SÜDWEST 2016, 17.-19. Juni 2016 in Heidelberg-Kirchheim

  • Werte Freunde,

    von mir auch herzliche Glückwünsche an die erfolgreichen Aussteller.

    Ich denke man muss die Dinge recht ruhig betrachten. Soweit ich es verstehe entsprechen ja 85 Punkte einer Goldmedaille im Rang 1. Insofern wird sich sicherlich dreimal überlegt ob man im Rang 2 Gold bis oder über 84 Punkte gibt. Mir scheint das zur Psychologie zu gehören, auch wenn es für die Folge sicherlich keine Rolle spielt. Dieselbe Sammlung kann später ja auf Rang 1 von einer anderen Jury um einiges höher bewertet werden.

    Insofern wünsche ich allen viel Erfolg und auch Glück für die kommenden Ausstellungen. Und ich hoffe mehr Zeit zu haben die Sammlungen dann zu betrachten.

    Herzliche Grüsse,
    Simmerer

  • Hallo Simmerer,

    leider muss ich dir da ein wenig widersprechen.

    Weil du das Beispiel genannt hast, will ich darauf auch gerne eingehen. 85 Punkte im Rang 2 bedeuten Gold. Auch im Rang 1 winkt dasselbe Edelmetall. Aber ich hoffe, du glaubst nicht, dass eine Slg. im Rang 2 mit 85 Punkten auch im Rang 1 mit derselben Punktzahl abschneidet. Das ist, bei einer unveränderten oder kaum veränderten Sammlung, regelmässig nicht der Fall und das werden dir ehrliche Juroren auch genau so erklären.

    Wenn es 3 Sammlungen im Rang 2 gibt, wovon eine phänomenal, eine sehr gut und eine wirklich gut ist, dann würde man nach der Norm 90, 85 und 80 Punkte vergeben.

    Stehen diese Sammlungen dann im Rang 1 mit dort bereits prämierten Sammlungen, dann wird die erste Sammlung dort noch Gold holen können, die 2. aber sicher nicht mehr und über die 3. reden wir besser erst gar nicht.

    Sprünge von Rang zu Rang mit 3- 4 Punkten nach hinten sind üblich und weisen keineswegs Ungereimtheiten auf. Mir sind auch weit größere Punktverluste bekannt, die aber hier und da Ausreißer sein mögen.

    Das Hauptproblem des Ausstellungswesens sind der Hase und der Igel. Die internationale PO ist ein Hase, der sich in den letzten Jahren dank Achim Helbig, Karl Zangerle und anderen Vor- und Querdenkern rasant entwickelt hat, man denke nur allein an dieses Forum. Dem gegenüber haben wir einen Igel, der behäbig in der Wissensaufnahme, Anerkennung von Forschung und Erkenntnis ist, aber letztlich am längeren Hebel sitzt, also früher "ankommt" als der Hase und in Folge von Erkenntnismangel und dem Fehlen der Gabe der Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten zu Fehlurteilen bzw. Fehlbeurteilungen kommt.

    Mein Standardsatz lautet dazu: Ein schlechter Juror wird immer eine tolle Sammlung viel zu schlecht beurteilen, wie er gleichermaßen eine weniger gute Sammlung immer viel zu gut beurteilen wird. Dadurch nivelliert er, u. U. ohne es zu wollen, Klassesammlungen mit welchen, die einfach nicht zu zeigen sind, weil noch vieles fehlt, das sie ausstellungsfähig machen könnte. Die Folgen davon liegen auf der Hand:

    1. Die zu Unrecht abgewerteten Spitzensammlungen verleiten die Aussteller dazu ein für allemal "Adieu" zu sagen, was ich für den "worst case" halte.

    2. Betrachter, die nur über durchschnittliche PO - Kenntnisse verfügen, sehen sich über die vergebenen Punktebewertungen selbst in den Stand von Urteilenden versetzt und erliegen dieser irrigen Annahme umso mehr, je mehr Fehleinschätzungen sie zu Gesicht bekommen, bis sie selbst nicht mehr zwischen einer Topp- und einer Durchschnittssammlung unterscheiden können.

    3. Weniger gute Sammlungen mit relativ hoher Bewertung suggerieren ihren Eignern, den richtigen Weg gegangen zu sein, was natürlich nicht stimmt. Dergleichen Sammlungen lavieren sich u. U. jahrelang ganz passabel durch die niederen Ränge, ehe sie gnadenhalber oder aus Kulanz den Ritterschlag bekommen, der sie nominell befähigt, in den Rang 1 vorzustoßen. Geschieht dieses, stürzen sie i. d. R. gnadenlos ab.

    Als Folge von 3. schimpfen die Aussteller dann auf den Juror im Rang 1, der ihr einziger wahrer Freund war und ihnen reinen Wein einzuschenken wagte, während die Ahnungslosen zuvor all die Jahre salbaderisch formulierend und wertend froh waren, aus der Jurorennummer zu kommen, in der sie den armen Aussteller in einem subjektiven Glücksgefühl zurück gelassen haben.

    Infolge dessen wird a) entweder aufgegeben, obwohl man als Qualifizierter im Rang 1 sich die Ochsentour sparen könnte und umgehend mit der Optimierung seiner Sammlung loslegen sollte, oder b) so lange im Rang 1 ausgestellt, bis man in einem Akt der Gnade auch dort seine 85 Punkte endlich bekommt, um endgültig in der Versenkung zu verschwinden.

