Behandlung unterfrankierter Briefe

  • Hallo Martin,

    wenn man mir den kleinen Finger reicht...

    Beim folgenden Brief wären zum Stempel "MORE-TO-PAY" wieder einmal die Informationen aus Deinem schönen Buch gefragt.

    Außerdem von Interesse wäre die grundsätzliche Handhabung der Taxierung von unterfrankierten Briefen. Nach sächsischer Postverordnung waren Briefe nach Großbritannien entweder voll frankiert oder unfrankiert zu versenden. Teilfrankaturen waren unzulässig.

    Im vorliegenden Falle scheint man aber vom Empfänger lediglich als Äquivalent des fehlenden Groschens 1,5 Pence erhoben zu haben.

    Beste Grüße

    Jürgen

  • Hallo Jürgen,

    das Buch von Hugh Feldman hat nur die Receiving Houses zum Gegenstand, nicht aber das General Post Office, dessen Branch Offices, etc.. Von daher kann es dort zu dem Stempel "MORE-TO-PAY" keine Informationen geben.

    Die Behandlung unterfrankierter Briefe ins bzw. aus dem Ausland der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts ist schwierig. Es gibt eine "Notice to the Public" vom General Post Office in London aus Dezember 1848 (No. 38/1848), die Deine Vermutung stützt, dass nämlich lediglich die Differenz aus der jeweiligen Taxe und den jeweils verklebten Marken taxiert wurde. Wie Dein Brief zeigt, kam diese offensichtlich auch bei eingehenden Briefen zur Anwendung. Allerdings ist diese Notice, glaubt man der Sekundärliteratur, oft auch fehlerhaft interpretiert worden. Aber, das soll Dich bei Deinem Brief nicht interessieren, da es dort ja passen würde.

    Erst ab Mitte/Ende der fünfziger Jahre hat die Behandlung unterfrankierter Briefe ins Ausland explizit Aufnahme in die jeweiligen bilateralen Postverträge gefunden. Den Anfang hat der Postvertrag mit Frankreich aus dem Jahr 1856, gültig ab 01.01.1857, gemacht.

    Nachfolgend jetzt aber der im Zusammenhang mit Deinem Brief relevante Passus der "Notice to the Public" (No. 38/1848):

    "Letters for parts abroad, posted with stamps of less value than the full amount of postage to which such letters may be liable, if addressed to places to which prepayment is not compulsory, will be forwarded, charged with only such amount of Postage as shall be equal to the difference between the value of the stamps and the proper rate of postage, instead of being charged as heretofore, with the full amount Postage to which they would be liable if they bore no Postage Stamps whatever. If the Letters are addressed to places to which pre-payment is compulsory, they must be sent to the Dead Letter Offices as at present."

    Abgebildet ist diese Notice übrigens in dem Vierbänder von Paul Wijnants, die - unter anderem auch von Dir - hier diskutiert wurde.

    Viele Grüße

    Martin


  • kreuzer 30. September 2021 um 06:51

    Hat den Titel des Themas von „Identifizierung britischer Stempel“ zu „Behandlung unterfrankierter Briefe“ geändert.
  • Hallo Martin,

    vielen Dank für Deine Erläuterung nebst Auffinden einer zumindest ansatzweise passenden Fundstelle. Ich hatte in dem Buch von Paul Wijnants vergeblich danach gesucht.

    Wie es aussieht, wurden in GB nicht alle Details der Postverträge den Postanstalten zugänglich gemacht, sodaß derartige Spielräume für die Behandlung aus dem Ausland eingegangener unterfrankierter Briefe blieben.

    Der gezeigte ist übrigens der einzige unterfrankierte aus Sachsen nach GB, den ich bisher gesehen habe. Das erstaunt um so mehr, als unterschiedliche Progressionsstufen üblicherweise Anlaß für Fehlfrankaturen sind.

    Beste Grüße

    Jürgen

  • Hallo zusammen,

    einen unterfrankierten Brief nach Sachsen kann ich zeigen. Nicht aus den fünfziger Jahren, sondern aus dem Jahr 1870, also der Zeit des Norddeutschen Bundes.

    Zu dieser Zeit war vertraglich schon alles sauber geregelt. Und zwar galt im Norddeutschen Bund bis zum 30.06.1870 die Zusatzvereinbarung zwischen dem Vereinigten Königreich und Preußen von 1859 unverändert weiter. Die Behandlung unterfrankierter Briefe regelte der erste Absatz von Artikel III: „When the postage stamps affixed to a letter ... shall represent a sum less than that required for its repayment ... such letter shall be considered as unpaid and charged as such, after deducting the value of those stamps.“


    Unterfrankierter Brief der ersten Gewichtsstufe (= bis ½ Unze inklusiv) von Bradford (01.03.) nach Leipzig (03.03.). Franko wäre 6d. gewesen, es sind aber nur 4d verklebt. Der Empfänger wird mit 3 8/10 Neugroschen belastet. Berechnung: 8d - 4d = 4d. ≈ 3 3/4 Sgr. = 3 8/10 Ngr. (Anmerkung: Im Norddeutschen Bund galt in Sachsen weiterhin der Neugroschen. Paritäten: 1 Sgr. zu 12 Pfennigen = 1 Ngr. zu 10 Pfennigen sowie 1 Sgr. ≈ 1,2d).

    Viele Grüße

    Martin