• Hallo allerseits,


    ich habe hier ein Brieffragment, zu dem ich gerne Meinungen hören wüde.


    Aufgegeben in Arzberg, und mehrfach gestempelt offenbar mit dem selben Stempel. In Nürnberg Bahnhof um 10-11 Uhr vormittags auf Briefvorderseite, nochmals 1 Stunde später auf Marke (+ zusätzlich auf Briefvorderseite!?) und wiederum 1 Stunde später auf der Rückseite.


    Ist es tatsächlich möglich, dass der Beleg dreimal im Bahnhofspostamt bearbeitet wurde, oder habe ich hier eine offensichtliche Fälschung?


    Grüße, Stefan

  • Hallo Stefan,


    alles 100%ig echt, keine Bange.


    Bei Portobriefen lief das am Ort bzw. im Lokalbezirk folgendermaßen ab:


    Einwurf in den Briefkasten (in Nürnberg-Stadt, oder am Bahnhof war egal). Stempelung mit der Uhrzeit der Leerung (könnte man als Aufgabestempel ansprechen). Prüfung durch einen Beamten, dann Applikation der Portomarke und Entwertung derselben kurze Zeit später (in der Regel ganz wenige Stunden, je nach Geschäftsbetrieb).

    Dann Abgabe an die lokalen Stadt- bzw. Landbriefträger und Stempelung zu diesem Zeitpunkt, so dass der Kunde (Empfänger) sehen konnte, wie der Geschäftsdurchlauf war.


    Dein Brief stammte aus dem 105 km von Nürnberg entfernten Arzberg, war also, wenn das Kuvert verschlossen war, eine Contravention, auch wenn ein Frankobrief von dort nach Nürnberg 3 Kr. Franko gekostet hätte und jetzt "nur" 3 Kr. Ortsporto kostete.


    Ich vermute daher, dass ein Reisender mehrere Briefe nach Nürnberg brachte, um sie von dort aus schneller zustellen lassen zu können, denn Geld hat man damit keines gespart und diese Tatsache ist schon außergewöhnlich.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Ralph,


    also dass bei der Nummer nichts gespart worden ist, kann ich nicht so ganz verstehen. Zumindest aus der Sicht des Empfängers, denn der Absender hat ein Franco offensichtlich nicht tragen wollen. Hätte er von Arzberg aus porto verschickt, dann wären vom Empfänger immerhin 7 Kr zu zahlen gewesen, mit Aufgabe porto innerhalb von Nürnberg nur die besagten 3 Kr.


    Viele Grüße

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo Tim,


    richtig - hier war Franko Arzberg gleich Porto Ortsbrief Nürnberg; bei Porto Arzberg hätte der Empfänger in Nürnberg 7x bezahlen müssen - aber wer hat bei einem Aufschlag von 130% noch Fernbriefe porto verschickt? Das waren fast nur noch Behörden, die nicht zu frankieren brauchten.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • ...stimmt jetzt natürlich auch wieder. 7 Kr-Standartportobriefe im Fernversand findst ja nicht so oft, wie die noch bis Oktober 68 möglichen 6 Kr Standartportobriefe im Fernversand. Die 130% scheinen dann wohl eine abschreckende Wirkung gehabt zu haben...war das evtl. so von der Post gewollt...?


    Viele Grüße

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo Tim,


    so isses - die Post wollte bei stets stark steigendem Briefaufkommen und immer mehr Sonderdiensten im Prinzip keine Portobriefe mehr, konnte sie aber aus praktikablen Gründen auch nicht verbieten (so wie heute!) - daher griff man zu dem Mittel der finanziellen Abschreckung.


    Pro memoria: In Bayern kippte erst mit dem Jahr 1865 (!!!) das Verhältnis von den Portobriefen zu den Frankobriefen. Aber im Hintergrund muss man halt auch wissen, dass am 1.8.1865 die Briefe in ganz Bayern stark verbilligt wurden und erst das gab den Ausschlag.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Liebe Freunde,


    mein letzter, kleiner Auktionsschatz zeigt eine Porto Nr. 1 auf Lokalbrief von Memmingen "An Matthias Moll, Maurer, in Dickenreishausen", einem heute südlichen Ortsteil von Memmingen, vom 28.9.1865, der folgenden Inhalt hat:


    "An Matthias Moll in Dickenreishausen

    Derselbe wird heimit aufgefordert, bis kommenden Dienstag die in Sache gegen Kloß erlaufenen Kosten auf Abrechnung an dem Kaufschilling zu entrichten, und zwar den Betrag von 18 fl 7 xr. Memmingen am 28. September 1865, Hebberling k. Notar.

