• Hallo zusammen!

    Ich habe erst jetzt diesen Thread genauer gelesen, da auch ich einen Brief nach England ganz ähnlich dem in #1 gezeigten habe, bei dem ich zwar jetzt die Taxierung kenne (Dank an bayern klassisch), aber (noch) nicht selbst anhand von Verträgen nachvollziehen kann. Vielleicht kann mir jemand ein bisschen weiterhelfen?

    Der Brief ist von 1865, also eine Gebühr von 18 Kreuzer insgesamt, davon 10 Weiterfranko wie beim Leitweg über Ostende/Belgien üblich. Die Zustellung nach England übernahm Preussen im Auftrag der deutschen Nachbarstaaten, die dem zugestimmt hatten. Vertraglich relevant scheint mir der Postvertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und Preussen vom 13. Juni 1859 gewesen zu sein. Hier eine von mir erstellte kurze Zusammenfassung der ersten 7 Artikel:

    Die Gebühr für frankierte Briefe ins Vereinigte Königreich betrug nun 5 Silbergroschen und für unfrankierte Briefe 7 Silbergroschen, umgerechnet in die jeweilige Landeswährung. Für Briefe in die von Preussen vertretenen deutschen Staaten waren die entsprechenden Gebühren 6 und 8 Pence. [Artikel I] Die Gewichtsstufen blieben unverändert. [Artikel II] Unzureichend mit Briefmarken frankierten Briefen wurden die Kosten eines unfrankierten Briefes abzüglich des Frankaturwertes in Rechnung gestellt. Diese Gebühren sollten je zur Hälfte zwischen beiden Ländern geteilt werden. [Artikel III]. Das Vereinigte Königreich übernahm die Zahlung aller an Belgien fälligen Transitgebühren, von denen Preussen dann jedes Quartal die Hälfte berechnet wurde. [Artikel IV]

    Beide Länder teilten 50/50 sich die durch von Absendern von frankierten Briefen sowie die von Empfängern von unfrankierten Briefen erhobenen Gebühren. [Artikel V] Das gleiche galt auch für alle in deutschen Staaten bei der Zustellung erhobenen Zusatzgebühren, wobei Preussen stellvertretend die Zahlung übernahm. [Artikel VI] Gebühren für rekommandierte Briefe durften nur bei der Aufgabe erhoben werden; und deren Höhe konnte von den Absender-Staaten fest-gelegt werden. [Artikel VII]

    Hier nun meine Interpretation: ein einfacher, frankierter Brief nach England kostete also 5 Sgr ~= 18 Kreuzer (17,5 aufgerundet). Sowohl Preussen als auch dem Vereinigten Königreich standen jeweils die Hälfte davon zu, also 2.5 Sgr = 9 Kreuzer. Beide zahlten aber auch anteilig Belgien für den Transit, welcher 0.5 Sgr betrug (die Quelle suche ich noch). Die deutsche Seite - durch Preußen - zahlte davon 0.25 Sgr ~= 1 Kreuzer), was zu einem Weiterfranko von 10 Kreuzer (9 für England + 1 für Belgien) führte.

    Falls da so stimme sollte, jetzt meine Frage: wie wurden die auf DÖPV-Seite verbliebenen 8 Kreuzer - die Württemberg ja eingenommen hatte - zwischen Preussen, Württemberg und möglicherweise T&T aufgeteilt? Alle hatten ja einen Anteil an der Transportleistung. Bisher habe ich leider vergeblich einen Vertrag gesucht, der das regelt. Oder bin ich hier auf dem Holzweg?

  • ... gute Frage:

    Das Franko kassierte die württ. Aufgabepost. Preussen bekam bei deinem Brief gar nichts.

    Schrieb der Engländer 2 Wochen später an den Württemberger zurück, trat Aachen (Preussen) für den DÖPV als Aufgabepost auf und kassierte die für die DÖPV-Strecke bekannte Gebühr für sich allein.

    Bei Leitungen durch andere DÖPV-Gebiete, z. B. von dir angesprochen Thurn und Taxis, gab es "stille Transite"; hierfür waren zu zahlen, unabhängig von der tatsächlichen Leitung, die Beträge, die in den jeweiligen Postverträgen (hier: Württemberg - TT und beim Brief aus GB: Preussen - TT ab 1851 festgelegt wurden. Diese findet man i. d. R. unter der Fahrpost, weil es auch die Fahrpost-Transitvergütungen betraf. Da musst du mal in die Postverträge schauen, wie hoch diese nicht auf den Briefen sichtbaren Gebühren waren.

