Der Deutsche Krieg 1866

  • Lieber Wilfried,

    er wird sicher über Bayern geleitet worden sein und war auch rel. schnell in badischer Hand - daher denke ich, dass er über Furth im Wald, Schwandorf, Nürnberg, Würzburg und FFM via Süden (Darmstadt, Heidelberg) nach Baden instradierte. Aber das final heraus zu finden, dürfte für uns hier praktisch ungmöglich sein, weil es keine Bahnpoststempel mehr gab, die die Korrespondenzströme dokumentierten.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo,

    hier ein mit 12 Kr. korrekt frankierter Geschäftsbrief von Mainz (2.8.1866) über Straßburg (4.8.66) nach Frankreich, wo er am 4.8. seinen Empfänger in Paris erreichte.

    In Friedenszeiten wäre der Brief mittels der Hessischen Ludwigsbahn nach Bingen und in Bingerbrück der preußischen Post übergeben und von dort via Neunkirchen-Saarbrücken in Forbach der französischen Post zukartiert worden.

    Nun war aber Bingen seit dem 28.6. von preußischen Truppen besetzt; in der Wormser Zeitung vom 3.7.66 ist zu lesen „Worms (1. Juli) In Folge des Vordringens der Preußen bis Bingen hat die Hessische Ludwigsbahn den Güter- und Personenverkehr auf der Strecke Mainz-Bingen ganz eingestellt.“

    Auch die alternative Ostroute, über die Mainzer Südbrücke via Darmstadt-Heidelberg-Mannheim nach Süden, fiel aus: „Darmstadt (18. Juli). Soeben hat eine Locomotive und mit Arbeitern besetzte Wagen der Main-Rheinbahn unseren Bahnhof verlassen, um die Schienen zwischen hier und Mainz stellenweise aufzureißen. Es gehen also von jetzt an zwischen hier und Mainz und zwischen hier und Frankfurt keine Züge mehr…“ (Beilage zur Wormser Zeitung, 19.7.1866)

    Zudem befand sich die Bundesfestung Mainz seit dem 20.7. im Belagerungszustand, der den Post- und Güterverkehr nach Westen, Norden und Osten unmöglich machte.

    Erst am 5.8. erschien eine Anzeige der Main-Nackar-Bahn in der Heidelberger Zeitung „Von morgen, Sonntag, den 5. d.M., werden sämmtliche Züge auf diesseitiger Bahn nach Maßgabe des Fahrplans vom 5. Juli wieder in Gang gesetzt…“

    Der Vollständigkeit halber noch aus der Wormser Zeitung vom 9.8.1866: „(Worms, 8. Aug.) Von heute an ist die Strecke Mainz-Bingen wieder dem Verkehr übergeben und werden daher Personen sowie Güter nach Bingen und den anschließenden Bahnen befördert…“

    So blieb am 2.8. als einzige Möglichkeit für die Spedierung des Briefes die Verbindung Mainz-Worms-Ludwigshafen-Karlsruhe-Kehl, wo der Brief über Straßburg (Stempel vom 4.8.66) nach Paris lief. Ob er von Ludwigshafen über den Rhein nach Mannheim und via Heidelberg nach Karlsruhe gebracht wurde, oder auf der der pfälzischen Seite über Neustadt nach Karlsruhe lief, bleibt offen.

    Ebenfalls möglich wäre der Transport von Ludwigshafen über Neustadt nach Schweigen und Übergabe an die französische Post in Wissembourg/Weissenburg, unter Auslassung der badischen Bahnpost. Vielleicht hat jemand eine Begründung dafür, dass dies so nicht erfolgte?

  • Lieber Wilfried,

    erst einmal Glückwunsch zu dieser Granate und damit meine ich nicht den Kriegsbezug. 8o

    Stutzig macht mich der Stempel "3" der Franzosen; normal wäre gewesen "1" für die Tour, oder "2" für die Retour. "3" war der Eingangsstempel von Paris. Demzufolge muss der Brief in einem geschlossenen Briefpaket nach Paris gekommen sein, sonst hätte eine eine "1", oder eine "2".

