Der deutsch-französische Krieg 1870/71

  • Guten Morgen zusammen,

    der Beleg anbei kommt diesmal aus der Etappe, d.h. deren Kommandantur in Landau. Allerdings wird es einem da wieder mal nicht gerade einfach mit gemacht. Der für bayerische Verhältnisse ungewöhnliche Rundstempel zeigt nur, dass es eine "Königliche Etappen-Kommandantur" ist, so dass es auch eine von den preusischen Teilen der III. Armee eingerichtete gewesen sein kann. Der Absender outet sich dann leider auch nicht einer bestimmten Einheit zugehörig, eine bayerische wird es nicht gewesen sein, da die Karte an die Frau nach Nordhausen (damals preuss. Provinz Sachsen) gegangen ist. Hier erst einmal der Inhalt:

    Frau Bertha Lehmann

    Rautenstraße

    Nordhausen Prov. Sachsen

    Besten Gruß, bis sehr nachl. Brief folgt durch Herrn Salfeld.

    Habe mich mit Deinem Brief sehr gefreut. Eben passiert ???eut. von ?lehten mit einem gefangenen französ. General den hiesiegen Bahnhof. Grüße u. Küsse unser Kindchen

    Adieu

    Dein ???

    Dass man hier eine weitere Person (Salfeld) einschaltet, die einen Brief nachfolgen lässt, deutet darauf hin, dass es sich möglicherweise um einen Helfer eines zivilen Hilfsvereins gehandelt hat, der sich für die Portfreiheit der Brief-Ankündigungskarte zu erlangen, des Truppenstempels des Etappenkommandos bediente. Für so jemand war das natürlich auch spannend zu sehen, dass sich ein kriegsgefangener General des Gegners auf dem Bahnsteig in Landau die Füsse vertreten hat. Es ist zu dessen Begleitung ein dem Absender bekannter Lieut. (???) von Slethen, Clehten oder ähnlich dabei, den zu ermitteln sehr hilfreich wäre.

    In den Offiziersranglisten Preußens habe ich allerdings einen derartigen Namen nicht finden können. Da die Karte zwei Tage nach der Schlacht von Sedan aufgegeben worden ist, kann es sich bei dem von ihm begleiteteten Gefangenen bspw. um Brigadegeneral Gaston Alexandre Auguste Marquis de Galliffet - von Juni 1899 bis Mai 1900 für kurze Zeit Kriegsminister Frankreichs - gehandelt haben. Er hatte sich bei der Schlacht von Sedan bei den Gegenangriffen auf preussische Einheiten bei Floing ausgezeichnet, ist aber nach der Kapitulation in Gefangenschaft geraten. Aber das ist wirklich nur spekulativ.

    Viele Grüße

    vom Pälzer

  • ???eut. von ?lehten

    Lieber Tim,

    da der Verfasser bei Namen und Orten die lateinische Schrift (oder was er dafür hielt) verwendete, gibt es leider im Text kaum Vergleichsmöglichkeiten.

    Bei Salfeld lese ich hinten noch ein "t", also Salfeldt .

    Auch ist der Lieut. ziemlich klar.

    Der Anfangsbuchstaben von dessen Nachnamen sieht am ehesten wie ein S aus (wie in Salfeldt), könnte aber natürlich auch ein C oder ein F (mit vergessenem Mittelstrich) sein.

    Bei der Unterschrift muss ich auch passen; vielleicht ist es eine Abkürzung mit einem großen L am Anfang (wie bei Lehmann).

    Viele Grüße

    Gerd

  • Guten Abend zusammen,

    und ich danke zuerst einmal Will für die Korrektur, die mir so jetzt ganz gewahr geworden ist. Harald: Ein "von Hessen" finde ich als Lieutenant leider weder in der bayerischen noch preussischen Rang- und Quartiersliste. Aber das macht nix. Da ich ein absoluter fan vom Ausschlussprinzip bin, danke ich auch hierzu recht herzlichst. Man muss alles denkbare betrachten. Den vom guten Gerd bestätigten "Lieut.(enant)" nehme ich definitiv an, da das "i" von "Adieu" genauso (komisch) geschrieben daherkommt und es ansonsten wohl auch gar keinen anderen Sinn machen würde. Aber man findet den/einen "passenden" Lieutenant dazu im Moment nicht.

    Also bleibt es erst mal dabei, wie von unserem ex-Chef vom Pfalzsammler Wilfried Berger verinnerlicht: Dazu jetzt nix behaupten, besser abwarten und es vielleicht später einmal noch weiter auflösen (können).

    In diesem Sinne besten Dank an Alle, beim kommenden Beleg ist dafür alles restlos recherchiert und wird - zu Recht - ein wenig Platz einnehmen.

