Mi.Nr.42 70 Kreuzer Württemberg Aktueller Forschungsstand zu Nachstempelungen

  • Liebe Sammlerfreunde,

    Mit Stand 04/2022 gibt es bezüglich Nachstempelungen kontroverse Auffassungen zwischen Prüferbund BPP und FRPSL Peter Feuser.

    Bitte hier den laufenden Fortschritt des Forschungsstandes in möglichst knapper, in einer für den Normalsammler verdaulichen Form mitteilen.
    Bitte keine Romane schreiben.

    LG vom Bayernspezi ! (Franz)

    Einmal editiert, zuletzt von Bayernspezi ()

  • Auf die These von PNF, dass es überhaupt nicht so viele überschwere und überschwere Einschreibbriefe ins Ausland mit 70 Kreuzer-Marken gegeben haben kann erfolgte über ein anderes Forum Stampsx folgende Stellungnahme der Prüfer:



    Stellungnahme der BPP-Prüfer für das Gebiet

    Die Arbeit von @stampsteddy verdient großen Respekt! Es ist beeindruckend, mit welcher Akribie die 70 Kr.-Thematik aufgearbeitet wurde und wird. Danke.

    Zum Thema: Das Verhältnis der Stuttgarter Briefpost- zu den Fahrpost-Abstempelungen bzgl. der überlieferten 70 Kr.-Marken ist plausibel. Es beträgt etwa 1:10, d.h. auf 1 Briefpost-Entwertung kommen 10 Abstempelungen der Fahrpost. Dieses Verhältnis trägt dem Umstand angemessen Rechnung, dass in den ersten Monaten nur Briefe frankierten werden konnten und der Verbrauch an „70 Kreuzer“ erst mit der Pflicht zur Frankatur der Fahrpost ab 1.2.1874 (Paketkarten) sprunghaft anstieg. Zahlenbasiert gibt es keine Gründe oder Anzeichen, die eine „Nachstempelungs-Orgie“ in Stuttgart wahrscheinlich erscheinen lassen.

    Einen konkreten Bedarf für diese Marke bei der Briefpost gab es zu jeder Zeit und bei jedem 70-Kreuzer-Postamt, insbesondere jedoch in Stuttgart. Vielleicht helfen einige statistische Überlegungen zur Veranschaulichung:

    Anzahl der „Briefpost-Gegenstände“ (Briefe) die in Württemberg per Einschreiben ins Ausland versandt wurden:

    Geschäftsjahr 1.7.1872 - 30.6.1873: 17.298 Stück

    Geschäftsjahr 1.7.1873 - 30.6.1874: 23.544 Stück

    Geschäftsjahr 1.7.1874 - 30.6.1875: 21.402 Stück

    Im Mittel handelt es sich also jährlich um ca. 21.000 Auslands-Einschreiben.

    Aufgrund der Sonderstellung Stuttgarts, schätze ich den Anteil der dort aufgegebenen Auslands-Einschreiben auf 40% also etwa 8.400 Stück. Der Anteil der sehr hohen Gewichtsstufen, die also ggfs. einer 70-Kr.-Frankatur bedurften, lag meiner Schätzung nach bei max. 5%, also rd. 400 Einschreiben pro Jahr. Im Ergebnis sind in Stuttgart also jährlich einige hundert Auslands-Einschreiben mit diesen Marken beklebt worden. Briefe sehr hoher Gewichtsstufen, die nicht per Einschreiben versandt wurden, müssen zuaddiert werden. Leider hat keiner dieser Briefe überlebt. Bei Kenntnis der Umstände leuchtet schnell ein warum. Bereits die ersten Berichte der Fachpresse über die neue Marke lösten ein großes Sammler-Interesse aus. In der 1. Ausgabe des „Illustrierten Briefmarken-Journals“ vom 1.1.1874 endet der 70-Kr.-Artikel von Dr. Moschkau mit dem Hinweis:

    „Diese Marken werden gewiss äußerst selten werden, indem sie nur bei sehr starken Briefen nach den überseeischen Ländern zur Verwendung kommen können. (Pakete und Geldbriefe werden bekanntlich in Württemberg, wie auch in Bayern, nicht mit Freimarken frankiert).“

    In den Folgeexemplaren des monatlich erscheinenden „Illustrierten Briefmarken-Journals“ finden sich einige Annoncen, in welchen die Marken angeboten wurden. Offenbar gab es einen regelrechten Run der Sammler. So findet man aufwändige Anzeigen, in denen Exemplare einzeln, „gegen Höchstgebot“, feilgeboten wurden.

