• Liebe Sammlerfreunde,

    in den letzten Wochen habe ich aus der belgischen Bucht einige Portobriefe gefischt, die im Jahr 1862 aus Italien in die Schweiz gelaufen sind. Auf den ersten Blick nichts Spektakluläres. Im Gegenteil, die Briefe sehen alle sehr ähnlich aus. Sie stammen alle aus der gleichen Gegend Italiens (Toskana) und sind alle an eine fast jedem Postgeschichtler bekannte Adresse in der SChweiz gerichtet, die Firma Isler in Wohlen.Alle wurden mit 40 Rappen taxiert. Aber in den Details gibt es interessante Unterschiede.
    Heute möchte ich zwei Briefe zeigen, die vom gleichen Absender in Prato unfrankiert abgeschickt wurden, einmal am 20. April 1862, zum Anderen am 18. August 1862. Der erste Unterschied ist die Größe des Aufgabestempels PRATO. Der Beförderungsweg war identisch. Beim ersten Brief ist er auf der Siegelseite besonders gut dokumentiert: Florenz (20.04.1862), Mailand (21.04.1862), Bahnpost UFF. AMB. MILANO - COMO (2) - auch wenn wir dank stampmix wissen, dass die Eisenbahn noch gar nicht bis Como fuhr, sondern in Camerlata Schluss war - Schiffspost auf dem Vierwaldstätter See (SCHIFFSBUREAU / LUZERN vom 22.04.1862, Luzern (22.04.1862), Aarau und schließlich Wohlen (23.04.1862). Nicht durch Stempel dokumentiert sind die Etappenorte Bologna, Grenzübergang bei Chiasso, Bellinzona, St. Gotthard. Auf der Siegelseite des zweiten Briefes befinden sich zwar weniger Stempel. Sie belegen aber den gleichen Beförderungsweg.
    Bedeutsam ist der Unterschied in der vertraglichen Grundlage für die Taxierung. Beim ersten Brief ist das der Postvertrag Sardinien - Schweiz von 1851 in der revidierten Fassung von 1859. Danach war es dem Absender freigestellt, ob er den Brief frankierte oder die Bezahlung dem Adressaten überließ. Die Gebühr betrug in beiden Fällen 40 Cent. = 40 Rappen je 10 g. Mit dem neuen Postvertrag Italien - Schweiz, der am 01. Juli 1862 in Kraft trat, wurde ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Verwendung von Briefmarken sollte gefördert werden. Die Gebühr für frankierte Briefe wurde auf 30 Cent. je 10 g gesenkt. Für Portobriefe blieb sie unverändert bei 40 Rappen (= 40 Cent.). Die beiden Briefe liegen kurz vor bzw. nach diesem Wechsel.

    Beste Grüße
    Jürgen

  • Lieber Italienfreund,

    7 saubere Stempel auf einer Siegelseite ist Luxus pur für jeden Postgeschichtler. Da kann ich dir nur zu diesem Brief bzw. Pärchen gratulieren.

    Korrespondenzteile oder gar ganze Korrespondenzen abzugreifen ist immer höchst interessant, weil man sehr gut nachverfolgen kann, was sich im Laufe der Zeit geändert hatte, auch wenn es oft darüber weder Primär-, noch Sekundärliteratur darüber gibt.

    Von Langeweile zu reden verbietet sich für den avencierten Postgeschichtler bei mulitnationalen Briefen sowieso.

    Ich hoffe, wir sehen deine anderen belgischen Erwerbungen auch noch. :P

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Sammlerfreunde,
    heute zeige ich zwei weitere Briefe aus diesem Fang. Beide liefen in der Zeit kurz vor Ende des älteren Vertrages am 30 Juni 1862.
    Der erste Brief wurde am 04. Mai 1862 in Livorno aufgegeben. Er lief insbesondere in Italien auf einer anderen Route als die gestern gezeigten: nämlich über Genua (Stempel GENOVA 05.05.1862 - sicherlich auf dem Landweg), mit der Eisenbahn nach Arona, mit dem Schiff auf dem Lago Maggiore (Stempel VERBANO) bis Magadino, nach BELLINZONA (06.05.1862), über den St. Gotthard, mit dem Schiff über den Vierwaldstätter See (Stempel SCHIFFSBUREAU / LUZERN 07.05.1862) nach LUZERN (07.05.1862), nach AARAU (08.05.1862) und schließlich nach WOHLEN (08.05.1862)

    Bei dem zweiten Brief handelt es sich um eine Warenprobe ("Échantillons ... sans Valeur" - Muster ohne Wert), wobei sogar angegeben ist, woraus das Muster bestand, aus "paille" (Stroh), was bei dem Adressaten nicht verwundert. Die Gebühr entsprach derjenigen für Briefe (40 Cent. = 40 Rappen, unabhängig davon, ob frankiert oder unfrankiert), jedoch war die Gewichtsprogression ab 01. Dezember 1859 je 20 g. Der Laufweg war wieder ein anderer. Aufgegeben am 09. Juni 1862 in Florenz ging es zunächst über Bologna nach Mailand (Stempel MILANO 09.06.1862), dann nach Como und mit der Schiffspost über den Comer See (Stempel LARIO 10.06.1862) nach Cólico, dann nach CHIAVENNA (10.06.1862) und über den Splügen-Pass in die Schweiz. Dort erfolgte die Beförderung mit der Bahnpost CHUR-ZÜRICH / Z48 (11.06.1862). In WOHLEN kam er am 12.06.1862 an.

