte und noch weiter östlich liegende Rittershausen gehörte später auch zu Barmen, war aber zunächst noch eine sogenannte Außenbürgerschaft von Barmen, vielleicht vergleichbar einem Landbezirk. Immerhin hatte Rittershausen eine eigene Postexpedition, wie verschiedene andere Außenbürgerschaften auch.

    Der Adressat August Erbslöh öffnet ein Fenster zur Wirtschaftsgeschichte der damaligen Zeit. Die Geschichte des Unternehmens ist typisch für viele Unternehmen der damaligen Zeit im Rheinland und insbesondere auch für das Wuppertal.

    1842 wurde von Erbslöh und einem Partner eine Plättier-Fabrik gegründet. (Wiki: Mit Plattieren bezeichnet man Verfahren aus der Metallverarbeitung und der Textiltechnik, bei der ein unedleres Material (Metall bzw. Stoff) mechanisch bezw. chemisch durch ein anderes edleres Material überdeckt wird.) Der Partner schied nach einiger Zeit aus, das Unternehmen wurde in Julius & August Ersblöh umbenannt.

    Die Geschäfte entwickelten sich recht erfolgreich. Hier ein Bild des Stammhauses der Familie, das Wohnhaus ging direkt in die angrenzenden Fabrikhallen über (auf dem Bild nur durch die Schornsteine zu erahnen):

    Diese Nähe von Wohnen und Arbeiten führte dazu, dass die Kinder der Familie im direkten Kontakt mit der Arbeit der Eltern aufwuchsen und so direkt auf die spätere Übernahme vorbereitet wurden.Aus einer zeitgenössischen Beschreibung damaliger Familienmitglieder:

    "Es war aber auch zu verführerisch, bald in der Schreinerei, bald in der Schmiede, bald in der Buchbinderei sich betätigen zu können und sich von den wohlwollenden Meistern zu mancherlei im späteren Leben nützlichen Handfertigkeiten anleiten zu lassen."

    Auch hier entwickelte sich, wie in dieser Zeit der frühen Industrialisierung oft, ein starker Kontrast zwischen Unternehmern und Arbeitern. Erfolgreiche Unternehmer wurden reich, häufig sehr reich, während die Arbeiter unter sehr schlechten bis elenden Bedingungen lebten.

    Dieser Kontrast führte zu Gegenbewegungen politischer (Friedrich Engels stammte aus einer Barmer Unternehmerfamilie) und sozialer Natur. So führte die Firma Erbslöh bereits in den 1880er Jahren eine betriebliche Krankenkasse sowie eine Pensions- und Unterstützungskasse für ihre Mitarbeiter ein.

    Das Unternehmen blieb innovativ und führte 1889 als eines der ersten im Deutschen Reich die Verarbeitung des neuen Werkstoffs Aluminium ein.

    Das mittlerweile deutlich gewachsene Unternehmen zeigt diese Abbildung aus der Zeit der Jahrhundertwende (das ursprüngliche Wohnhaus musste der Fabrikerweiterung weichen):

    Das Unternehmen wurde von Familienmitgliedern geführt, die es immer wieder verstanden, neue unternehmerische Impulse zu setzen, so dass sich die Firma weiter entwickelte.

    Bei dem Bombenangriff 1943 wurden die Produktionsanlagen vollständig zerstört. Nach dem Krieg erfolgte durch die Besatzungsmächte ein Produktionsverbot, das erst 1947 aufgehoben wurde. Sofort wurden neue Produktionsstätten errichtet und auch das Geschäftsfeld des Autozubehörs mit aufgenommen. 1956 hatte man bereits wieder 1.100 Mitarbeiter. 1984 wurde die Produktion aus Wuppertal nach Neviges verlagert.

    Das Unternehmen wurde bis 1992 von Angehörigen der Familie Erbslöh, mittlerweile in der 4. Generation, geführt. In diesen Jahren wurden 300 Mio. DM Umsatz erreicht.

    1996 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, 2000 übernahm die WK.group die Mehrheit.

    Mit der Corona-Pandemie und dem folgenden Zusammenbruch des Autoabsatzes (mittlerweile hatte man sich auf den Sektor Autozubehör konzentriert), geriet das Unternehmen in eine Schieflage, die durch eine noch laufende Restrukturierung aufgefangen werden soll.

    Gruß

    Michael

    Bildquelle: Wikipedia

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

    2 Mal editiert, zuletzt von Michael (2. April 2022 um 22:11)

  • Lieber Michael,

    vielen Dank für das Zeigen des sicher nicht so leicht zu findenden Briefes und vor allem für die historische Zusammenfassung deiner Heimat - Chapeau! :):)

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    danke für die Kommentare.

    Manchmal finden sich Heimatbelege mit überraschendem Inhalt:

    Hier wieder ein Lokalbrief. Dieser lief 1844 von Elberfeld ins benachbarte Barmen, als H. Justiz S. (hier verwirrt mich das nach "Justiz" folgende, kann das jemand entziffern?) portofrei an den Barmer Friedensrichter. Das Gewicht von 4 1/2 Loth weist auf beigebundene Akten.

    Der verwendete Zweikreisstempel wurde 1839-52 verwendet, rückseitig findet sich nur ein zeittypischer Ausgabestempel vom Folgetag.

    Der Inhalt zeigt dann ein Stempelpapier über 1 gGr. aus Rinteln, Grafschaft Schaumburg, einer kurhessischen Exklave.