    Meine Vermutung: Schon in Worms mit Beutelfahne Paris versehen der Bahnpost übergeben, die ihn via Ludwigshafen - Mannheim - Karlsruhe - Kehl - Strasbourg nach Paris beförderte. Keine deutsche Post hat diesen Brief gesehen, außer TT natürlich.

    Die potentielle Leitung über NW und LD nach Wissembourg können wir ausschließen, weil diese nur für Briefe ins Nordelsaß vorgesehen war. Regulär wäre er über Forbach ausgetauscht worden, was m. M. n. auch möglich war, weil es Pfälzer Briefe mit dieser Leitung im Krieg gab und diese Route, auch wenn sie über Preussen lief, als sicher galt. Aber dann hätten wir den TT - Forbach 1 oder TT - Forbach 2 auf dem Brief vorne ...

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo zusammen,

    so sauber recherchiert wird ein vermeintlicher Standartbrief zur Besonderheit. Es scheint ein Geschäftsbrief gewesen zu sein. Bei Duplan & Cie Paris handelte es sich wohl um ein Dekorationspapier- und Dekortapetenhersteller :

    https://www.pinterest.ca/pin/402087072976208297

    Die leider nicht mehr vollständige Siegeloblade, lässt drauf schließen, dass es ebenfalls eine Firma als Absender gewesen ist. Dass der Brief neben dem seit 20. Juli ausgerufenen Belagerungszustand rausgegangen ist, kann ich so einigermaßen nachvollziehen, da wollte man wohl keine unnötigen Opfer unter der Zivilbevölkerung provozieren. Während bei Aschaffenburg die Kämpfe ausgefochten wurden, bollerte es in Mainz nur wenige male und am 26. Juli kam es dann ja bereits zum Vorfriede von Nikolsburg. Preussen hatte Kurhessen schließlich am 17. August annketiert, am 26. August erfolgte die Übergabe an die preußischen Truppen.

    Innerhalb einer so kurzen Periode das Eisenbahnetz teil- und zeitweise zerstört daliegen zu sehen wirkt heuer zwar schon etwas kurios, aber wer wusste damals schon, wie sich der Krieg noch entwickelte. So kommen dann solche Belege, mit solchen Laufwegen, in solch engen Zeitfenstern zustande.

    Kurios war übrigens auch, dass in der Bundesfestung noch sechs Tage nach Kriegsausbruch (14. Juni) die miteinander verfeindeten Österreicher und Preussen als Bundestruppenkontingente verteten waren und auf Bundesbeschluss erst am 20. Juni auszogen. Während dieser explosiven Phase versuchten sich die beiden Parteien aus dem Weg zu gehen. Um Streitereien zu vermeiden, mussten die preußischen Soldaten in Kneipen der südlichen Stadt, die österreichischen in Kneipen und Gasthäuser der nördlichen Stadthälfte gehen. Als "Grenze" fungierte dabei die Ludwigsstraße. Für Ordnung unter den Soldaten sorgte das Militär selbst.

    Beste Grüße

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    2 Mal editiert, zuletzt von Pälzer (23. Oktober 2020 um 21:19)

  • Regulär wäre er über Forbach ausgetauscht worden, was m. M. n. auch möglich war, weil es Pfälzer Briefe mit dieser Leitung im Krieg gab und diese Route, auch wenn sie über Preussen lief, als sicher galt. ...

    Lieber Ralph,

    gibt es Belege, die die Leitung von Briefen aus den Südstaaten (also Pfalz-Bayern oder Hessen) über das preußische Saarbrücken nach Forbach im Zeitraum 1.7. bis 5.8.66 bestätigen? Ich kenne keine...

    Beste Grüsse vom
    µkern

  • Lieber Wilfried,

    es gibt 2 Briefe mit entsprechenden Frankaturen und Leitungen aus der Pfalz von Ludwigshafen und von München, die sicher über Forbach liefen. Einen besaß ich und hatte ihn hier auch vorgestellt (aber bis ich den finde, gibt es Corona nicht mehr) ...