    Das ging von 1/3 Silberpfennig bis zum Maximum von 7 Spfg. pro Brief/Loth.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Ganz herzlichen Dank, lieber Ralph!

    Ich hatte gehofft, dass diese Frage eine einfache und pragmatische Antwort hatte! Jeder der Beteiligten bekam also Etwas und gab auch Etwas, und im Schnitt - bei annähernd gleichem Eingang und Ausgang von Briefen - stand wohl jeder besser da als ohne den Vertrag.

    Im Bezug auf das Weiterfranko nehme ich allerdings an, dass das pro Brief tatsächlich auch zwischen Preussen und dem Vereinigten Königreich abgerechnet wurde, auch wenn vielleicht auf Gewichtsbasis (Pakete).

  • ... das Weiterfranko wurde von der Aufgabepost kassiert (via Marke in WÜ bzw. auch bar in GB) und Preussen in beiden Fällen gutgeschrieben.

    Von WÜ über Preussen/Belgien nach GB hatte Aachen an London den entsprechenden Betrag über die Briefkarte zu vergüten, wie umgekehrt London an Aachen das Weiterfranko für Preussen zu vergüten hatte.

    Am Monatsende wurden die beiderseitigen Briefkarten aufgerechnet und die Postverwaltung, die eine Gutschrift zu bekommen hatte, bekam in ihrer Währung den von der anderen Postverwaltung geschuldeten Betrag bonifiziert.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Wie üblich prima erklärt, Danke Dir!

    Interessant finde ich übrigens, dass alle teilnehmenden deutschen Staaten - oder genauer: deren Bewohner - den gleichen Tarif erhielten. Da wurde kräftig "sozialisiert"...

    Andererseits war es für Preussen sicherlich vorteilhaft, auch postalisch/logistisch eine Vormacht in (Alt-)Deutschland zu sein. Zu gerne wüsste ich, ob das ein Verlustgeschäft war, zumal nach der grossen Tarif-Reduzierung auf 9 Kreuzer.

  • ... im Prinzip war für jeden Staat, der eigene Postverträge mit dem Ausland abschloß, das ein gutes Geschäft. Da Preussen seine selbst günstig ausgehandelten Tarife den anderen DÖPV-Mitgliedern zur Verfügung stellte, war es auch günstig für Auslandsbriefe in den DÖPV, bei denen man sich ja die Gebühr für die DÖPV-Strecke in die Tasche steckte; umgekehrt: Was hätten denn die Korrespondenten von Sachsen, der Mecklenburgs usw. machen sollten, wenn sie Post nach Belgien, den NL oder GB hatten? Die waren doch sehr froh über jeden Postvertrag, den andere abschlossen, damit sie ihre Briefe los wurden. Schon eine win-win-Situation damals.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Die Welt ist klein - gerade kam ein Preussen-Brief ins Haus, der ebenfalls wunderschön als Illustration des oben erwähnten Vertrages dienen kann, auch wenn aus Hannover abgeschickt, welches ab 1. Jan 1867 unter preussischer Postverwaltung stand.

    Der Brief stammt aus eben diesem Jahr 1867 und trägt 5 Sgr. Porto für einen frankierten Brief, davon 2.75 Sgr. Weiterfranko (2.5 für das Vereinigte Königreich und 0.25 Sgr. für Belgien). Interessanterweise war Hannover nicht Teilnehmer (via Preussen) am Postvertrag von 1859, sondern kam erst durch die Einverleibung durch Preussen als preußische Provinz in den "Genuss" des Vertrags!

    Zu erwähnen ist auch der Stempel "HANNOVER NACHTS", der ja schon anderswo diskutiert wurde.

  • ... ein sehr schöner Brief, Glückwunsch dazu.

    Aber:

    Interessanterweise war Hannover nicht Teilnehmer (via Preussen) am Postvertrag von 1859, sondern kam erst durch die Einverleibung durch Preussen als preußische Provinz in den "Genuss" des Vertrags!

    Nö - die Nutzung dieses Vertrages war für alle möglich, die von der dänischen Grenze bis zur rumänischen Grenze wohnten, von der französischen Grenze bis zur polnisch-russischen Grenze, also auch von Hannover.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • ... ein sehr schöner Brief, Glückwunsch dazu.

    Aber:

    Nö - die Nutzung dieses Vertrages war für alle möglich, die von der dänischen Grenze bis zur rumänischen Grenze wohnten, von der französischen Grenze bis zur polnisch-russischen Grenze, also auch von Hannover.

    Touché, Ralph.