    Insbesondere diese unterschiedlichen Beförderungswege machen für mich den besonderen Reiz dieser auf den ersten Blick unscheinbaren Briefe aus.

    Beste Grüße
    Jürgen

  • Hallo Italienfreund,

    Glückwunsch zu diesen Briefen. Sehr spannend finde ich die unterschiedlichen Laufwege, kannst Du Dir erklären warum einmal über den Gotthard und einmal über den Splügen?

    Viele Grüsse
    Christian

  • hallo zusammen,

    diese Briefe dokumentieren in hervorragender Weise die unterschiedlichen Möglichkeiten des Alpentransits zwischen Zürich und Mailand/Turin.
    Es bestand von "Italienischer Seite" ein starkes Interesse, den Verkehr über den Splügenpass zu leiten, was sogar dazu führte, dass man beim Ausbau der Straße über den Splügenpass die Strecke zwischen Passhöhe und Splügen, die auf Schweizer Gebiet liegt, auf eigene Kosten ausbaute.


    mit bestem Gruss
    stampmix

    Einmal editiert, zuletzt von stampmix (23. Januar 2015 um 14:49)

  • Hallo stampmix,

    danke für Deine Einschätzung.

    Es bestand von "Italienischer Seite" ein starkes Interesse, den Verkehr über den Splügenpass zu leiten, was sogar dazu führte, dass man beim Ausbau der Straße über den Splügenpass die Strecke zwischen Passhöhe und Splügen, die auf Schweizer Gebiet liegt, auf eigene Kosten ausbaute.

    Kannst Du den Grund nennen, für das Interesse Italiens über den Splügen zu leiten?

    Viele Grüsse
    Christian

  • hallo Leitwege,

    "den" Grund wird es wahrscheinlich nicht geben. Hier muss ich erst nochmals nachlesen.

    Vorab die Passgeschichte zum Reinschnuppern in das Thema. Beim Ausbau der Splügen-Passstraße waren 1822 machtpolitische Gründe der Habsburger maßgebend, aber auch Mitte des 19.Jahrhunderts gab es eine Planung für eine Eisenbahnstrecke über den Splügen und die Entscheidung zur Gotthardstrecke musste auf Absprachen mit Sardinien-Piemont Rücksicht nehmen.

    mit bestem Gruss
    stampmix

    PS.: Es gab noch bessere Ideen, wie zum Beispiel den Splügenkanal ....

  • Hallo stampmix,

    danke für diese interessante Lektüre.

    Ein Grund war wohl in den 20er Jahren des 19.Jhdt. die Konkurrenz zum St.Bernadino-Pass, der eher in Richtung Sardinien ging, genauso wie der Gotthard. Die Lombardei hatte hier also den Splügen favorisiert.

    Sardinien war aber doch gar nicht involviert, wenn es über Bellinzona und Chiasso ging, auch Mitte der 19.Jhdt. war Sardinien eigentlich gar nicht beteiligt. Sardinien kam doch nur ins Spiel wenn es über den Lago Maggiore ging. Oder was waren das für Absprachen mit Sardinien?

    Meine Einschätzung von den Leitwegen Lombardei/Italien nach Norden Mitte des 19.Jhdt war bisher folgende:

    -über den Gotthard nach Frankreich, Benelux, Westschweiz, Basel, Baden und nördlich
    -über den Splügen (nicht 100% beweisbar, könnte auch der Bernadino gewesen sein, weil ich den Splügen-Stempel erst 2x gesehen habe)
    nach Württemberg, Bayern.


    Viele Grüsse
    Christian

    Einmal editiert, zuletzt von Leitwege (23. Januar 2015 um 20:40)

  • Hallo Leitwege,

    Meine Einschätzung von den Leitwegen Lombardei/Italien nach Norden Mitte des 19.Jhdt war bisher folgende:

    -über den Gotthard nach Frankreich, Benelux, Westschweiz, Basel, Baden und nördlich
    -über den Splügen (nicht 100% beweisbar, könnte auch der Bernadino gewesen sein, weil ich den Splügen-Stempel erst 2x gesehen habe)
    nach Württemberg, Bayern.

    das würde ich nicht so absolut sehen. Neben dem "Zielgebiet" spielte u.a. das Herkunftsgebiet in Italien eine Rolle, daneben auch andere Kriterien.
    Der Stempel "Splügen" ist meiner Meinung nach ohne Relevanz, da beide Pass-Routen durch den Ort Splügen führten.

