Die Prüfungsstelle für Auslandsgeschäftsbriefe im Bereich des XIII. K.W. Armeekorps in Stuttgart 1914-1918

  • Es gibt nicht nur Sendungen ins verbündete oder neutrale Ausland sondern auch nach Elsass-Lothringen.

    Wieder ein Einschreibebrief von Ferdinand Redwitz aus Stuttgart nach Straßburg vom 9. September 1915. Die eingehende Post wurde dort nach Vorschrift nochmals kontrolliert. Leider ist der Brief nicht in meiner Sammlung, deswegen kann ich die Rückseite nicht zeigen. Ich stelle mal die These auf, dass der Brief in Strassburg nicht geöffnet und einfach durchgewunken wurde.

    Das wird wohl auch Redwitz dazu bewogen haben den Brief in der Prüfungsstelle vorzulegen, damit er schon mit erfolgter Ausgangszensur in Strassburg angelangt nicht nochmals geöffnet würde und so der Inhalt vor Verlust geschützt war.

  • Sodele, jetzt kommen wir zu einem Aktenvermerk den ich fand und gelesen hatte, wo ich dann dachte, dass nun endlich dieses kaum noch leserliche Dienstsiegel in den Metallschrott befördert wurde.

    Stuttgart 24. September 1915

    An das Königliche Stellv.General-Kommando

    hier

    Das seit Kriegsbeginn bei der Prüfungsstelle für geschäftliche Auslandsbriefe in Benutzung befindliche Stempel ist nicht mehr gut gebrauchsmäßig. Ich bitte daher das Königl. Generalkommando einen neuen Stempel für die diesfertige Stelle anfertigen zu lassen. Abdruck des abgenutzten Stempels folgt mit.

    Reinmöller

    Major d.L.a.D.

    Postprüfungsstelle

    Zimmer No 38

    Hauptpostamt

    Leider war der Abdruck des Stempels nicht in der Akte aufzufinden. Und ein Vorgang über den Erhalt des neuen Stempels ist auch nicht archiviert.

    Ich hatte mich geirrt:

    Brief vom 21(!) September 1915 von Wieland & Cie aus Ulm nach Zürich mit Ankunftsstempel vom gleichen Tag.

    Ich hatte mich getäuscht. Nicht das schrottreife Dienstsiegel, sondern der 6-zeilige Beglaubigungsstempel von der Rückseite und der Zulassungsstempel auf der Vorderseite wurden durch einen neuen Rahmenstempel mit geändertem Text ersetzt. Dieser wurde jetzt für wenige Wochen auf der Vorderseite angebracht. Major Reinmöller hat darin sein Namenskürzel hinterlassen und die Beisitzer haben auf der Rückseite abgezeichnet.

    Jetzt besteht das Problem, die Anforderung des neuen Stempels vom 24.09. mit dessen erstmaliger Verwendung 3 Tage früher am 21.09. in Einklang zu bringen. Hat da Major Reinmöller mal wieder eigenmächtig etwas in Gang gesetzt und es später versucht mit einem nachgeschobenen Antrag zu legitimieren? Leider schweigt sich die Akte darüber aus.

  • 12 Tage später wurde immer noch der Freigabestempel auf der Vorderseite abgeschlagen.

    Brief mit Eilzustellung der Firma Wolf & Söhne aus Untertürkheim vom 2. Oktober 1915 an die Firma Alfred Deutsch in Reichenberg/Böhmen.

    Der Brief war so eilig, dass nicht einmal ein Ankunftsstempel abgeschlagen wurde. Auf der Rückseite ist auch wieder nur ein Beisitzer zu erkennen, der sein Namenskürzel hinterlassen hat.

    Ankunftsstempel sind bei diesen Belegen oft die einzige Möglichkeit eine verlässliche Datierung vornehmen zu können, weil der Aufgabestempel so miserabel abgeschlagen wurde. Hier geht es gerade noch. Die Jahreszahl ist lesbar, der Monat ist durch den letzten Buchstaben "T" als Oktober zu identifizieren und die Tagesangabe ist schemenhaft gerade noch als "2" erkennbar.