    Vorstehende achtzehn Guulden sechs Kreuzer unterm unterm heutigen von Matthias Moll bezahlt erhalten zu haben bestätigt. Memmingen, den 30. September 1865. Hebberling k. Notar."


    Der Brief ging also am 28.9. an Moll, der ihn zum Notar trug, das Geld bezahlte und den Brief als Quittung am 30.9. wieder retournierte.


    Das Gekrakel vorne sollte eine 3 sein für einfache, unfreie Orts- bzw. Lokalbriefe, die man dann mit einer Portomarke abdeckte. Eine Markenentwertung war nicht vorgeschrieben, wurde aber oft durchgeführt.

  • Liebe Freunde,


    was hat ein bayerischer Ortsbrief mit Österreich zu tun? Richtig - rein gar nichts. Aber halt - ist es denn auch ein bayerischer Ortsbrief, wie es auch im Attest vermerkt wird?

    Der Inhalt hilft weiter, aber auch schon die Anschrift ist verdächtig: "An Herrn Sebastian Wagus in Weiler Baiern". Wer in Weiler, damals wie heute ein beschaulicher Ort, wohnt, würde kaum "Weiler Bayern" geschrieben haben, sondern eher das damals übliche "dahier", oder "hier".

    Postalisch war es aber ein Ortsbrief, der mit einer Porto Nr. 1 am 14.12.1864 dem Empfänger zugestellt wurde. Aber Gott-sei-Dank gibt es noch den Inhalt, wenn auch ein wenig verblasst ...

    "Doren am 13/12. 864

    Werther Freund Wagus!

    Auf Ihr werthes Schreiben von diesem Monat muß ich Euch berichten, daß ich von diesen benannten 100 fl (100 Gulden) nichts weiß, und das Anwesen in Batznau seit 13 Jahren nicht mehr besitze; daher wenden Sie sich an den Gläubiger welcher gegenwärtig das Anwesen besitzt. Dieß zur Nahricht mit Gruß J. Peter Gieselbrecht."

    Herr Gieselbrecht ließ also einen einfachen Brief aus den österreichischen Doren ins bayerische Weiler im Allgäu (10 km direkte Linie, 17 km zu laufen/fahren) bringen, den er aber nicht der österr. Post übergab, sondern dort als Ortsbrief für 3x rheinisch aufgeben ließ. Von Österreich aus hätte er 5 Neukreuzer gekostet, also praktisch dasselbe. Leider weiß ich nicht, wann bzw. ob. Doren (heute ca. 1k Einwohner) eine eigene Post hatte, bzw. wo man seine Post hätte aufgeben können/sollen/müssen, aber einen österreichischen Brief mit einer Bayern Portomarke habe ich nur 2 mal gesehen und es wird davon auch keine Massen geben.

  • Lieber Ralph,


    alle Achtung. Ein Superbeleg.

    Es ist so, wie ich es von Dir und Günther gelernt habe, immer den Inhalt lesen.


    Liebe Grüße aus Frankfurt

    Heribert, der schon seit 1967 in der Innenstadt lebt

    und nicht in Rödelheim

  • Hallo Franz,


    ein sehr schönes Paar. Bei dem senkrechten Paar sieht man sehr deutlich, wie eng die Stöckel zueinander stehen und keine Schnittlinie dazwischen ist.


    Grüße aus Frankfurt

    Heribert

  • Hallo Michael,


    Herr Dr. Paul Pirl war ein , wie damals durchaus üblich, Allgemeinprüfer, d.h. er prüfte alle Marken die bis 1914 erschienen waren. Dabei sah er es als seine Aufgabe, lediglich festzustellen "echt" oder "falsch". Postgeschichtliche Aspekte waren weniger bis nicht von Interesse. Hier in dem "Prüfbericht" vom 5.11.1928, der eindeutig zu Deinem Markenpaar gehört, schrieb er "Obgleich ich den beiweitem größten Teil gestempelter Bayern Porto-M. für unbestimmbar oder nachträglich oder falsch gestempelt erklären muss, kann ich diesmal nach meinem Empfinden in Ruhe m.(ein) Stempel beiden M.(arken) geben!"

    Ohne Unterschrift


    Grüße aus Frankfurt

    Heribert

    3 Mal editiert, zuletzt von hasselbert ()

  • Liebe Freude,


    es empfiehlt sich bei beiden gezeigten Stücken eine aktuelle Prüfung einzuholen, sind doch Einheiten der Porto Nr. 1 keine Massenware. Ich bin sicher, die Herren Sem bzw. Stegmüller machen da einen guten Job. :thumbup::thumbup:

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.