    Viele Grüße

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • wobei immer noch ungeklärt ist wie der Mann tatsächlich hieß :(

    Tja, da hätte ich einen Kanidaten, Namens Leo Lehmann.

    Der Absender bittet Frau Lehmann die Kinder von ihm einen Kuß zu geben, da gehe ich mal davon aus, dass er an seine Ehefrau geschrieben hat.

    Wenn wir jetzt uns nach dem heutigen "Thüringen" begeben, nach Nordhausen in die Rautenstraße 7, da wohnte ein Kaufmann Leo Lehmann, Tuch- und Manufacturenwaaren-Handlung. Und damals lag Nordhausen in der Provinz Sachsen.

    Dann suchen wir unter den Kriegsbeteiligten eben jenen Leo Lehmann und finden einen solchen im

    3. Thüringischen Infanterie-Regiment Nr. 71 unter Generalmajor von Keßler, 4. Armeecorps (Thüringer und Magdeburger).

    Leo Lehmann ist im "Gedenkbuch an den Deutsch-Französichen Krieg 1870-71 für die deutschen Israeliten" aufgeführt.

    Und zu Herrn Salfeld: In Nordhausen sind gemeldet August und Ludwig Salfeld, jeweils Kaufmann, Firma Salfeld & Stein, wobei Ludwig u.a. Direktor der Nordhausen-Erfurter Eisenbahn war. Übrigens, wohnten die Herren auch in der Rautenstraße 308/338. *

    Diese Recherche hat etwas gedauert - man hofft immer was zu finden - und endlich nach vielen Versuchen ein Treffer. Und dann wurde es spannend, weil über die Adresse - Rautenstraße - eine Zuordnung möglich war. Was ich nicht weiterverfolgt habe, ist, ob es zu Leo Lehmann im Kriegsverlauf Nachrichten gibt bzw. wo sich das 71. Regiment zum Zeitpunkt des Schreibens der Karte befand. Ich hoffe, dass alles was ich so herausfand und interpretierte auch richtig ist.

    Luitpold

    * ;) https://nordhausen-wiki.de/wiki/Rautenstra%C3%9Fe_(Nordhausen)

  • Nachtrag zur Post in Nordhausen (aus der Cronik der Stadt Nordhausen 1876):

    Jetzt sind für die Brief- und Zeitungs-Bestellung 7 Briefträger angestellt, deren Dienst durch die bestehenden örtlichen Verhältnisse (bergige Straßen und weite Entfernungen innerhalb des Stadtgebiets) sehr erschwert wird. Seit April bezw. Juli 1872 gelangen auch die Geldbriefe im Einzelwerthe bis 1500 Mark und die Beträge auf Post an weisungen täglich 2 Mal zur Bestellung. An Sonn- und Festtagen fällt die dritte Bestellung weg. Im Durchschnitte werden täglich 2480 Stück Briefe bestellt, darunter 237 Zeitungen, mithin entfallen auf jeden Briefträger täglich 354 Stück. Die Summe der von den Briefträgern bestellten Postanweisnngsbeträge und der von denselben eingezogenen baaren Gelder von Postaufträgen steigt zeitweise bis auf 20,000 Mark täglich im Ganzen. An Bestellgebühren sind im Jahre 1874 1124 Thlr., im Jahre 1875 1235 Thlr. = 3705 Mark aufgekommen. Die Zahl der abholenden Correspondenten ist 135.

  • Lieber Werner,

    super Informationen - 3malige Zustellung 1870er Jahre. Davon träume ich Nachts, tagsüber, an Wochenenden und an Sonn- und Feiertagen.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Guten Abend zusammen,

    das ist natürlich wieder einmal eine reife Leistung von unserem Luitpold, vor der ich mich verneige. Ja der hier:

    Leo Lehmann
    Genealogy profile for Leo Lehmann
    www.geni.com

    ...ist`s dann eindeutig als Absender gewesen. In dem besagten Buch ist ihm kein Rang zugewiesen, in den Offiziersranglisten findet man ihn nicht, also muss er einen Unteroffiziers- oder Mannschaftsdienstgrad innegehabt haben. Das IV. Armeekorps und damit auch seine 71er sind zwar nicht über Landau nach Frankreich gegangen. Aber das macht nichts.

    Auch wenn die Bahnlinie Saarbrücken - Remilly (vor Metz) schon am 13. August wieder intakt war, so ist zu dieser Zeit noch enorm viel Nachschub über die Linie Landau - Winden - Wissembourg - Brumath - Nancy in die Großkampfgebiete um Metz / Sedan gegangen, so dass es durchaus denkbar ist, dass auch ein 71er in der Landauer Etappen-Kommandantur beschäftigt war.