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo,

    hier ein Feldpostbrief vom 28.7.1866 aus Langensalza mit Nebenstempel „Königlich Preussisch. Lazareth zu Langensalza“ nach Hildesheim (Ankunft 29.7.66)-

    Der Brief wurde vom Geistlichen Westermann in der „Lazarey Heynemann“ in Langensalza am 27.7. im Auftrag eines verwundeten hannöverschen Soldaten an dessen Freund in Hildesheim geschrieben. Wie man dem Inhalt entnehmen kann, war der Absender nicht in der Lage, selbst zu schreiben, weshalb ein Pfarrer dies für ihn übernahm:

    Langensalza, Lazarey Heynemann, d. 27. July 1866

    Im Auftrage Ihres Freundes soll ich Ihnen herzlich danken für den Brief, den Sie ihm geschrieben haben. Er hat sich sehr über die Liebe gefreut, mit der Sie seiner gedacht haben. Er würde Ihnen selbst geantwortet haben, wenn er dazu im Stande wäre. Die Wunde, die er im linken Fuße erhalten hat, schmerzt ihn noch immer so sehr, daß er sich nicht wohl aufrichten kann. Aber er setzt sein Vertrauen auf Gott und sucht seine Hilfe bei dem rechten Arzt der Leiber und der Seelen. Ich besuche ihn täglich, suche seinen Glauben durch Gottes Wort zu stärken, und in seiner leiblichen Pflege wird ja nichts versäumt. Es wird ihm ein Trost sein, wenn Sie ihm bald einmal wieder schreiben. Gedenken Sie auch seiner in Ihrem Gebete, und der Gott, der Gebete erhöret, behüte auch Sie an Leib und Seele, daß Sie Trost haben in allen Dingen!

    Westermann Geistlicher

    Die Schlacht von Langensalza am 27.6.66 war zwar formal ein Sieg der hannoverschen Armee unter General v. Arentschildt über die preußischen Truppen unter General von Flies, in Anbetracht der zwischenzeitlich herangerückten weiteren preußischen Divisionen erfolgte jedoch am 29.6. die Kapitulation der Hannoveraner. Das Gefecht kostete beide Seiten bedeutende Verluste – die Preußen (mit den verbündeten Coburg-Gothaern) hatten 170 Tote und 643 Verwundete, die Hannoveraner 378 Tote und 1051 Verwundete zu beklagen.

    Bei der „Lazarey Heynemann“ dürfte es sich um ein zu einem Hilfslazarett umfunktionierten Geschäfts- oder Bürgerhaus zur Versorgung der Verwundeten handeln.

    In Gotha hatten die Bürger schon früh den Aufmarsch der Preußen beobachtet, an deren Spitze die beiden Coburg-Gotha‘schen Bataillone marschierten. Der Gothaer Turnerverein 1860 war zufällig durch einen Diplomaten von der Genfer Konvention von 1864 unterrichtet worden und 30 Mitglieder des Vereins hatten sich spontan als Helfer ausbilden lassen. Mit selbst gefertigten Rotkreuzbinden fuhren sie auf Fuhrwerken mit Tragbahren, Verbandsmaterial und Getränken in die Schlacht. Die Hannoveraner kannten die Genfer Konvention noch nicht und nahmen einen der Helfertrupps gefangen, ließen ihn aber sofort wieder frei, als sie dessen Anliegen verstanden. Schon während der Schlacht konnten Verwundete geborgen und in Behelfslazarette oder Bürgerstuben in der Stadt zur weiteren Versorgung gebracht werden.

    Meist verlief eine Schlacht schnell und war am Abend beendet. Das Leid der Verwundeten aber zog sich dann noch lange hin. In Langensalza wirkte sich die schnelle Zusammenarbeit der Sanitätskräfte beider Kontrahenten positiv aus. Man unterschied nicht zwischen den Soldaten beider Heere. Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha setzte nach der Schlacht seinen Leibmedikus als Dirigenten der Lazarette ein. Auf Zuruf eilten aus Hannover, Preußen und Thüringen zivile Hilfskräfte herbei, um die Verwundeten zu versorgen. Adelige Damen, Nonnen aus Klöstern, ausgebildete Schwestern, Ärzte und Helfer erreichten, dass 1 344 Verwundete geborgen wurden. 170 Soldaten und Offiziere erlagen allerdings ihren Wunden. Zu erwähnen ist hierbei auch die besondere Bedeutung der nahen Eisenbahn und des organisierten Postwesens, wodurch über Gotha problemlos Hilfsgüter in die Lazarette geliefert werden konnten…“ [aus: U. Schnell und M. Link: Sanitätswesen und Rotes Kreuz in der Schlacht von Langensalza. Wehrmedizinische Monatsschrift 12/2018].