    Hannover war zwar nicht in dem Postvertrag von 1859 eingeschlossen. Und dass das solcher Ausschluss für beide Vertragsparteien relevant war, hatten mir die Zusatzverträge vom 4. März 1862 und 28. März 1862 gezeigt, die Thurn & Taxis und Mecklenburg Schwerin explizit hinzufügten. Aber: ich hatte bei der Durchsicht von 10 Seiten Verträgen übersehen, dass es auch einen Zusatzvertrag vom 13. Februar 1862 gab, der das Gleiche für Hannover bewirkte!

  • ... gehe mal prinzipiell davon aus, dass Preussen ALLE Postverträge ab 1851 mit dem DÖPV-Ausland für sich und alle Mitglieder des DÖPV abgeschlossen hatte, dann passt das schon. :)

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Ach ja, man hat es schon schwer als Postgeschichtler-Anfänger...

    Erst heisst es: "Lese die Postverträge, damit was aus Dir wird!" Und wenn man es getan hat, heisst es: "Sei doch kei' Depp, nur Anfänger glauben, dass sich jemand wirklich an die Verträge gehalten hat!" :D  

  • .... na ja, an die PVe hat man sich i. d. R. schon sklavisch gehalten. Aber bitte nicht die Instruktionen vergessen, die Reglements, Durchführungsbestimmungen usw.. PO im 19. Jahrhundert ist etwas für kognitiv Privilegierte.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo zusammen!

    Vor kurzem wurde dieser Brief von Stuttgart nach London auf Philasearch angeboten. Er fiel mir zunächst wegen der Kombination der 18- und 6-Kreuzer-Marken auf, die ich sonst noch nirgendwo gesehen hatte. Dann erst habe ich versucht, die Taxierung zu verstehen.

    Laut Postvertrag Preussen-Grossbritannien vom 2.7.1852, den auch Württemberg nutzen durfte, betrugen die Gebühren für einen einfachen Brief nach England über Belgien (Ostende) 7 Silbergroschen. Waren das dann 24 Kreuzer, weil ausnahmsweise mal abgerundet wurde (7 x 3,5 = 24,5)? Leider hören alle meine Reduktionstabellen bei 20 oder 21 Kreuzern auf...

    Interessant finde ich auch die drei handschriftlichen Vermerke. Keiner davon ähnelt meiner Ansicht nach den typischen Weiterfrankovermerken Württembergs, und sie haben unterschiedliche Farben und Handschriften. Wurde vielleicht doch eine Unterfrankatur moniert? Hätte es dann aber die "Paid" und "P"-Stempel gegeben?

    Ein Foto der Rückseite habe ich leider nicht.

    Viele Grüsse und Danke für das Miträtseln,

    Euer Papiertiger


  • ... 23 Kr. sind korrekt gewesen, aber oft hat man auf den einen Kreuzer verzichtet, weil man so einfacher das Franko darstellen konnte (bei 23x wären es ja immer 18, 3, 1 und 1 Kr. Marken gewesen).

    Der inländische Anteil wurde NIE in Sgr. reduziert, hier blieben also 9 Kr. gleich 9 Kr. und nicht 3 Groschen = 10,5 Kr.), während der ausländische Anteil ja immer von Preußen mit Belgien und GB zu verrechnen war und deren Rechenbasis war der Groschen, nie der Kreuzer.

    Das Weiterfranko ist hier auch korrekt mit 4 Sgr. = 14 Kr. ausgewiesen.

    Briefe mit P bzw. PD-Stempeln durften nicht nachtaxiert werden.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Danke, das würde so Einiges erklären (außer die Markierungen)! Mal sehen, ob ich das richtig verstehe:

    Laut PV Preussen-GB konnte Preussen im Schnitt 3,5 Sgr Einkünfte pro Brief erwarten, von denen aber noch 0,5 Sgr. als Transit an Belgien gezahlt werden mussten. Netto 3 Sgr. entsprach aber auch genau der höchsten Entfernungsstufe im DÖPV. Und zu diesem Preis ließ man dann die anderen DÖPV-Staaten an dem PV teilnehmen, und zum besseren DÖPV-internen Wechselkurs von 1 Sgr = 3 Kr.

    Alle fremden Taxen berechnete Preussen aber zum “Marktpreis” des Sgr., also 1 Sgr. = 3,5 Kr. Und das waren (im Schnitt) 3 Sgr. für GB plus 1 Sgr. gemeinsame Transitkosten, also 4 Sgr. x 3,5 = 14 Kreuzer.

    23 Kreuzer waren mit den Marken der ersten Ausgabe schwer(er) darzustellen (z.B. 18+3+1+1), daher vielleicht die Überfrankatur. Im Postamt Stuttgart hätte ich die allerdings nicht erwartet. Aber vielleicht war dies ja eine Selbstfrankatur.