    Hier noch eine Karte mit der Lage der Grafschaft. Bildquelle: Wikipedia

    Gruß

    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

  • Lieber Michael,

    Herrschaftliche Justiz Dienst Sache lese ich.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    hier ein recommandierter Brief von 1831 aus (Barmen-)Wupperfeld nach (Barmen-)Rittershausen.

    Der Brief wog 1/2 Loth, wurde Franco aufgegeben und mit 2 Sgr. bezahlt.

    Eigentlich kostete nach dem Tax-Tarif von 1825 ein Brief der 1. Entfernungsstufe (bis 2 Meilen) 1 Sgr. und die Reco-Gebühr 2 Sgr. Den Begriff "Ortsbrief" habe ich in dem Tax-Regulativ nicht gefunden.

    Der vorliegende Brief wurde anscheinend schon wie ein Ortsbrief in späterer Zeit behandelt und mit 2 Sgr. Gesamtporto taxiert.

    Recommandierte Briefe waren zu dieser Zeit eher selten undd der Inhalt zeigt, warum dieser Brief so versandt wurde.

    Der Inhalt, soweit ich ihn lesen konnte:

    Barmen am 19 Septb 1831


    Herren Döninghaus hierselbst


    In Folge Gouvernements Verordnung vom 8 Nov 1814

    und der Bekanntmachung der Localbehörde v. 26 July

    d. J. zeige ich Ihnen hierdurch an, daß ich meine

    motivirte Einsprüche gegen Ihre Mühlen Anlagen etc.

    heute auf dem hiesigen Verwaltungsamte nieder-

    gelegt habe.

    Zu dem Umstande : daß Sie das

    Gefälle in einer andern Weise und an einer ande-

    ren Stelle, als ??? Bfen produzirte Schöpfende

    Concessionen sprechen, benutzen; ?enner daß Sie

    Ihr Querholz um 1'6''6''' eigenmächtig erhöht und

    mir dadurch Rückstau und Ueberschwemmung ver-

    ursachen und nur ??h, daß Sie ??h dazu, ??? überhängt

    zu ??? ganzen Mühlenbau durch keine gehörige

    Concession ausgewiesen haben, liegen meine Haupt-

    Argumente zum Widerspruch, die ich hierdurch

    auch bei Ihnen einlege.

    Empfangen Sie unterdessen meinen

    höflichen Gruß ? Dünweg

    concessionirter Müller

    Über wassergetriebene Mühlen erzeugte Wasserkraft war vor Einführung der Dampfmaschinen eine wichtige Energiequelle, z.B. für im Wuppertal heimische Werkzeughersteller.

    Gruß

    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

    Einmal editiert, zuletzt von Michael (11. April 2022 um 22:06)

  • Lieber Michael,

    bei Bayern war vor dem 1.7.1849 für die Postverwaltung völlig egal, was ihre Bediensteten mit Orts- bzw. Lokalbriefen machten, solange die Taxe, die die Expeditoren dafür verlangten, unterhalb der Mindest-Fernbrief-Taxe (3x) war.

    War es in Preussen auch so, dass man dem Expeditor überlassen hatte, an Franko zu nehmen, was ihm beliebte? Das Risiko, einen Recobrief zu verlieren, den er 10 Minuten vorher seinem Landpostboten in die Hand gedrückt hatte, tendierte ja gegen Null. Von daher gab es vlt. einen Individualtarif, bei dem die Postkunden Geld sparen konnten, weil der reguläre Tarif von 3 Sgr. so hoch gewesen wären, dass die Leute die Postverwaltung umgangen hätten und dann hätte er vlt. gar nichts an solchen Briefen verdient?

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    der Brief ist unabhängig von dem heimatgeschichtlichen Bezug interessant. So frühe eingeschriebene Ortsbriefe wird man wahrscheinlich nicht oft finden. Daher wäre es schön, weitere solche Belege zu sehen.

    Ralphs Hinweis auf die bayerische Vorgehensweise ist interessant. Ein reduzierter Tarif, den es ja auch in Preußen gab, ist sicher richtig und wahrscheinlich auch für Preußen gültig. In einem Berliner Post-Handbuch von 1837 gibt es die Anweisung, Ortsbriefe gegen 1 Sgr. Bestellgeld (das war das doppelte des normalen Bestellgeldsatzes) zuzustellen, ein zusätzliches Briefporto wird dort nicht genannt. Dies und auch die Handhabung bei dem oben gezeigten Brief entsprechen der für die Markenzeit bekannten Vorgehensweise. Daher gehe ich von entsprechenden Regularien auch in den früheren Jahren aus, die uns leider wegen der lückenhaften Kenntnis preußischer Verordnungen dieser Jahre nur noch nicht bekannt sind - mir zumindest nicht. :/

    Viele Grüße
    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

  • Lieber Franz,

    dieser Stempel ist eine große Ausnahme. Da in Preußen Stempel meist zentral beschafft wurden, vermute ich bei diesem Gerät einen regionalen Hersteller. Wenn du dir die preußischen Stempel bis 1850 ansiehst, dann findest du ab 1817 nur 4 Geräte-Typen (2x L2, K1 und K2) die den Hauptteil abdecken. Dazu kommen die sog. Nierenstempel und die Versuchsstempel ab 1823/25. Mit diesen 6 Geräten sind meiner Meinung nach über 95% der Stempel erfasst.

    liebe Grüße

    Dieter

  • Das kann man ohne Einschränkung sagen. :)  :thumbup:

    Laut Feuser Vorphila ist er nicht selten. Da ich noch keinen mit Bewußsein gesehen habe, geht auch diese Bewertung vermutlich stark an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbei.

    liebe Grüße vom kalte, nassen Niederrhein :(

    Dieter