Hallo Ralph, das ist kein Bestellgeld, sondern die "Lagergebühr" für den Brief. Dies mußte der Empfänger bei der Abholung entrichten. Eine Bestellung konnte nicht erfolgen.
Hier nun etwas Hintergrund zu dem Brieflein:
Pfarrer Heberer erhielt 1859 den Besuch seiner Schwester und deren Ehegatten. Auf der Rückreise verweilte man für einige Tage in Rödelheim. Von dort schrieb des Pfarrers Schwester diesen Brief, der „postlagernd“ nach Reichelsheim adressiert war an den lieben Bruder.
Portofreiheit galt für Bedienstete der thurn- und taxisschen Post, so auch für die bei der Rödelheimer Post beschäftigten Personen. Absender des Briefes (geht aus dem Inhalt hervor) ist die Schwester des in der Anschrift angegebenen Pfarrers Heberer, der in Heuchelheim in der Wetterau lebte. Seine Schwester war zuvor beim Rödelheimer Postexpeditor Wilhelm Brill einige Zeit als Haushaltshilfe beschäftigt.
Der Brief wurde mit dem Siegel des Posthalters Wilhelm Brill (WB) verschlossen. Unter „f = 0” ist der Name des bei der Rödelheimer Postexpedition beschäftigten Mitarbeiters „W. Stein” angegeben. Hierbei handelt es sich um den Tatbestand der Portohinterziehung. Eigentlich mußten für diesen Brief 5 Kreuzer als reguläre Gebühr (3 Kreuzer Taxe + 2 Kreuzer Landbestellgeld) entrichtet werden. Dies wurde durch die „spezielle Behandlung“ in Rödelheim unterbunden, da man der Heberer-Schwester einen Gefallen getan hat und den Brief als portofreie Dienstpost in den Postverkehr einschleußte. Dazu noch die bewußte Umgehung der Landpostzustellgebühr, in dem man das Werk als „poste restante“ in Reichelsheim behandeln mußte. Der Herr Pfarrer Heberer ging daher einige Tage nach der Abreise seiner Schwester ins ausländische nassauische Reichelsheim und holte den an ihn adressierten, dort lagernden Brief gegen Erstattung der Lager-Gebühr von einem Kreuzer ab.
Einige Jahre später beging man im Herzogtum Nassau das 25jährige Dienstjubliäum des Regierenden Herzogs. Dazu wurden die nassauischen Orte aufgefordert ihre Huldigungsbeiträge zu leisten. Das betreffende lokale Comitè für die Jubiläumsfeierlichkeiten in Reichelsheim hatte sich für einen feierlichen Gottesdienst in dieser Sache entschieden. Damit hatten sich die dafür Verantwortlichen der kleinen Stadt aber ein Problem geschaffen, denn in diesem Ort war die Pfarrerstelle seit einiger Zeit vakant und so bat man den im Nachbarort tätigen evangelischen Pfarrer Heberer aus Heuchelheim, den Gottesdienst zur Jubelfeierlichkeit des nassauischen Landesfürsten mit dem kirchlichen Segen zu begleiten.
Dies gefiel dem Herrn Pfarrer Heberer aber nicht und er mußte gar nicht lange nach einer Ausrede für eine Absage suchen. Der heutige Stadtteil Heuchelheim wurde erst im Zuge der hessischen Gebietsreform anfangs der 1970er Jahre aus dem seit 1874 bestehenden Landkreis Büdingen (zuvor Nidda) ausgekreist und der Nachbarstadt Reichelsheim im damaligen Landkreis Friedberg zugeschlagen.
1864 lag Heuchelheim zwar nur einige Schritte von Reichelsheim entfernt gelegen, aber eben politisch gehörte der kleine Ort einem ganz anderen Staat an, dem Großherzogtum Hessen. Der zuständige Postort für Heuchelheim war Echzell, zu dessen Landbestellgang das kleine Heuchelheim zählte. Pfarrer Heberer hatte keine Lust und verwies darauf, daß er ja „Ausländer“ sei und daher aus diesem Grunde nicht den Jubiläums-Gottesdienst im naussauischen Reichelsheim abhalten könne.
Und so vereinigten sich lokale Interessen und die verschiedenen Landesinteressen zu einer Lokalposse, die in Bayern bestimmt Ludwig Thoma damals als Stoff für eine Komödie hätte aufbereiten können . . . Halt ähnlich wie die Fernsehserie über das Königlich Bayerische Amtsgericht!
Gruß Taxis 107