    Eine „70 Kr.“ war wie ein kleiner Lottogewinn, man griff beherzt zur Schere...

    Den Vogel freilich schoss ein Händler aus New York ab, der schon etwas später im Mai 1875, die 70 Kr.-Marken nun gleich „pr. Dtzd“ anbot. Diese Exemplare stammen von Briefen, wohl überwiegend großformatige Konsulatspost (Württemberg hatte besonders viele Auswanderer nach USA!). Die 70 Kr.-Marken mit Entwertungen der Fahrpost (von Paketkarten) erreichten den philatelistischen Markt erst Jahre später. Neben der Beliebtheit der Marke ist sicherlich auch das (übergroße) Briefformat ein entscheidender Grund, warum bis heute kein 70-Kr.-Brief überlebt hat. Nebenbei: In der Sammlung Trost befindet sich seltenes Exemplar eines überformatigen und überschweren Briefes, das trotz spektakulärer Frankatur (u.a. 6 x 18 Kr.) nicht der Schere zum Opfer fiel. Der Konsulatsbrief der 12. Gewichtsstufe von Stuttgart nach Italien kostete 1871 stolze 120 Kreuzer.

    Thomas Heinrich in enger Abstimmung mit Klaus Irtenkauf

    Das Inserat aus dem Jahr 1875:



    [Blockierte Grafik: https://www.stampsx.com/hdd/forum/announcemai1875.jpg]

  • Peter Feuser wird vorgeworfen, daß seine Schätzungen nicht durch konkrete statistische Angaben untermauert worden sind.


    Für die in der Stellungnahme der Prüfer genannten "rd. 400 Einschreiben pro Jahr, die einer 70-Kr.-Frankatur bedurften" gilt das allerdings ebenfalls. Hier sollte nicht mit zweierlei Maß gemessen werden!

  • Zunächst ist es so, dass das bestehende Problem nicht neu ist.



    Bereits im Michel z.B. von 2010 ist schon jahrelang folgender Satz vermerkt:



    „Vorsicht vor Nachstempelungen und Stempelfälschungen; auch nachträgliche Gefälligkeitsentwertungen mit echten Poststempeln kommen nicht selten vor!“



    Leider ist die öffentlich bekannte Datenlage immer noch sehr schlecht.



    Die Akten über den nachträglichen Verkauf der 70 Kreuzer Marken nach dem 30.06.1875 und deren teilweisen Gefälligkeitsentwertung mit echten Stempeln wurden wohl vernichtet.



    Im Köhler-Sieger (Handbuch zur Württemberg-Philatelie) steht lediglich, dass für diese Gefälligkeitsentwertungen mit echten Stempeln der Fächerstempel (Fahrpoststempel) des Postamtes IV in Stuttgart verwendet wurde. Beweise fehlen allerdings auch hier. Wahrscheinlich ist dies allerdings.


    Deshalb ist jegliche Behauptung über einen bestimmten Anteil der Gefälligkeitsentwertungen auf den nachweisbar verkauften ungestempelten 70 Marken an Sammler nach dem 30.06.1875 reine Spekulation.


    Auch die Datenlage zum noch vorhandenen Material der 70 Kreuzer Marke ist wohl unklar.


    Insbesondere auch die Frage, wie viel Marken ungebraucht noch vorhanden sind, wie viele mit Fahrpoststempeln und wie viele mit den umstrittenen Briefpoststempeln der Postämter Stuttgart I und IV entwertet wurden.


    Der Prüfer, Thomas Heinrich, hat das Verhältnis zwischen Briefpost und Fahrpoststempel mit 1:10 in der obigen Stellung angegeben.


    Genaue Zahlen hat meines Wissens nach auch Herr Feuser nicht zum Verhältnis und der Anzahl ungebrauchter, sowie mit Briefpost oder Fahrpoststempel entwerteten Marken angegeben.


    Insgesamt finde ich die Diskussion zunehmend unschön. Die 70 Kreuzermarke ist neben dem Sachen 3er und dem Schwarzen 1er eines der Highlights der altdeutschen Staaten.


    Die derzeitige Diskussion ist für die Württemberg-Philatelie meiner Meinung nach nicht förderlich, da sich inhaltlich nichts tut und die Prüfer und die Arge-Württemberg sich eindeutig und vorläufig abschließend geäußert haben.

