Vegesack und die "eingeschleppten" Oldenburg-Marken

  • Manchmal schreibt die Philatelie auch kleine Geschichten.

    Eine dieser Geschichten trug sich in den 1860er Jahren in Vegesack zu. Und betrifft Oldenburger Briefmarken.



    Bild 1: Vegesack um 1850


    Vegesack, ein kleiner Ort direkt an der Weser, war zu dieser Zeit eine bremische Exklave und gehörte zur bremischen Postverwaltung. Seit dem Jahr 1854 war Vegesack Zollausland und hatte seit dem Jahr 1863 sogar eine Eisenbahnlinie nach Bremen in Betrieb genommen. Wohlhabende Bremer Kaufleute ließen sich damals in Vegesack ihre Sommerresidenzen bauen. Der Geesthang mit Panoramablick über die Weser wurde hier damals zum "Millionenviertel".

    Bild 2: Vegesack 1850/ 1860


    Aber nun zurück zu den Oldenburger Briefmarken.

    Die bremischen Postämter "bedienten" zu dieser Zeit Postsendungen in das Grossherztum Oldenburg über ihre Stadtpostämter. Zu diesem Zweck lieferte die Oldenburger Postverwaltung oldenburgische Ein-Groschen-Marken und Ein-Groschen-Ganzsachenumschläge nach Bremen, die dann in Bremen und Bremerhaven am Schalter verkauft wurden. Man stempelte diese Sendungen dann mit den jeweiligen Stempeln in den Stadtpostämtern ab. Das Stadtpostamt Vegesack erhielt allerdings nach heutigen Erkenntnissen im Gegensatz zu den Stadtpostämtern Bremen und Bremerhaven keine oldenburgischen Briefmarken und auch keine Ganzsachenumschläge geliefert. Hier war es dann so, dass Briefe nach Oldenburg nicht etwa mit Bremen-Marken frankiert wurden, wie man heute annehmen würde. Nein, das Porto für diese Briefe mussten offenbar am Postschalter in Vegesack bar bezahlt werden und dann wurde der jeweilige Brief unfrankiert, aber mit Franco-Vermerk nach Oldenburg übersandt. Das war offenbar der Normalfall. Einen dieser "unfrankierten" Oldenburg-Briefe aus meiner Sammlung (die heute gleichwohl sehr selten sind) füge ich als Bild 3 bei. Vorderseitig sieht man den Aufgabestempel von Vegesack und den Durchgangsstempel des Bremer Stadtpostamtes (Bild), rückseitig den Ankunftstempel von Oldenburg.

    Bild 3


    Paul Orth, der um das Jahr 1900 die Poststempel von Oldenburg erfasst hatte, hat nur eine einzige lose Briefmarke Oldenburg 1 Groschen Nr. 17A mit dem "kleinen Schlüsselstempel" von Vegesack feststellen können. Und er wußte damals noch nicht, dass Vegesack gar keine Marken erhalten hatte. Er rechnete damals das anteilige bremische Postaufkommen von Vegesack aufgrund dieser einen Marke grosszügig mit 1% aus. Immerhin erschien ihm die Vegesack-Abstempelung so bemerkenswert, dass er diese "Vegesack-17A" in seinem Handbuch "Die Poststempel von Oldenburg" (!911) auf S. 345 erwähnte und von dieser Marke ein Bild einfügte (Abb. 331) sowie auf S. 349 den kleinen Schlüsselstempel von Vegesack nochmals abbildete.


    Vor Jahren gab es einmal eine grosse Oldenburg-Ausstellung in der Uni Oldenburg, in der u.a. die sensationelle Koch-Sammlung gezeigt wurde. Diese Ausstellung hatte ich damals besucht. Fast unscheinbar neben dieser Super-Sammlung gab es dann noch u.a. eine weitere Ausstellungssammlung "Oldenburgmarken in Bremen" zu sehen. Hier habe ich das erste Mal eine "Vegesack-Abstempelung" auf einer Oldenburg 1 Groschen Nr. 17A gesehen. Ebenfalls mit dem Vegesacker Schlüsselstempel. Ganz unspektakulär und ohne grosse Erläuterung wurde diese grosse Rarität dort gezeigt.


    Heute geht man davon aus, dass es wohl insgesamt nur zwei einzelne Oldenburg-Marken Nr. 17A mit Vegesacker Schlüsselstempel gibt und dass diese Marken vom Publikum "eingeschleppt" wurden. D.H. irgendjemand hatte wohl mit Oldenburg Nr. 17A frankierte Briefe, bei denen die Marken wahrscheinlich vom Stadtpostamt in Bremen stammten, in den Postkasten des Stadtpostamtes Vegesack geworfen oder bei diesem Postamt abgegeben. Und diese Marken sind dann durch das Stadtpostamt Vegesack abgestempelt und transportiert worden. Frankierte Oldenburg-Briefe mit Vegesack-Abstempelung gibt es meines Wissens nicht, sondern nur diese zwei Marken.