  • Hallo,

    diesen - auf den ersten Eindruck unscheinbaren - Brief hat mir der liebe Ralph vermacht, der den 66-relevanten Inhalt richtig erkannt hat:

    Privater Brief eines Vaters von Kissingen (29.6.66) an seine Kinder in Nürnberg (Ankunft 30.6.66) mit Anweisungen, welche Schritte zu unternehmen seien, um einen zur Armee Einberufenen (evtl. ein Bediensteter der Familie?) noch kurzfristig vom Militärdienst freizubekommen. Dem Brief war ein Schlüsselchen beigefügt, weshalb der Tarif von 6 Kr. (1 bis 15 Loth Gewicht) zur Anwendung kam.

    Der Aufmarsch der bayerischen mobilen Armee war Ende Juni in vollem Gange. Nachdem der bayerische Oberbefehlshaber Prinz Carl v. Bayern vom erfolgreichen Kampf der hannoverschen Truppen gegen die Preußen bei Langensalza am 27.6. erfahren hatte, entschied er am 28.6.1866, zu ihrer Unterstützung durch die Rhön nach Norden vorzurücken. Am 29.6. befanden sich die bayerischen Divisionen im Raum Kissingen/Schweinfurt/Neustadt a.d. Saale.

    Kissingen den 29. Juni 1866

    Meine lieben guten Kinder!

    Emmas und Carls Briefe habe ich richtig erhalten und danke euch herzlich für eure Theilnahme wegen Julius. Dieser ist ganz allein an der jetzigen Verlegenheit Schuld. Bald nach seiner Ankunft schickte ich ihn zu R.R. Schwemmer, um ihn über diese Angelegenheit um Rath zu fragen. Er kam mit der Antwort zurück, es kann geschehen, es kann aber auch unterlassen werden. Da er selbst nun die Sache so gleichgültig nahm, Carl mir s.Z. [seiner Zeit] auch Vorwürfe machte, daß ich ihn unnöthiger Weise als Bürger habe aufnehmen lassen, während Heerdegen nur Insasse [=Einwohner ohne Bürgerrecht] geworden sei, so unterließ ich weitere Schritte. Ich kann mich noch nicht davon überzeugen, daß nach dem Wortlaut der erschienenen Verordnung Julius in die eingezogenen Classen gehört. Ich sende euch die Bekanntmachung, wie sie für Unterfranken erschienen ist. Ist das Gleiche auch in Mittelf.[ranken] der Fall, dann sind alle weiteren Schritte nutzlos, und es ist zu spät. Kommt diese Verordnung aber erst nächste Woche, dann müßten morgen Nachmittag alle möglichen Schritte gethan werden, um das Gesuch von Julius noch morgen zu Protokoll zu bringen. Ist das geschehen, so kann es nicht mehr zurückgewiesen werden.

    Ich sende euch hiermit einen Schlüssel. Dieser sperrt die oberste Schublade rechts, neben dem Fenster, im kleinen Schreibtisch in meiner Schlafstube. In dieser Schublade ist der Schlüssel zu meinem Pult. Im Pult in der Schublade an der rechten Seite ist unter anderen Papieren auch der Freischein von Julius. Was er sonst noch braucht als Impfschein etc findet sich wahrscheinlich in seinem Schatzkästchen oder im großen Schreibtisch. Ein Zeugnis wie es Julius von mir braucht, lege ich bei. Die Hauptsache ist, daß wenns gesetzt, daß Julius wirklich Legions-Pflicht hat, sein Gesuch morgen noch in aller Form angebracht wird. Sollte Jaeckel, den man sogleich aufsuchen muß, nicht geneigt sein, morgen noch die Sache anzunehmen, so ist H. von Waechter wohl so gefällig ihn dazu zu veranlassen. Einen Stempelbogen [=Briefpapier mit Gebührenstempeleindruck] zu meinem Zeugnis braucht es nicht, bringt ihn nur mit zur Stelle, damit er beicassirt wird. Meine Unterschrift ist nicht nöthig zu legalisiren, da selber dem Mag & Coll. seit 21 Jahren bekannt ist. Sollte diese Formalität jedoch erfordert werden, so ist jeder meiner Collegen so gefällig, selbe zu bestätigen und das genügt dann vollständig. Jaeckel, wenn er will, kann das auch besorgen.