  • Das ist der letzte Beleg mit dem schwarzen Dienstsiegel.

    Brief von der Firma WMF in Geislingen nach Chaux-De-Fonds in der Schweiz vom 21. Oktober 1915.

    Der Freigabestempel ist jetzt auf der Rückseite abgeschlagen und sieht nach wenigen Wochen Gebrauch schon ziemlich ramponiert aus. Nur Major Reinmöller hat abgezeichnet von den Beisitzern keine Spur.

  • Endlich wurde auch das kaum leserliche schwarze Dienstsiegel durch ein Neues ersetzt:

    Brief des Export-Musterlagers aus Stuttgart nach Amsterdam vom 26. Oktober 1915. Diese Firma stand auch auf der Liste und hat auch einen Beisitzer für die Prüfungsstelle zur Verfügung gestellt.

    Für Dienstsiegel und Freigabestempel auf der Rückseite wurden offensichtlich unterschiedliche Stempelkissen mit unterschiedlichen Farben benutzt.

  • Die Eiergrosshandlung M. Ruckle aus Stuttgart genoss ebenfalls die Vergünstigung, auch ohne Eintrag in die Liste, bei der Prüfungsstelle vorgelassen zu werden. Dies ist durch mehrere Briefe belegt. Der Brief ging am 3. November 1915 nach Amsterdam, wo er 2 Tage später ankam. Der Freigabestempel sieht zunehmend desolater aus. Wieder hat Major Reinmöller anstatt eines abwesenden(?) Beisitzers abgezeichnet.

  • Lieber württemberger,

    bin hier tägl. kräftig am mitlesen, mit dem - wahrscheinlich z.T. mühsam und einigem Aufwand ermittelten - geschichtlichen Hintergrund und den hierzu vorzüglich passenden Belegen ein Glücksfall für die Philatelie und Postgeschichte. Für mich ganz klar und mit Abstand einer der besten threads dieses Jahres.

    Beste Grüße !

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Lieber Pälzer,

    es freut mich, dass Dir dieser thread so gut gefällt: Ich hoffe ich kann den Spannungsbogen bis zum Schluß halten. Ich lerne gerade meine Sammlung besser kennen und ich habe doch etliche neue Erkenntnisse gewonnen.

    Eine dieser Erkenntnisse ist, dass Belege mit dem schwarzen Dienstsiegel verhältnismäßig häufiger vorkommen, als Belege mit dem blauvioletten Dienstsiegel. Erstere sind 50 Belege bei 15 Monaten Verwendungszeit, dabei fast jeden Monat belegt, und letztere sind 52 Belege bei einer Verwendungszeit von 37 Monaten und die meisten Belege stammen aus dem Jahr 1916. Für die Jahre 1917 und insbesondere 1918 sind kaum Belege vorhanden.

    Das neue Dienstsiegel gibt es in 2 verschiedenen Ausführungen und der Rahmenstempel auf der Rückseite war so schnell abgenutzt, dass er in insgesamt 4 Versionen vorkommt.

  • Der letzte Brief aus meiner Sammlung mit dieser Stempelkombination.

    Die oben schon einmal gezeigte Eiergroßhandlung Ruckle sandte am 26. Januar 1916 einen Brief nach Kopenhagen.

    Major Reinmöller hat offensichtlich seinen Ermessensspielraum auch anderen Firmen in dringenden Fällen zutritt zur Prüfungsstelle zu gewähren, großzügig ausgelegt.

  • Fast 3 Monate später waren das Dienstsiegel und der Freigabestempel erneuert.

    Brief der Mechanischen Leinenweberei Laichingen Paul & Hugo Kahn aus Stuttgart vom 14. April 1916 nach New York. Der Brief fiel auf seinem Weg in die USA auch den Franzosen in die Hände, die ihren Zensurstempel ebenfalls darauf anbrachten. Oben genannte Firma stand auch nicht auf der Liste und ist wieder ein Beleg für die kulante Handhabung der Zugangsregelung von Major Reinmöller. Er und seine Beisitzer haben die Prüfung mit Unterschrift bestätigt.

