In meinem Beitrag heute geht es um ein Rätsel, das schon vor mehr als einem Jahrhundert gelöst wurde, und zwar - wie sollte es auch anders sein - vom Altmeister Paul Ohrt. Dabei geht es um die dritte (und auch die zweite) Briefmarken-Ausgabe von Oldenburg, die in meinen Augen aufgrund ihrer schlichten Eleganz, der Farben, und des verwendeten Steindrucks zu den schönsten altdeutschen Ausgaben gehört.
Ein Besonderheit der Marken dieser Marken ist, dass sie einen ‘Schönheitsfleck” haben - meist sogar zwei, manchmal aber auch gar keinen. Dabei spreche ich natürlich nicht von den oft vorkommenden Druckzufälligkeiten, die bei diesen Marken fast jede Marke zum Unikat machen, wenn man nur lange genug sucht. Nein, mir geht es heute um die Punkte, die man in den beiden Ovalen findet, in denen die Wertziffern platziert sind. Als neuem Sammler fielen mir diese zuerst bei der "moosgrünen" MiNr 10b auf, wo diese Punkte fast immer und auch sehr ausgeprägt vorkommen (Bild 1). Wie ich schon in einem anderem Beitrag vorschlug, sind sie fast schon ein Erkennungszeichen der 10b (es gibt geprüfte Stücke ohne diese Punkte, aber eher selten).
Bild 1: Eine MiNr 10b mit den typischen Punkten in den Wertziffer-Ovalen
Paul Ohrt vermutete schon vor langer Zeit, woher diese Punkte stammen - nämlich von Zirkeln, die eingesetzt wurden, um die linke und rechte Seite des Wappenovals zu zeichnen. Ich habe mir daher mal die Mühe gemacht, diese These digital nachzuprüfen, wie es sicherlich auch schon Paul Ohrt tat. Obwohl ich das Ergebnis erwartet hatte, verblüffte mich dann doch, wie genau die Punkte dort platziert sind, wo man das Standbein eines Zirkels erwarten würde (Mittelpunkt der “Fadenkreuze”, siehe Bild 2).
Bild 2: Punkte in Wertziffer-Ovalen stimmen mit Zirkelkreis links und rechts überein!
Vom Ergebnis ermutigt, versuchte ich dann, denselben Ansatz auf den oberen und unteren Bogen des Wappen-Ovals anzuwenden. Aber leider konnte ich keine weiteren Zirkelpunkte identifizieren (siehe Bild 3). Ich vermutete zunächst, dass der Zeichner des Markenbildes solche Punkte geschickt als Teil der Wappenzeichnung verborgen hatte; aber visuell gibt es dafür keine Anzeichen. Obwohl es möglich ist, dass die Wappenzeichnung über diese hypothetischen, “vertikalen” Zirkelpunkte hinwegging und diese “auslöschte”, glaube ich eher daran, dass der Zeichner den oberen und unteren Bogen von Hand zeichnete, nachdem er per Zirkel den linken und rechten Wappenbogen gezeichnet hatte. Dafür spricht im Fall der MiNr. 10b die linke, krumme Seite des oberen Bogens des Wappen-Ovals.
Bild 3: Keine Zirkelpunkte für den oberen und unteren Bogen des Wappen-Ovals erkennbar
Da ja bekanntlich die 3. Ausgabe Oldenburgs mit Hilfe der Druckplatten der 2. Ausgabe hergestellt worden sein soll - natürlich mit Ausnahme der neuen Wertsstufen zu 1/4 und 1/2 Groschen - versuchte ich als Nächstes, diese Überlieferung zu verifizieren. Und tatsächlich wurde ich schnell fündig: hier zwei Marken aus dem berühmten 12er-Block der MiNr. 5, der 1/3 Groschen Wertstufe der 2. Ausgabe. Ganz erstaunlich aber ist, dass nur eine der beiden Marken die beiden Punkte zeigt, die andere aber gar keine (siehe Bild 4)!!!
Bild 4: Zwei Marken aus dem berühmten 12er-Block der MiNr. 5 (6. Boker-Auktion)
Insgesamt enthalten nur 4 Marken des 12er-Blocks (siehe Bild 5) beide Zirkelpunkte; 2 Marken einen Zirkelpunkt; 2 Marken einen sehr schwachen Zirkelpunkt; und 4 Marken keinen Zirkelpunkt. Damit scheint klar, dass die Ausprägung der Zirkelpunkte entweder beim Drucken der Umdrucke entstanden sein muss, oder aber bei der Erstellung der Druckplatte aus der Umdruckplatte (vermutlich weil die Plattenunterlage leicht unterschiedlich hoch war).
Bild 5: Der berühmte 12er-Block der MiNr. 5 (6. Boker-Auktion)
Auf jeden Fall können die Zirkelpunkte bei der MiNr 5. als Feldmerkmale gelten, auch wenn sie bei MiNr. 10b fast auf dem Feld vorgekommen zu sein scheinen.
Warum aber dieser Unterschied zwischen beiden Ausgaben? Ein Vergleich des Drucks der MiNr. 5 und MiNr. 10b zeigt, dass der Druck der ersteren Marke meist feiner war. Meine Vermutung hierzu ist, dass dies vor allem and der verwendeten Farbe lag - bei der 10b ist der Druck “satt” und voll und brachte wegen der stärkeren Farbaufnahme der Steindruckplatte die Zirkelpunkte eher zum Vorschein. Dies würde gleichzeitig erklären, warum bei der helleren, blass Farbe der 10a diese Punkte nur selten, und oft nur einzeln, sichtbar sind - die Farbe der (blass-)blaugrünen 10a hatte vermutlich Eigenschaften, die der schwarzen Farbe der ersten Ausgabe ähnlicher war.
Dies könnte auch erklären, warum die 10b trotz ihrer klar sichtbaren “Punkte” an den Schalter kam - denn die Zeichner der MiNr. 5 hatten ihre Arbeit ja schon von Jahren getan, die MiNr. 10a war ohne Auffälligkeiten gedruckt worden, und die Drucker der 10b nahmen zurecht an, dass ihre Druckplatte völlig einwandfrei war. Mit dem Effekt der neuen Druckfarbe hatte also wahrscheinlich keiner gerechnet. Und an einer Nachbearbeitung der Platte hatte allein aus Kostengründen vermutlich niemand Interesse.
Nach diesen ersten Ergebnissen war ich natürlich neugierig, ob diese auch für die anderen Wertstufen der 2. und 3. Ausgabe gelten würden. Mehr dazu in meinem nächsten Beitrag...