    Es lauten Gott sei Dank die Nachrichten aus Italien sowohl als auch Böhmen für die Österreicher so günstig, daß vielleicht die ganze Einberufung der Legion unterbleiben kann.

    Der heutige Corr. ?? [wohl ein Korrespondenzblatt] bringt eine Verfügung wie die Einberufenen behandelt werden sollen. Es ist aber da und immer von solchen die Rede, die entweder ausgedient haben, oder durch das Loos freigeworden sind. Von solchen die Ersatzleute gestellt haben, findet sich kein Wort.

    Ich glaube nun alles berichtet zu haben was nöthig oder nützlich sein kann. Gebe Gott, daß alles gut geht, und wieder bald wieder Frieden bekommen. Inzwischen lebt wohl, liebe Kinder, groß & klein.

    Herzliche Grüße an alle

    Euer treuer Vater

    Wenn Zeugnisse nicht zur Stelle sind, die Jaeckel fordert, so sagt, daß selbe in einigen Tagen nachgebracht werden, und sorgt dafür, daß das Protokoll aufgenommen wird

    Zum Wehrdienst und Einberufungsverfahren in den deutschen Staaten vor der Reichsgründung findet man unter „Wehrpflicht in Deutschland“ bei Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrpflicht_in_Deutschland :

    „…Zu den Reformen, die Preußen unter dem Eindruck der Niederlage im Krieg gegen Frankreich 1807 durchführte, gehörte im Rahmen der Befreiungskriege in den Jahren 1813/14 die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Damit war eine grundsätzliche Aufwertung des Soldatenstandes verbunden, denn bis dahin hatten gemeine Soldaten als gesellschaftlich deklassiert gegolten. Der Militärdienst, zu dem auch die Söhne des Adels und des Bürgertums eingezogen wurden, galt nun als Ehrendienst und die Armee als „Schule der Nation“. Wehrpflichtige aus den „gebildeten Ständen“ konnten sich als „Einjährig-Freiwillige“ melden und hatten nach diesem Jahr die Aussicht, sich zum Reserveoffizier weiterbilden können (was mit viel gesellschaftlichem Prestige verbunden war). Unter allen größeren europäischen Staaten hatte nur Preußen nach den Napoleonischen Kriegen sein System der allgemeinen Wehrpflicht beibehalten und trotz des Heereskonflikts Anfang der 1860er Jahre modernisiert.

    In den anderen deutschen und den meisten europäischen Staaten wurde unter den tauglich Gemusterten die erforderliche Anzahl von Rekruten durch das Los bestimmt. Der Ausgeloste konnte aber einen von ihm bezahlten Ersatzmann als „Einsteher“ stellen, weshalb in diesen Armeen eher Männer aus ärmeren Schichten dienten. War ihre Dienstzeit abgelaufen, rückten sie für einen anderen Wehrpflichtigen erneut als Einsteher an dessen Stelle, so dass die Armeen, wie auch die Frankreichs, faktisch aus Berufssoldaten bestanden. Andere deutsche Staaten zogen nur einen Teil der Wehrpflichtigen für eine sehr lange Dienstzeit ein, darunter Österreich, ungeachtet zahlreicher Sonderbestimmungen, für 14 Jahre…“

    Zudem interessant ist die vom Optimismus getragene Sicht des Schreibers im Hinblick auf ein schnelles Kriegsende und Demobilisierung „Es lauten Gott sei Dank die Nachrichten aus Italien sowohl als auch Böhmen für die Österreicher so günstig, daß vielleicht die ganze Einberufung der Legion unterbleiben kann…“.

