Verehrte Sammlerfreunde,
bei aller Verbundenheit zur (semi-)klassischen Philatelie und Postgeschichte: Bei dem Beleg anbei kann einem das Herz auch sehr deutlich höherschlagen, bis dato ward mir jedenfalls noch nie etwas von einem Ozean-Brief bekannt. Der Groschen ist mittlerweile aber gefallen. Was ist hier auch vor dem Hintergrund der auf der Rückseite angebrachten, das drahtlose Funknachrichtenwesen bewerbende - ...wirklich wunderschönen - Vignette geschehen? Zunächst muss man die Begrifflichkeiten klären: Auf dem Brief fällt zunächst an 3 Stellen der Begriff Cap Norte auf, d.h. A) im Flaggenstempel, B) im Einzeiler-Abschlag über dem Reco-Zettel und C) aufgedruckt auf der Rückseite.
Es handelte sich um das der ebenfalls im Stempel erwähnten Reederei Hamburg-Süd fahrende Schiff Cap Norte, das am 2 Juli 1926 im "La Plata Dienst" (Hamburg - Südamerika) in Buenos Aires eingelaufen war. Zur Intensivierung der Handelsbeziehungen nach Südamerika war schon 1871 die Hamburger-Südamerikanische Dampfschifffahrt-Gesellschaft (HSDG) gegründet worden, wobei, der "La Plata Dienst" im Wesentlichen von der im gleichen Jahr gegründeten Reederei Hamburg-Süd und der Norddeutschen Lloyd, später auch von der Hansa und HAPAG abgewickelt wurde.
Werbeplakat der HSDG (Quelle: wikipedia)
Nach dem 1. WK konnte die Übersee-Verbindung nach Südamerika relativ schnell wieder aufgenommen werden. Hamburg-Süd begann damit schon Anfang 1920 und bediente im Aufgabejahr des Briefs die Linie Hamburg - Rio - Buenos Aires sowohl im Personen- als auch Frachtverkehr 14tägig. Dies zunächst noch mit gecharterten Schiffen, sechs ausgelieferte Schiffe wurden 1921/1922 zurückgekauft. Nach Abschluss des ersten Neubauprogramms mit staatlicher Förderung verfügte Hamburg-Süd am 1. Januar 1924 über 17 Schiffe mit 129.447 BRT und war damit die viertgrößte deutsche Reederei.
Cap Norte wurde 1921 für den Südamerika-Dienst bei der Hamburger AG Vulcan in Auftrag gegeben. Am 8. Mai 1922 erfolgte der Stapellauf, am 22. August 1922 wurde sie ausgeliefert. Ihre Jungfernreise machte Cap Norte von Hamburg zum Rio La Plata am 14. September 1922. Sie war 152,30 m lang, konnte etwa 15 Knoten erreichen und 1.886 Passagiere aufnehmen. Bis 1939 lief sie insgesamt 58 mal nach Buenos Aires und wieder zurück nach Hamburg.
Die typische Route war Hamburg, Boulogne, La Coruña, Lissabon, Teneriffa, Pernambuco, Bahia, Rio de Janeiro, Santos, Montevideo, Buenos Aires; die typische Rückreiseroute war Buenos Aires, Montevideo, Santos, Rio de Janeiro, Teneriffa, Lissabon, Vigo, Boulogne, Hamburg. Hier kommt nun der damalige Luxus der drahtlosen Seefunkverbindung der im Briefkopf angegebenen Deutschen Betriebsgesellschaft für drahtlose Telegraphie (DEBEG) ins Spiel.
Erster Funkoffizier des Dampfers Berlin erklärt
drei Passagierinnen die Telefunken-Bordstation
(Quelle: s.u. letzter link)
Sie war auf den Schiffen des "La Plata Dienstes" jeweils mit einer drahtlosen Telegraphie-Anlage vertreten. Der erste Schiffsröhrensender war 1922 auf der Cap Polonio eingerichtet worden. Vier Jahre später befand sich Cap Norte im vorliegenden Fall bereits wieder auf der Rückreise von Südamerika und hatte über ein ihr entgegenkommendes Schiff den vom Absender in Auftrag gegebenen Funkspruch erhalten. Der vom Funkoffizier auf DEBEG-Formular notierte Inhalt kam in den - knallroten - Umschlag des Telegramm-Dienstes und wurde dann dem Bordpostamt übergeben.
Der vom Auftraggeber bereits vollständig vorausbezahlte, korrekt mit 25 Pf für den Auslands-Normalbrief und 30 Pf für das Einschreiben freigemachte R-Brief wurde am 19. August 1926 mit dem Seepoststempel der Hamburg-Südamerika-Linie entwertet und bei der Anlandung in Lissabon am 24. August von Bord gegeben. Von dort aus wurde er per Bahnpost innerhalb von 4 Tagen zum Zielort Frankfurt am Main verbracht.
In Bezug auf die verwendeten deutschen Wertzeichen legte Art. 18 Abs. 5 UPU Vertrag (Madrid 1920) klarstellend fest: Gegenteilige Vereinbarung zwischen den beteiligten Verwaltungen vorbehalten, können die auf offener See in den Briefeinwurf eines Postschiffes gelegten oder den auf dem Schiffe befindlichen Postbeamten oder den Schiffsbefehlshabern übergebenen Briefschaften mit Postwertzeichen und nach dem Tarif des Landes frankiert werden, dem das Schiff angehört oder dem es unterstellt ist.
Nur wenn das Reco an Bord im Hafen von Lissabon selbst aufgegeben worden wäre, wäre die Frankatur mit portugiesischen Freimarken obligatorisch gewesen. Bei dem Adressaten handelte es sich lt. Adressbuch Frankfurt a.M. 1926 um den Herrn Ober-Postsekretär Alfred Bahling in der Burgstraße 24 …der wahrscheinlich ziemlich genau gewusst hat, warum er sich so eine Besonderheit - von wem auch immer - hat schicken lassen.
Viele Grüße
vom Pälzer
verwendete Quellen:
http://www.z-f-v.de/fileadmin/arch…kehr_Teil_1.pdf
https://www.seemotive.de/argespost/argespostarchivb.htm
https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/periodical/pageview/8724323
Deutsche Betriebsgesellschaft für drahtlose Telegrafie – Wikipedia
https://www.nonstopsystems.com/radio/pdf-hell/article-TFK-Marksteine.pdf
http://www.friedewald-family.de/Publikationen/ZUG_Telefunken.pdf