Lieber weite Welle,
jedes Stück ein Schmuckstück und doch so schwer zu erklären ...
Der Rückschein nach Frankreich ist natürlich ein Hammer. Fern von meiner Literatur nehme ich an, dass er nach den Regularien des Postvereins (Avis de réception) behandelt wurde. Wenn innen eine Marke mit Blaustiftentwertung klebt, würde ich eher darauf tippen, dass es sich um eine fiskalische Verwendung für Schreibgebühren o.ä. handelt.
Warum auf den anderen Rückscheinen Marken kleben, ist schwer zu beantworten.
Es stellt sich die Frage, ob der Vollzug in den von dir gezeigten Fällen tatsächlich von der Post vorgenommen wurde. Die blauen Rückscheine "B6" entsprachen zwar den 1867 im Vertrag Bayerns mit dem Norddeutschen Bund, Baden, Württemberg und Österreich erwähnten Vorgaben, aber waren sie auch reine Postformulare? Viele Gerichte ließen sich eigene Formblätter anfertigen (siehe dein Traunsteiner Beispiel). Es gibt auch hektographierte Beispiele, die die Formular-Kennung "B6" aufweisen, sonst aber nur im Aufbau den blauen Scheinen ähneln. Es gibt ferner Stücke (siehe Anhang, Beispiel aus Dorfen), die äußerlich in keinster Weise darauf schließen lassen, dass es sich um eine Empfangsbescheinigung handelt (aber eine sind).
Wenn dem so war, also die Post nicht den Vollzug vornahm, konnten die Formulare theoretisch auch im verschlossenen Brief zum Adressaten kommen, entweder vorfrankiert oder noch zu frankieren. Dort wurden sie dann in der Behörde unterschrieben und erst danach der Post übergeben, als normaler Brief (10 Pfge.). Möglich auch, dass ein Empfangsschein auch noch von einer Beilage begleitet war und in der nächsten Gewichtsstufe lag (20 Pfge.) oder aber eingeschrieben versendet wurde (10+20 Pfge. - eigentlich hirnrissig, aber in Bayern war/ist alles möglich).
Gemäß den Vorschriften für die Behandlung der Retour-Recepissen wurden diese nach Vollzug umgehend, aber kostenfrei als Briefpostgegenstände an den Aufgabeort zurückgeschickt, in den Briefkarten gesondert aufgeführt wie Einschreiben. Eine Frankierung war also bei diesem Verfahren weder vorgesehen noch nötig. Diese innerbayerischen Vorschriften (im Ursprung von 1811!) sind meines Wissens nie aufgehoben worden.
Streng genommen dürfte es ab dem 1.1.1876 aber keine innerbayerischen Post-Lieferscheine (Retour-Recepisse) nach klassischem Muster mehr gegeben haben - oder kennt jemand eine Vorschrift, die die Tarife dafür nach neuer Währung nennt? Das legt den Aufbrauch von Formularen nahe, weswegen vielleicht auch die auf diesen genannte Einschreibung des öfteren so geflissentlich ignoriert wurde.
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Ergänzung/Richtigstellung vom 1.8.2013: Man sollte nichts schreiben, wenn man seine Literatur nicht greifbar hat. Die bayerische Post-Transportordnung von 1876 nennt unter §19 die Möglichkeit der Beibringung einer Empfangsbescheinigung (Rückschein), wofür grundsätzlich 20 Pfennige Gebühr bei der Aufgabe zu entrichten waren. Das heißt, es gibt die Kontinuität von der Retour-Recepisse zum Rückschein (unabhängig von Postbehändigungsschein und Postzustellungsurkunde), auch tariflich: die 20 Pfennige entsprechen den 7 Kreuzern, die bis Ende 1875 für eine Retour-Recepisse berechnet wurden (Revidierte Post-Transportordnung von 1872). Peter Sem schreibt im Handbuch der Pfennigzeit, S. 300, "die Entwertung der aufgeklebten Formulare (sic!) erfolgte bereits bei Briefaufgabe im Aufgabepostamt". Das könnte auch hin und wieder unterblieben sein, siehe das Beispiel aus Unterwessen, und erst am Zustellungsort vor der Rücksendung nachgeholt worden sein. Ob die Rückscheine zu frankieren waren? Wenn man den Preisansatz von Sem für Rückscheine mit und ohne Marken vergleicht, dann müssen markenlose eher die Regel gewesen sein als mit Marken versehene. Aus der Transportordnung geht dazu nichts hervor. Interessant noch das Ausschreiben der Generaldirektion vom 16.2.1875 (VOAB Nr. 12, # 1676): "Von jetzt ab haben sämmtliche Lokalpostanstalten die vollzogenen Rückscheine über Briefposteinschreibsendungen sowie die Laufzettel, deren Nachweis durch die Karten gesichert werden soll, in einen entsprechend adressirten Briefumschlag zu verschließen und denselben als Einschreibsendung zu behandeln." Mehrere derartige Sendungen für den gleichen Bestimmungsort konnten in einen Umschlag gelegt werden.
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Bleibt die Frage, warum auf dem Kaufbeurener Rückschein ein "Eingeschrieben"-Zettel klebt. Eine Möglichkeit: Er gehört nicht ursprünglich zum Stück. An einem ähnlichen Stück (markenlos) beiße ich auch herum (siehe zweiten Anhang). Müssten die auf dem Formular eingetragene Expeditionsnummer und die auf dem Zettel nicht eigentlich übereinstimmen? (Noch aus der Kreuzerzeit stammt das dritte Stück, noch mit "Eingeschrieben"-Stempel. Innen trägt es die Expeditionsnummer "74", außen, im Stempel, eine "75", die in "74" korrigiert wurde.)
Ich gebe zu, meine Anmerkungen sind jetzt größtenteils rein spekulativ (und vielleicht nicht sehr spektakulär), aber mehr ist die Vermutung einer Portoermäßigung für Behörden auch nicht - oder ist die nachgewiesen?
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Ergänzung vom 1.8.2013: Ebenfalls bei Sem, S. 300, steht: "Der Portosatz für Behörden war ermäßigt auf 10 Pfg., der Normalsatz betrug 20 Pfg." Davon steht zumindest in der Transportordnung nichts. Bei Behändigungsscheinen gab es jedoch eine ermäßigte Zustellgebühr von 10 Pfg.
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Viele Grüße aus Erding!