  • Lieber Wilfried,

    ich kenne keinen bayerischen Brief, bei denen die Optik sich so diametral zum Inhalt verhält, wie dieser hier. Der Inhalt ist für mich sensationell, allein schon auf den Bezug zu 1866 hin und wer hat schon je gelesen, was zu tun und zu lassen war, um nicht eingezogen zu werden?

    Dazu die Bestätigung im Text, dass ein Schlüssel verschickt wurde - das habe ich keine 5 mal bisher gelesen und der Brief war nicht mal eingeschrieben ...

    Ein Schmankerl aus dem Krieg, von dem ich sehr froh bin, dass es beim Richtigen in der richtigen Sammlung gelandet ist. :):):)

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo zusammen,

    und tja, da trieb jemand anscheinend so ein bischen das schlechte Gewissen.

    Warum der Herr "Julius" zuvor einmal ein Bürger ohne Rechte war wissen wir nicht. Solche blieben jedenfalls auch von gewissen Pflichten befreit, u.a. von der Wehrpflicht. Das geht noch bis auf das Mittelalter zurück. Nachdem man "Julius" nun aber zum Bürger werden gelassen hatte - was sicherlich nur gut gemeint war - gab es nur noch die Möglichkeit einer Befreiung von der Legionspflicht, was es bspw. für untergeordnet Bedienstete in der Forstwirtschaft gab:

    https://books.google.de/books?id=dPREA…pflicht&f=false

    Möglicherweise hat man hier einen ähnlichen Ausweg gesucht, weil man sich - wie es gegen Ende des Schreibens Anschein nimmt - wohl nicht (mehr) sicher war, dass man (noch) einen Ersatzmann stellen konnte. Diese Möglichkeit, wie auch besagte Auslosung wurden nach Erlass des neuen Wehrgesetzes des Königreichs Bayern vom 30. Januar 1868 endgültig abgeschafft, welches in seinem Artikel 3 knapp und klar bestimmte:

    Jeder Bayer ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen.

    https://books.google.de/books?id=X6ZBA…epage&q&f=false

    Ralph, wieder mal gute Tat getan, denn das hier ist schon "very, very special" und passt kaum wo anders hin, als genau in diese Sammlung.

    Viele Grüße

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • So isses, Tim, so isses.

    Toll, was du da wieder heraus gefunden hast. :thumbup::thumbup:

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Einer geht noch...

    Im Krieg von 1866 sehr später Bareinzahlungs-Begleitbrief „Durch Einzahlung 3f. drey Gulden“, als Feldpostbrief vom Schultheißenamt im württembergischen Wellendingen bei Rottweil am 13.8.1866 mit der Fahrpost zur finanziellen Unterstützung durch seine Heimatgemeinde an den Soldaten Karl Flammer in der 4. Kompanie des 1. Württembergischen Infanterie-Regiments gesandt.
    Das 1. württembergische Regiment „Königin Olga“ unter Oberst v. Starkloff war am Gefecht von Tauberbischofsheim am 24.7.66 beteiligt. Nach Beendigung der Kampfhandlungen hatte die württembergische Division am 7.8. den Befehl zum Rückmarsch in die Heimat erhalten. Ein genauer Ort, an dem sich das 1. IR um den 13.8.1866 auf seinem Rückweg aufhielt, wird in Unkenntnis der Lage der heimkehrenden Truppen nicht angegeben; stattdessen wird „Ausmarschiert“ angegeben, was für die Zustellung durch die Feldpost jedoch ausreichend war. Leider ist dem Brief kein Zustellungsort und damit der Standort des Soldaten am 14.8.66 (vermutlich Tag der Zustellung) zu entnehmen. Am 13.8.1866 war der Friedensvertrag zwischen Preußen und Württemberg in Kraft getreten und man kann davon ausgehen, dass sich das 1. IR am 14.8. nicht mehr weit von seiner Garnison in Stuttgart befand.
    Lieber Karl Flammer,
    ich übersende dir von der Gemeindepflege Wellendingen 3 f. Ich bitte deshalb mich auf das gegenwärtige quittieren zu wollen. Weil ich weiß daß du die Verhältnisse in Wellendingen ganz gut weißt so will ich mein Schreiben schließen und grüße dich viel mahl und wünsche daß du in der Bälde gesund und wohl in unser Mitte bist.

