Liebe Freunde,
hier ein Brief, der unter verschiedenen Gesichtspunkten interessant ist (Postvertrag Preußen-Belgien, Contravention durch eine unvollständige Adresse), den ich aber hier einstelle, weil seine Sophy-Aspekte meines Erachtens recht interessant sind.
Aufgabe als Herrsch. Justiz-Dienstsache portofrei in Berlin, adressiert nach Enghien in Belgien.
Nach der Aufgabestempelung beim Hofpostamt am 23.10.1852 stellte der preußische Postbeamte fest, dass er mit der alleinigen Zielangabe Enghien nichts anfangen konnte. (Wenn man die Schriften vergleicht, stand dort zunächst nur "Enghien", die darunter stehenden Angaben wurden von anderer Hand hinzugefügt.) Mit einem blauen Fragezeichen versehen ging es zurück an den Absender, der daraufhin ergänzte Belgien.
Im Hofpostamt wurde der alte Aufgabestempel mit Rötel durchkreuzt und ein aktueller Stempel vom 25.10. danebengesetzt. Mit der Bahnpost ging es dann Richtung Westen, belegt durch die Kursstempel BERLIN 25 10 I HALBERST: (ein relativ seltener Kursstpl.) und MINDEN 26 10 I DEUTZ.
Am 27.10. übernahm die belgische Bahnpost (ALLEMAGNE CHEMIN DE FER) und es ging über ?AL (27.10.) nach Enghien (28.10.) in der belgischen Provinz Hennegau. Dort war der Adressat nicht zugegen, aber man vermutete, dass er in Louvain wäre. Also entlastete sich die Post in Enghien mit dem Stempel DÉBOURSÉ ENGHIEN und sandte den Brief nach Louvain (29.10.), wo er dann auch zugestellt wurde. Gemäß Inhalt, war der Adressat auch nicht in Louvain, der Brief wurde ihm laut Präsentationsvermerk am 30.10. in Brüssel vorgelegt.
In Preußen war der Brief portofrei gelaufen, in Belgien wurde dies allerdings nicht anerkannt. Laut dem frisch abgeschlossenen preußisch-belgischen Postvertrag war nach Art. 16 die Korrespondenz zwischen staatlichen Behörden portofrei zu befördern. Da der Adressat kein belgischer Beamter war, fiel dieser Brief nicht hierunter. Nun taxierte ihn die belgische Post als normalen Portobrief und setzte 6 Déc. an. Dies beinhaltete 40 C. preußischen Portoanteil (!) und 20 C. belgischen.
Der Adressat war der Herzog von Arenberg, der Wohnsitze in Deutschland und Belgien hatte.
Der ehemalige Regent des Herzogtums Arenberg-Meppen wurde 1785 in Enghien geboren und starb 1861 in Brüssel. Nach den politischen Veränderungen der napoleonischen Zeit war er zwar kein regierender Fürst mehr, aber immer noch Standesherr und mit umfangreichen Besitztümern in den deutschen Gebieten ausgestattet.
Der Brief weist rückseitig das Siegel KÖNIGL: GEHEIME CANZLEY DES JUSTIZ-MINISTERS auf und wurde vom preußischen Justizminister Ludwig Simons unterzeichnet.
Auszugsweise ein paar Passagen des Inhalts:
Ew. Durchlaucht habe ich die Ehre in Gemäßheit Allerhöchster Bestimmung Seiner Majestät des Königs hierdurch ergebenst zu benachrichtigen, daß Seine Majestät die von Hochdenselben und Seiner Durchlaucht vom Herrn Fürsten Alexis zu Bentheim-Steinfurt unterm 20/23 September dJ überreichte Immediat-Vorstellung mir zuzufertigen und zugleich die darin vorgetragene Beschwerde über die Anordnung, welche Seitens der Gerichts-Behörden von der Bestimmung des Artikels 4 der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850 auf die Funktionen und Befugnisse der den §§ 36 und 60 der Instruktion vom 30. Mai 1820 gemäß constituirten standesherrlichen Hausstaats- und Domanial-Verwaltungs-Behörden gemacht wird, meiner besonderen Aufmerksamkeit zu empfehlen geruht haben.
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Was den in der erwähnten Immediat-Eingabe dargelegten Wunsch einer baldigen Feststellung der Rechte der vormals reichsunmittelbaren Fürsten und Grafen anlangt, so werden Allerhöchstem Erlasse zufolge die hierbei in Betracht kommenden Fragen in einer allgemeineren Auslassung bei dem Königlichen Staats-Ministerium zur Erörterung gelangen.
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Der Graf hatte also zusammen mit dem Fürsten zu Bentheim-Steinfurt ein Immediat-Gesuch an den preußischen König gerichtet, auf dass der Justizminister hier antwortete. Neben der Beschwerde über die Anordnung eines Gerichts wurde hier wohl auch Lobbyarbeit für die reichsunmittelbaren Fürsten geleistet.
Da in der Gerichtssache vom Justizminister Simon ein Schreiben an das Appellationsgericht in Westfalen ging, was laut weiteren Ausführungen in dem Brief ... wodurch dieser Gegenstand voraussichtlich seine Erledigung finden wird. wurde dieses Schreiben von dem Grafen auch an seinen Domänenverwalter Landschütz abschriftlich weitergeleitet, worüber dieser sich, laut einem weiteren Vermerk zu diesem Brief sehr erleichtert zeigte. Zu diesem Domainenrat Landschütz findet sich ebenfalls interessantes im Internet.
Gruß
Michael