    Wunderbarerweise ist auch eine einzelne 1-Groschen-Oldenburg-Ganzsache U 10 auf gleiche Weise in Vegesack "eingeschleppt" worden und erhalten geblieben. Diese wurde ebenfalls mit dem "kleinen Schlüsselstempel" von Vegesack entwertet. Adressiert ist diese Ganzsache nach Oldenburg. Rückseitig ist hier der Durchgangsstempel des Bremer Stadtpostamtes und der Ankunftsstempel (K2) von Oldenburg zu sehen. (Ich habe diesen Brief abgebildet.) Bild 4 und 5

    Bild 4

    Bild 5


    Ich habe diese Ganzsache für meine Sammlung erwerben können. Diese Ganzsache ist wahrscheinlich der einzige noch existente vollständige Oldenburg-Beleg mit Vegesack-Stempel aus damaliger Zeit. Und damit ein wichtiges Stück nicht nur der Oldenburg- ,sondern auch der Bremen-Philatelie.


    Abschließend sei noch erwähnt, dass eine der beiden Oldenburg-17A mit dem Schlüsselstempel von Vegesack im letzten Jahr bei Sellschopp versteigert wurde. Der Zuschlagspreis betrug 1.200,- € (ohne Aufschlag für den Versteigerer). Ein Bild füge ich bei (Bild 6)

    Bild 5


    Bilder: Vegesack um 1850/ 1860

    unfrankierter Brief von Vegesack nach Oldenburg

    Oldenburg-Ganzsache von Vegesack nach Oldenburg (Vorder- und Rückseite)

    versteigerte Oldenburg 17A mit Stpl. Vegesack

  • :thumbup::thumbup::thumbup:

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Nein, das Porto für diese Briefe mussten offenbar am Postschalter in Vegesack bar bezahlt werden und dann wurde der jeweilige Brief unfrankiert, aber mit Franco-Vermerk nach Oldenburg übersandt.

    Guten Morgen,

    schöner Beitrag congrats.

    Ich würde in dem Beitrag das Wort unfrankiert gegen barfrankiert tauschen.

    Aber das kann jeder handhaben wir er will.

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich


    Das Leben ist zu kurz um sich darüber zu ärgern, was andere über dich denken oder sagen

    also hab Spaß und gib ihnen etwas worüber Sie reden können

    scheinbar ist ihnen ihr eigenes Leben zu langweilig

  • Erstmal vielen Dank für die „Blumen“.

    Ich werde mich auch weiterhin bemühen, kleine Beiträge zu schreiben, die deutlich machen, dass das Sammeln alter Briefmarken und alter Briefe nicht nur das „Abhaken“ von Katalognummern sein muss. Diese alten Briefe eröffnen oft einen Blick in die Vergangenheit, in der die Menschen mit anderen Lebensbedingungen „kämpften“ als heute. Und „philatelistische Spielereien“, wie man sie in späteren Sammelgebieten häufig sieht, gab es damals auch noch nicht. Es ist alles echt und unverfälscht. Und das gefällt mir sehr.


    Und Minimarke,

    Ich weiß, dass es eigentlich „barfrankiert“ heißt. Aber das ist ein solch irritierendes Wort, dass ich es bewusst nicht verwendet habe. Und es ist ein schlechtes Wort.„Nichtphilatelisten“ verstehen das Wort einfach nicht. Und ich würde mich freuen, wenn gerade solche Leute die Beschäftigung mit alten Briefen und geschichtlichen Hintergründen nicht nur als aussterbendes „Opa-Hobby“ sehen und abfällig abqualifizieren. Und vielleicht liest ja auch ein „Nichtphilatelist“ diese kleinen Beiträge von mir. Ich würde mich darüber freuen.

  • Hallo Oldenburg-Sammler,


    natürlich wirkt die Neigung der Philatelisten zu Fachtermini in der Außenwirkung etwas übertrieben, aber dann empfehle ich einmal das Gespräch mit Kaninchenzüchter:innen. :) Daneben sind wir Waisenkinder …


    Deinen Beitrag jedenfalls fand ich überaus lesenswert, danke dafür! Solche reizvollen kleinen Postgeschichten würde ich gerne einmal in der philatelie lesen – oder in einer anderen Fachzeitschrift.

    Viele Grüße aus Erding!


    Achter Kontich wonen er ook mensen!

  • Hallo Oldenburg-Sammler,


    nur her mit den kleinen Geschichten. Ich fand die weiter oben sehr kurzweilg. :)


    viele Grüße

    Dieter

  • Ein sehr interessantes Thema. Würde gerne noch weitere Geschichten aus Oldenburg und andere Gebiete außerhalb Bayerns hier sehen.