    Die Regimentsgeschichte der 71er ist bestellt, mal sehen, ob damit dann noch tiefer gebuddelt werden kann. Ich danke nochmals allen, die sich so toll für die Sache hier engagieren, das schier Unmögliche möglich machen. Das ist schon allererste Bundesliga.

    Beste Grüße

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • ...nun, es kann zunächst davon ausgegangen werden, dass jener der gleichen Einheit angehörig war, wie der Verfasser. Es gibt zwar als Adjudant des Regimentskommandeurs (Oberst Krupp) einen Seconde-Lieutenant Hesse, der auch von seiner Funktion her als Begleiter eines kriegesgefangenen Generals des Gegners eng in Betracht kommt. Aber es fehlt das "von" in der Karte und der bestellten Regimentsgeschichte wollte ich da auch noch nicht vorgreifen. Warten wir es bis dahin einfach noch etwas ab.

    + Gruß

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Warten wir es bis dahin einfach noch etwas ab.

      

    Bis dahin mal eine Meldung, weil oben die Schlacht von Sedan erwähnt wurde.

    Erstaunlich ist der Kartentext insofern, dass es wohl nur ein "Lebenszeichen" war und der angekündigte Brief hätte uns sicherlich mehr erzählt, was Leo nach Landau gebracht bzw. er gemacht hat.

    Übrigens Feldpost. Eine unglaubliche Leistung, was diese vollbracht hat. Dazu folgende Bekanntmachung:

    Bekanntmachung.

    Adressierung der Feldpostsendungen.

    In dem gegenwärtigen Feldzuge werden öfter durch Zusammenlegung verschiedener Landwehr-Bataillone kombinierte Landwehr-Infanterie-Regimenter gebildet, wie z. B. die vier kombinierten Brandenburgischen, die kombinierten Pommerschen und Posenschen Regimenter, das kombinierte Magdeburgische Landwehr-Regiment. Mitunter wird ein Bataillon - wie dies z. B. bei dem Reserve Landwehr Bataillon Nr. 39 (Barmen) geschehen ist - auseinandergezogen; die Compagnien treten in andere Bataillonsverbände und wechseln vollständig ihre Bezeichnung. Eben so tritt der Fall ein, dass Ersatz-Compagnien, deren Regimenter mobil sind, Landwehr-Bataillonen anderer Provinzen zugeteilt werden. Beispielsweise führt das frühere Bataillon Crossen 2. Brandenburgischen Landwehr- Regiments Nr. 12. jetzt die Bezeichnung: 2. kombiniertes Brandenburgisches Landwehr-Regiment (Bataillon Crossen) « die frühere: »1. Compagnie Reserve - Landwehr Bataillons Nr. 39 (Barmen) jetzt die Benennung: 5. Compagnie 2. Bataillons (Unna) 3. Westfälischen Landwehr Regiments Nr. 16a; die vormalige 3. Compagnie des Ersatz-Bataillons 7. Pommerschen Infanterie-Regiments Nr. 54. jetzt die Benennung: 6. Compagnie 1. Bataillons (Erfurt) 3. Thüringischen Landwehr-Regiments Nr. 71.« In allen solchen Fällen ist es für die pünktliche Überkunft der Feldpost-Sendungen unerlässlich, dass auf den Adressen die Bezeichnungen Infanterie-Regiment, Landwehr-Regiment, kombiniertes Landwehr-Regiment, Ersatz-Bataillon ect. in die Augen fallend angegeben werden, und dass insbesondere auch Sendungen an Militärs, welche zu den obengenannten kombinierten Regimentern gehören, oder deren Compagnien zu anderen Bataillonsverbänden übergetreten sind, insofern recht genau adressiert werden, als jedes mal der zuletzt gültige Bataillons-, Regiments- ect. Verband auf der Adresse ersichtlich gemacht werden muss. Namentlich ist dies bei Briefen an Militärs derjenigen Ersatz-Compagnien erforderlich, welche einem mobilen Landwehr-Regiment zugetheilt sind, mit ihrem eigenen mobilen Infanterieregimente also außer aller taktischen Verbindung stehen. Wenn obige Punkte unbeachtet bleiben, entstehen vielfache für die Korrespondenten wie für den Feldpostbetrieb sehr unangenehme Hin- und Hersendungen der Briefe und Pakete.

    Berlin, den 17. Dezember 1870. General-Postamt. Stephan.

    Schade fur uns heute, dass Leo das nicht schon auf der Karte so vermerkt hat (wußte Bertha die exakte Anschrift?)

    Luitpold