    Das neue Dienstsiegel erkennt man an der etwas kleineren Schriftgröße und der versetzten Zeilen von "GENERAL-" und "KOMMANDO".

    Im neuen Freigabestempel sind auch die Buchstabenanordnungen leicht verschoben und es ist wieder klar lesbar.

  • Noch ein Brief mit einem Absender, der nicht auf der Liste stand:

    Brief von L. Romegialli aus Stuttgart-Degerloch vom 30. Juni 1916 nach Basel und offensichtlich nicht an eine Firma gerichtet. Major Reinmöller und einer seiner Beisitzer haben den Brief geprüft.

    Über den Absender habe ich nichts in Erfahrung bringen können. Es kann sich um einen privaten Absender handeln, denn die Annahme von Privatbriefen ist in einem Schreiben des Stellvertr. Generalkommandos aktenkundig geworden.

  • Kaum 4 Wochen später taucht schon wieder ein neuer Freigabestempel auf.

    Einschreibebrief der Württembergischen Vereinsbank aus Stuttgart vom 4. August 1916 nach Neftenbach in der Schweiz.

    Der neue Rahmenstempel ist klar und deutlich abgeschlagen und an den dicht beieinander stehenden Querstrichen des "F" von "Freigegeben" zu erkennen.

  • Am 6. September 1916 erhielt das stellvertretende Generalkommando in Stuttgart folgendes Schreiben:

    Handelskammer Stuttgart

    Stuttgart, den 6. September 1916

    An das

    Stellv. Generalkommando des XIII.

    (K.W.) Armeekorps

    Stuttgart

    Betr. Dienst der Prüfungsstelle für Auslandspost

    Im Einvernehmen mit dem militärischen Leiter der Prüfungsstelle für Auslandspost, Herrn Major Reinmöller,

    gestatten wir uns, dem K. Generalkommando eine Vereinfachung des Dienstes durch Zuziehung von jeweils nur einem Beisitzer aus den Kreisen der Geschäftswelt, statt wie bisher zweien, zu beantragen.

    Sachlich wird diese Vereinfachung schon dadurch nahegelegt, dass infolge der Ausgestaltung des allgemeinen Postprüfungsdienstes wie der Erleichterung des Postverkehrs überhaupt die tägliche Einlieferung von Briefen und Geschäftspapieren wesentlich zurückgegangen ist, sodass die Abfertigung der bevorrechtigten Post bei Mitbeteiligung des Herrn Vertreters der Militärbehörde in Zukunft wohl von zwei statt von drei Herren ohne Schwierigkeiten vollzogen werden könnte.

    Die Prüfungsstelle würde sich demzufolge aus je einem Beisitzer aus den Kreisen des Handels und einem militärischen Beisitzer zusammensetzen. Die einlaufende Post wäre von beiden gemeinschaftlich zu prüfen und zu zeichnen.

    Weiterhin wäre diese Vereinfachung aber auch infolge der zunehmenden Schwierigkeiten in der doppelten Besetzung der Beisitzerstellen erwünscht. Die jetzige, meist zweimalige wöchentliche Inanspruchnahme bedeutet für die einzelnen Geschäftsherren eine mit der Zeit immer drückendere Belastung, da das Geschäftsleben inzwischen ja wieder sehr lebhaft eingesetzt hat und die Arbeitskraft der einzelnen Herren in viel erheblicherem Masse als dies im ersten Kriegsjahre der Fall war, beansprucht. Aus geschäftlichen Kreisen ist denn auch die Handelskammer wiederholt um eine entsprechende Vereinfachung des Dienstes gebeten worden.