    Beste Grüße von VorphilaBayern

  • Ich kann hier zu Vegesack noch eine interessante Ganzsache Oldenburgs zeigen, die ich vor Jahren bei einem dänischen Händler fand. Die GA ist nicht mehr in meinem Besitz, ich habe diese innerhalb der Arge abgegeben.


    Es gab in Bremen und eben auch in Vegesack das hannoversche Postamt.

    Dieses erkante die 3 Groschen Oldenburgs für die GA aber nicht an, sodass 4 Groschen für den Empfänger anfielen, davon 1 Groschen für Strafe, 3 Groschen Versand.


    Ob es überhaupt ein zweites vergleichbares Stück gibt, ist zu bezweifeln. Ich habe zumindest nie ein anderes gesehen. Vielleicht hat Bernd ja etwas Vergleichbares beobachtet?

  • :love::love::love:

    Liebe Grüsse vom Ralph



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  • Das finde ich sehr interessant.

    Tatsächlich eine Oldenburg-3-Gr.-Ganzsache. Und diese wurde offenbar-sachfremd- durch das hannoversche Postamt in Vegesack, welches in Vegesack ebenfalls bestand, mit dem Hannover-Stpl. "Vegesack" abgestempelt und transportiert.


    Dies ist ebenfalls eine "eingeschleppte" Oldenburg-Ganzsache. Aber in "kurioser Verwendung" nach Hannover. Diese Ganzsache stammt auch nicht aus dem Stadtpostamt Bremen, weil diese 3-Gr.-Ganzsachen nur an den Postämtern im Grossherzogtum Oldenburg verkauft wurden. Das Stadtpostamt Bremen verkaufte damals nur die 1-Gr.-Ganzsachen.


    Hannoverstempel des hannoverschen Postamtes in Vegesack sind nicht selten (siehe Bild). Selten ist hier die sehr kuriose Verwendung einer 3-Gr.Oldenburg-Ganzsache in diesem (hannoverschen) Postamt in Vegesack.


    Nachstehend ein Bild aus der Boker-Slg..

    Bild 6: Belege mit Hannover-Stempel des Postamtes Vegesack sind häufig zu finden

  • Vegesack unterhielt ja auch noch neben dem Stadtpostamt Vegesack und dem hannoverschen Postamt ein weiteres, nämlich ein preussisches Postamt.


    Im Bild eine preussische 1 Sgr.-Ganzsache U26A mit dem Aufgabestempel "kleiner Schlüsselstempel" des Stadtpostamtes Vegesack nach Wiarden/ Jeverland, also nach Oldenburg. Vorderseitig der blaue K2 "Hohenkirchen 25/2" als Durchgangsstempel im Wertstempel der Ganzsache, rückseitig die Durchgangsstempel von Bremen, Oldenburg und Jever.


    Ob das preussische Postamt in Vegesack diese 1-Gr.Ganzsache am Schalter verkauft hat, muss bezweifelt werden. Auch dieses Teil ist wahrscheinlich "eingeschleppt" worden. Man hat diese preussische Ganzsache nach Wiarden/ Oldenburg hier wahrscheinlich in den Postkasten des Stadtpostamtes Vegesack geworfen. Hier wurde diese Ganzsache dann vom Stadtpostamt abgestempelt ("kleiner Schlüsselstempel") und nach Oldenburg transportiert.


    Anerkannt wurde dieses preussische Porto auch hier nicht. Der Empfänger in Wiarden zahlte einen Groschen Nachporto. Siehe den vorderseitigen Vermerk "1". Allerdings gab es in diesem Fall kein zusätzliches Strafporto.

    Bild 7: Aus der Sammlung Lange, Auktion Christian Zieme vom 4. Mai 1990, Los-Nr. 219, damaliger Ausrufpreis: 12.000,- DM

  • Hallo zusammen,


    ein sehr interessantes Thema!

    Ist bekannt, ob die verschiedenen Postämter in Vegesack in Personalunion geführt wurden?


    Viele Grüße

    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

  • Mir ist dazu nichts bekannt.

    Ob dies mal jemand untersucht hat?

    Paul Orth hat dazu meines Wissens nichts geschrieben. Und in der "Bremen-Literatur" kenne ich mich nicht aus.


    Zur Ganzsache eine kleine Ergänzung:

    Die abgebildete Preussen-Ganzsache hat das Vegesack-Aufgabedatum vom 24.02. und wurde am 25.02. mit dem K2 "Hohenkirchen" abgestempelt. Da der K2 "Hohenkirchen" erst ab Ende 1866 verwendet wurde, muss diese Ganzsache auf das Datum 24.02.1867 datieren.