    Wellendingen 12. August 1866, Gemeindepfleger Hugger


    Darunter hat der Soldat Flammer den Empfang des Geldes quittiert:
    „Mit Dank erhalten 3 f. Karl Flammer“


    Eine Postordonnanz hat wohl den Brief nach Geldauszahlung und Empfangsbescheinigung durch den Adressaten zum Feldpostamt als Bestätigung für die Geldvorlage aus der Regimentskasse gebracht, wonach das FPA mit der Regimentskasse abgerechnet hat. Ob der Brief letztendlich beim Feldpostamt oder bei der Regimentskasse verblieb, ist unklar.

  • Lieber Wilfried,

    Feldpostbriefe der Fahrpost aus dem 66er Krieg sind große Seltenheiten - wohl dem, der einen zeigen kann. :thumbup::thumbup:

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • ... und doch noch einer:

    Am 8.8.1866 über das preußische Feldpost-Relais No. 16 in Hannover gesandter Paketbegleitbrief von Stabsarzt Dr. Knorr an die Inspektion des Städtischen Krankenhauses in Hildburghausen mit Vermerk „Anbei ein Chirurgisches Amputations-Besteck“, dort am 10.8.66 eingetroffen.

    Die Angabe „v. d. Feldp.-Exp. d. Kav.-Dv. d. 3. A.C.“ belegt die Herkunft des auf dem Brief angebrachten Paketnummernaufklebers von der Feldpost-Expedition der Kavallerie-Division des preußischen III. Armee-Korps. Bei der Verwendung durch das Feldpost-Relais am 8.8.1866 wurde dann mittels Streichung und handschriftlicher Angabe „Relais Hannover“ korrigiert.

    Die Feldpost-Expedition der Kavallerie-Division des III. Armee-Korps wurde zu Beginn des Krieges dem Manteuffel’schen Korps zugeordnet (D. Friedewald: Die Stempel der mobilen Feldposteinrichtungen der preußischen Armeen in West- und Süddeutschland im Jahre 1866. DASV Rundbrief 506, Juni 2016).

    Das nach der Besetzung von Hannover am 17.6. eingerichtete Feldpost-Relais hat dort offensichtlich – neben anderem Inventar – auch postalische Aufkleber von der sich in diesen Tagen noch in der Nähe befindlichen Feldpost-Expedition der Division Manteuffel übernommen, welche sich dann am 21.6.1866 an der Verfolgung der hannoverschen Armee nach Süden beteiligte, wo es dann bekanntlich am 27.6.1866 zur Schlacht von Langensalza kam.

  • Liebe Sammlerfreunde,

    hierzu kann ich folgende gebührenfreie Wertpaketbegleitbrief(hülle) für ein 6 Pfund 20 Loth schweres Wertpaket, Wert 6 Gulden, vom kgl. sächsischen Feldpostamt, das sich in Österreich befand nach Mödling (Österreich) mit Aufgabestempel "K. SÄCHS.FELDPOST-AMT" vom 6.9.1866. Aufgabezettel "Kgl. S. Feldpostamt". Am 21. Oktober 1866 wurde ein Friedensvertrag zwischen Preußen und Sachsen geschlossen und Anfang November 1866 erfolgte der Rückmarsch der Sächsischen Truppen von Österreich nach Sachsen. Gleichzeitig erfolgte die Auflösung der Sächsischen Feldpost.

    Beste Grüße von VorphilaBayern

  • Hallo Hermann,

    es ist bei 1866 ja schon ein prächtiges Durcheinander, wer da wo den Bundestruppen dienlich war. Ein Beweis: Dein Beleg. Dieser war adressiert an das Kriegsgericht der Königlichen Leib-Brigade. Dazu hier noch folgende, recht interessante Quelle:

    https://www.archiv.sachsen.de/archiv/bestand…bestandid=11326

    Die Seite hat oben mehrere Karteiordner, bitte dort den mit "Einleitung" anklicken.

    Viele Grüße !

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis