Hallo Sammlerfreunde,
der nachstehende Beleg mit einer 3 Kr-Frankatur nach Philippsburg in Baden und einer Mi-Nr. 2II Pl.2b sieht schon ein wenig außergewöhnlich aus. Auch der Inhalt provoziert geradezu die Abarbeitung der sog. social philately. Fangen wir also mit dem Absender einmal an, der Tuchfabrik Jaques Oehlert in Neustadt Schönthal. Dieses Anwesen findet sich ca. 1,5 m westlich des Stadtzentrums am Südhang des Speyerbachtales als gelungenes und insofern denkmalgeschütztes Beispiel klassischer Industriearchitektur der Gründerzeit.
Die nachweislich bis auf das Jahr 1792 zurückgehende Liegenschaft wurde zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert in mehreren Bauabschnitten auf einem 17.000 Quadratmeter großen Grundstück errichtet. Die Lage war aufgrund der dort mit dem Speyerbach verbundenen Wasserkraft bestimmt, welcher sich auch einige holzverarbeitende Betriebe im Oberlauf bedienten. Ursprünglich versorgte ein Viadukt die in der Tuchfabkrik Oehlert eingesetzten Webstühle und Spinnmaschinen, welcher auf dem Briefkopf zwischen den beiden hoch aufragenden Pappelbäumen ersichtlich wird.
Im Jahre 1850 wurde im Kellerbereich eine Wasserturbine an einen dort vorhandenen Kanal angeschlossen. Evtl. schon kurz vor der Jahrhundertwende wurde eine einzylindrige 50 PS Dampfmaschine der Gebrüder Sulzer / Winterthur zum Einsatz gebracht. Vom gleichen Hersteller wurde dann ab 1900 bis 1911 eine zweizylindige Tandemmaschine mit Seilantrieb und 250 PS Leistung betrieben. Als Werk mit eigener Wäscherei, Färberei, Spinnerei, Zwirnerei, Weberei und Appretur (~Stoffveredlung) beschäftigte dieses zeitweise mehr als 300 Arbeiter und Angestellte.
In den 1860er bis 80er Jahren konnte sogar ein umfangreiches Exportgeschäft, vor allem nach Nordamerika erreicht werden. Das um 1830 errichtete Hauptgebäude war 1906 abgebrannt. Daraufhin wurde ein fünfschiffiges Hallengebäude aus Eisenträgern auf 3 Geschossebenen und dazu ein markanter Eckturm aus Ziegelsteinen und Sandsteinquadern errichtet. Nach Aufgabe der Produktion diente die Liegenschaft von 1962-1998 als Bundeswehr-Mobilmachungsdepot. Die solide Bausubstanz ist nun Ziel einer - unter Beachtung des Denkmalschutzes erfolgenden - Sanierungsplanung zu modernen Wohnungen (Lofts) und Büroeinheiten.
Mit freundlicher Unterstützung des Heimatvereins Philippsbug e.V. und des Stadtarchivs Philippsburg konnte ermittelt werden, dass es sich bei dem Adressaten, den Gebrüdern Will um ein Kaufmannsfamilie handelte, welche ihren Laden im Kernstadtbereich betrieb. Ich möchte mich an dieser Stelle nochmals recht herzlich für die von dort aus geleistete freundliche Unterstüzung bedanken. Dank schließlich auch an "el organisatore" Postgeschichte Kemser, immer mit Kennerblick unterwegs, auch für uns Linksrheinische.
+ Gruß
vom Pälzer