    Ich kann nur Aussagen für Briefe aus Italien nach Deutschland und in die (Nord-)Schweiz für den Zeitraum 1861 bis 1875 treffen. Dabei ergeben sich aus den Stempeln auf der Siegelseite der Briefe folgende Kriterien:
    1. Beförderung über den Splügen: italienische Stempel der Schiffspost auf dem Comer See und/oder Stempel von Chiavenna. Letzterer hat ein charakteristisches Zierstück, ist daher auch zu identifizieren, wenn der Ort unleserlich ist.
    2. Beförderung über den San Bernardino: Stempel von Bellinzona und Stempel von Chur - meist Bahnpost
    3. Beförderung über den St. Gotthard: Stempel Bellinzona und Stempel von Luzern, auch Schiffspost auf dem Vierwaldstätter See.

    Ich werde meine Belege demnächst im Detail auswerten. Das dauert aber noch etwas, da ich zwei weitere Briefe aus der Isler-Korrespondenz gestern erworden bzw. beboten habe. Und dann bin ich einige Tage mit Frau und Tochter im Erzgebirge.

    Beste Grüße
    Jürgen

  • Hallo, liebe Sammlerfreunde,

    heute hat mich ein dicker Brief aus Frankreich erreicht. Inhalt 28 Portobriefe, alle aus Italien an die Firma J. Isler in Wohlen adressiert, alle aus dem Jahr 1862 (von Januar bis Dezember). Zusammen mit den 10 Briefen die ich in den vergangenen Monaten von der gleichen Quelle erwerben konnte, habe ich nun ausreichend Material für eine systematische Auswertung. Denn auf den Siegelseiten aller dieser Briefe befinden sich jeweils mehrere Stempelabschläge bis zu 8 Stück). Damit lassen sich Leitwege rekonstruieren.

    Einen besonders interessanten Beleg zeige ich heute schon einmal vorab. Es handelt sich um ein Muster ohne Wert, das am 19. September 1862 aus Prato in der Toskana nach Wohlen auf den Weg geschickt wurde, befördert über Mailand, Como, den St. Gotthard, den Vierwaldstätter See, Luzern erreichte es Wohlen am 22. September 1862. Die Besonderheit des Beleges besteht darin, dass die eingeschlossenen Muster mehrheitlich noch vorhanden sind! Es handelt sich um wunderschönes Strohgeflecht.

    Beste Grüße
    Jürgen

  • Hallo Jürgen,

    das ist ja wie ein Sechser im Lotto...28 Portobriefe aus Italien, Glückwunsch.

    Zu deinem ersten, rückseitig meine ich eine "Firenze" Stempel erkennen zu können, also über Florenz, oder?

    Kannst du was zu dem "Massa..."-Stempel sagen?

    Viele Grüsse
    Christian

  • Hallo Christian,

    es handelt sich um den Bahnpoststempel "AMB.MASSA-FIR. N.2", der von Februar 1861 bis Dezember 1863 auf der Strecke Massa (Carrara) - Florenz
    im Einsatz war.

    Beste Grüße
    Jürgen

  • Werte Sammlerfreunde

    Ich möchte Euch zur Abwechslung ein "junger" - noch nicht mal 100-Jähriger – Bahnpostbeleg, der durch den Simplontunnel geleitet wurde, vorstellen

    Express-Bahnpostbrief vom 13. IV.1923 vom Spediteur Jacky Mäder & C.IA in Domodossola an das Warenbüro der Schweizerischen Bundesbahnen ("C.F.F.") in Brig. Vorderseitig frankiert mit einem 4er Block blauer italienischer 25 Centesimi Marken (Sassone Nr. 90) und einer Expressmarke (?) über 1.20 Lira. Rückseitig erneut 3 x 25 Centesimi Marken und eine grüne 5 Centesimi Marke (Nr. 88). Damit wurden insgesamt für diesen Eibotenbrief durch den Simplontunnel Marken für 3 Lire verwendet.

    Speziell ist die postalische Behandlung dieser italienischen Marken. Denn vorderseitig wurde auf jeder Marke der schweizerische Bahnpoststempel "AMBULANT/ 13.IV 23 --37", wohl verwendet im grenzüberschreitenden Bahnpostverkehr und rückseitig der Ankunftsstempel "BRIG (BRIGUE)/ 13.IV 23-14/II/(WALLIS)" auf den italienischen Marken angebracht.

    Für diesen Brief aus meiner Simplon(tunnel)-Sammlung ergeben sich folgende 2 Fragen:

    • Wer kennt die italienische Expressmarke (?) über 1.20 Lira und was ist dazu zu sagen (Sassone Nr.)?
    • Kann jemand den verklebten Tarif von 3 Lire herleiten und bestätigen?

    Sammlergruss

    Valesia

  • Hallo Valesia,

    die Eilmarke hat im SASSONE-Katalog die Nr. 5. Sie wurde am 03. Oktober 1921 herausgegeben und war bis zum 31. Juli1924 gültig. Im SASSONE 2007 wird sie auf Brief mit 175,00 € bewertet.

    Der italienische Auslandstarif war 01. Januar 1923 bis zum 31. Dezember 1925: Brief (bis 20 g) 1,00 Lira, Eilgebühr 2,00 Lire.

    Die Eilmarken (wie auch Portomarken, Rohrpostmarken ...) werden im SASSONE gesondert katalogisiert. Daher die niedrige Nummer.

    Beste Grüße

    Jürgen