  • Im Köhler-Sieger (Handbuch zur Württemberg-Philatelie) steht lediglich, dass für diese Gefälligkeitsentwertungen mit echten Stempeln der Fächerstempel (Fahrpoststempel) des Postamtes IV in Stuttgart verwendet wurde. Beweise fehlen allerdings auch hier. Wahrscheinlich ist dies allerdings.


    Deshalb ist jegliche Behauptung über einen bestimmten Anteil der Gefälligkeitsentwertungen auf den nachweisbar verkauften ungestempelten 70 Marken an Sammler nach dem 30.06.1875 reine Spekulation.

    Hallo,


    Peter Feuser schreibt auf Seite 9 seiner Abhandlung (im ersten Absatz, die beiden letzten Sätze):


    Die Gefälligkeitsabstempelungen im Postamt IV werden durch Köhler-Sieger bestätigt. Alle Einzelheiten hierzu wird Karl Köhler durch die Befragung von Zeitzeugen erfahren haben. (6)


    (6) Köhler/Sieger S. 117/118


    Auch diese zwei Sätze sind pure Spekulation und zugleich Verbreitung von Desinformation. Im Handbuch Köhler-Sieger wird auf Seite 117/118 lediglich über Nachstempelungen mittels dem Fächerstempel in grüner Stempelfarbe spekuliert, aber weder beruft man sich dort auf die Angaben von Zeitzeugen, noch dass Beweise vorgetragen werden.


    Richtig ist lediglich, dass Nachstempelungen in schwarzer Stempelfarbe bekannt sind.


    Nachstehend die Seiten 117/118 aus dem besagten Handbuch. Damit jeder selbst nachlesen kann. Wegen dem Datenvolumen habe ich die beiden Seiten in je eine linke und eine rechte Hälfte aufgeteilt. Glücklicherweise ist das Handbuch auch so in Spalten aufgebaut bzw. gedruckt.


    Ferner nachstehend eine am Postamt IV aufgegebene Paketkarte aus dem Jahre 1882, die Stempelfarbe ist schwarz und nicht grün. Gemäß Handbuch Winkler/Klinkhammer endet die Verwendung der grünen Stempelfarbe am Postamt IV ca. im Jahre 1879. Da aber Peter Feuser den sogen. Sammlerschalter am Postamt IV erst ca. 1880 andenkt, so ist unerklärlich, wie der Fächerstempel einerseits im regulären Postbetrieb am Fahrpostschalter in schwarzer Stempelfarbe und gleichzeitig an einem separaten Sammlerschalter in grüner Stempelfarbe verwendet und wie der Wechsel der Stempelfarben, so dass keine Mischfarbe bei den Abdrucken entsteht, dann immer auf die Schnelle vollzogen worden sein soll, wenn ein Sammler eine Abstempelung gewünscht hat?


    Das passt ganz einfach nicht zusammen.


    Beste Grüße

    Markus

  • hallo zusammen,


    hier der link zu Peter Feusers Ausarbeitung:


    NACHSTEMPELUNGEN DER WÜRTTEMBERG 70 KREUZER IM ZUSAMMENHANG MIT DEN RESTBESTANDSVERKÄUFEN


    mit bestem Gruß Michael

  • Hallo Michael (stampmix),


    das ist ein Link auf die alte Version, es gibt eine neuere, in welcher aber sämtliche von Peter Feuser aufgeworfenen Spekulationen auch nicht bewiesen werden.


    Beste Grüße

    Markus

  • Hallo,


    nunja, wenn man keinen kopfstehenden Abschlag eines kleinen Datumbrückenstempels vom Stuttgarter Postamt I in seiner Abhandlung abbildet, dann muß man sich nicht wundern, dass kein kopfstehender dabei ist.


    Grundsätzlich stellt sich natürlich die Frage, ob alle die von Peter Feuser gezeigten Abschläge überhaupt von echten Stempelgeräten stammen und eine heutige BPP-Prüfung überhaupt überleben würden. Das Bildmaterial, auf welches Peter Feuser aus einem Ordner zurückgreift, ist vor langer Zeit zusammengetragen worden und es fehlen in seiner Abhandlung grundsätzlich Angaben zu den Bildquellen und ob die Marken geprüft sind und wenn ja, von wem.


    Nachstehend ein kopfstehender Abschlag, vom 3.10.1874, Bildquelle 367. Heinrich Köhler Auktion.


    Beste Grüße

    Markus