    Solange Juroren

    A) nicht lesen, was ihnen der Aussteller auf den "Anhörungsbogen" schreibt,

    B) nicht schauen, was er weiß und zeigt,

    C) von sich auf andere zu schließen für legitim halten und

    D) sich von jeder Fachliteratur erfolgreich frei machen, um sich dann umso intensiver auf Höchstwichtiges wie der Farbe der Umrahmungen, der Schrifttype Arial oder Garamond oder der Hinterlegung von Briefen einzuschließen,

    solange raten Laien über Punkte zu Sammlungen, deren Intention, Kennerschaft, Wert, Wissen und Schönheit sie nicht einmal im Ansatz cerebral verarbeiten können und folglich zu Ergebnissen kommen, die diejenigen, die von diesen Erbsünden des Jurorenstandes nicht befallen sind, auf die Knie sinken lassen, verbunden mit dem Wunsch an den Herrn, es Hirn regnen zu lassen. Ich habe mir mal die Mühe gemacht und speziell Sammlungen aus der Klassik begutachtet, die von Juroren der Ränge 2 und 3 ausgestellt worden waren und war erschüttert. Die allermeisten davon hätten bestenfalls eine Urkunde im Rang 3 verdient, wenn überhaupt. Aber dort wie überall auf der Welt wird der Name scheinbar zuerst gelesen und nach diesem die Bewertung vorgenommen, was mich zu glauben veranließ, dass das anonyme Ausstellen ein Schritt in die richtige Richtung sein könnte.

    Nun die übliche Lanze für Juroren und damit mein "audiatur et altera pars" in dieser Angelegenheit: Es ist per se kein einfacher Job, er ist mühevoll, anstrengend, zeitaufwändig und auch nicht gut = adäquat bezahlt, die Jugend mangelt auch hier und das Gekeife von untalentierten Unzufriedenen ist eine Musik, die besser hinter dem Haus gespielt werden würde. Mit dem Jurygespräch beim Aufbau, also vor dem eigentlichen Jurieren, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung gegangen worden (kam in HD bei mir leider nicht zum tragen, weil 43 PO Sammlungen dergleichen Wünsche obsolet werden ließen) und wenn ich Juroren wie Claus Petry, Kurt Kimmel oder Ludwig Gambert sehe, die einfach verstehen, was einer kann, weiß, will und hat, dann lächle ich schon wieder und hoffe auch auf diese Reaktion bei all denen, denen es ähnlich ging, ob im schönen Heidelberg, oder anderswo.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo bayern klassisch,

    mir scheint mein Gedanke war nicht klar formuliert. Ich denke nicht, dass man mit 85 Punkten im Rang 2 automatisch 85 Punkte im Rang 1 bekommt. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass eine Rang 2 Jury "85 Punkte" als eine "zusätzliche" Grenze sieht. Es sollte sicherlich nicht so sein ...

    Gleichzeitig denke ich, dass ein exzellente Sammlung (es scheint ja dass jeder, auch wenn die Sammlung nur aus Krachern besteht, ganz unten anfangen muss) mit der "richtigen" Jury - die die Sammlung wirklich einschätzen kann - im höheren Rang eine bessere Bewertung bekommen kann. Nun muss ich zugeben, dass ich die deutsche Szene nicht kenne. Allerdings kenne ich derartige Fälle ausserhalb Deutschlands.

    Natürlich sollte man da mit sich selber auch ehrlich sein, und sich keine Illusionen machen. Es handelt sich sicher nicht um die Regel und eher um die Ausnahme. Mit etwas Erfahrung kann man ja schon selber einschätzen wo die Grenze für das eigene Exponat liegt.

    Herzliche Grüsse,
    Simmerer

  • Hallo Simmerer,

    Natürlich sollte man da mit sich selber auch ehrlich sein, und sich keine Illusionen machen. Es handelt sich sicher nicht um die Regel und eher um die Ausnahme. Mit etwas Erfahrung kann man ja schon selber einschätzen wo die Grenze für das eigene Exponat liegt.



    da sprichst du ein wahres Wort gelassen aus - erfahrene Sammler können ihre Sammlung sehr gut einschätzen und tendieren nicht dazu, sie für den phil. Nabel der Welt zu halten. Dass die allermeisten Sammlungen in einer oder mehrfacher Weise limitiert sind, ist auch klar und bedarf nicht eigener Erwähnung.

    Es geht nur darum, ich nehme mal das Beispiel von @Bayern Socials´s Sammlung, zu erkennen, was eine einmalige Spitzensammlung ist und was üblicherweise mit 82 Punkten zurecht bewertet werden sollte - und in dieser Differenz liegen eben Welten, die einige Juroren nicht erkennen, weil es ihnen an Erkenntnisfähigkeit, Fachwissen und Erfahrung in diesem Metier fehlt. Wer Bund oder Berlin FDC oder ETB sammelt und ausstellt (wobei ich diese Sammlungen und die dazu gehörigen Sammler nicht abqualifizieren will), wird halt eben in 99% aller Fälle vom Granatensammlungen schwer daneben liegen, oder, um es plastischer auszudrücken, wer Abziehbilder aus Kaugummipackungen sammelt, wird bei einer Ausstellung flämischer Meister des 16. bis 17. Jahrhunderts sicher nicht das Geleitwort des Ausstellungskataloges verfassen ...

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


    Einmal editiert, zuletzt von bayern klassisch (24. Juni 2016 um 06:44)