    Die vorgeschlagene Regelung trägt den Anforderungen der Militärbehörde Rechnung, ermöglicht die Aufrechterhaltung der von der Geschäftswelt dankbar anerkannten Einrichtung und vermeidet eine unter den heutigen Arbeitsverhältnissen der Postüberwachungsstelle nicht mehr notwendige Inanspruchnahmen der einzelnen Beisitzer.

    Wir bitten daher um Genehmigung einer entsprechenden Neuordnung unter Besetzung der Prüfungsstelle mit je einem Beisitzer aus den Kreisen der Geschäftswelt und einem militärischen Leiter.

    Nur für Samstag-Nachmittag, wo der Andrang der Geschäftspost nach wie vor sehr erheblich ist, wäre die Besetzung mit zwei Beisitzern aus den Kreisen des Handels beizubehalten.


    Die Handelskammer

    Der Vorsitzende i.V. Engelhorn

    Der Syndikus Klier

    Eine Bestätigung des stellvertretenden Generalkommandos ist nicht überliefert, aber dem Antrag scheint entsprochen worden zu sein, denn auf einem Beleg vom 18. September hat nur noch ein Beisitzer direkt unter dem Freigabestempel sein Namenskürzel hinterlassen. Der Beleg ist leider nicht in meiner Sammlung, deswegen zeige ich einen Beleg vom 24. September:

    Brief des schon bekannten Absenders Ferdinand Redwitz aus Stuttgart nach Kneuttingen-Hütte in Lothringen ohne nochmalige Eingangszensur, wie sie eigentlich Vorschrift war.

  • Es ist natürlich toll, wenn man solche Veränderungen auf den Belegen auch in den Akten nachvollziehen kann. Man wird nicht dazu verleitet Vermutungen anzustellen oder gar wild zu spekulieren.

    Ich war jetzt in der Lage alle Belege, die zentral unter dem Freigabestempel ein Namenskürzel trugen nach dem 18. September 1916 einzuordnen. Das ist natürlich eine feine Sache, wenn man ein weiteres Datierungsmerkmal hat, das eindeutig ist.

    Tja, bis folgender Beleg aufgetaucht ist:

    Brief der Dresdner Bank Filiale Stuttgart vom 14. Oktober 1916 nach Brüssel. Der Poststempel ist wirklich eindeutig zu lesen.

    Den Namen des Offiziers kann ich nicht lesen, aber 2 Beisitzer haben unterzeichnet.

    War meine Theorie nun falsch?

    Ich habe den Antrag nochmals durchgelesen und die Lösung im letzten Satz gefunden:

    Nur für
    Samstag-Nachmittag, wo der Andrang der Geschäftspost nach wie vor
    sehr erheblich ist, wäre die Besetzung mit zwei Beisitzern aus den
    Kreisen des Handels beizubehalten.

    Und tatsächlich, der 14. Oktober 1916 war ein Samstag

  • Aufmerksame Leser werden es auch schon bemerkt haben, dass die Stempelqualität im zweiten Halbjahr 1916 deutlich besser wurde als zuvor. Fast jeder Stempel wurde lesbar abgeschlagen und das Stempelgerät sauber gehalten. Es lag also nicht am Gerät, das nicht schon zu stark abgenutzt war, sondern am Postunterbeamten, der für die Entwertung der Sendungen in dieser Prüfstelle zuständig war.

    Einschreibebrief von Ferdinand Redwitz aus Stuttgart vom 19. Oktober 1916 nach St. Gallen. Major Reinmöller hat den Brief alleine abgezeichnet.

  • Ende Januar 1917 war es vorbei mit den guten Stempelabschlägen:

    Brief von Alfred Ney, Neutraler Delegierter aus Pfullingen vom 20. Januar 1917 an des Büro für Kriegsgefangene in Bern. Major Reinmöller und sein Beisitzer haben abgezeichnet.

    Dieser Absender stand nicht auf der Liste und über seine Funktion als neutraler Delegierter konnte ich nichts herausfinden. Er muß regelmäßiger "Kunde" in der Prüfstelle gewesen sein, denn von ihm sind 6 Belege bekannt.