• Hallo in die Runde,

    ganz schön "hitzig" mittlerweile die Diskussion....aber empirisch abgeleitete Schlussfolgerungen/Aussagen sollten schon mit der entsprechenden VO untermauert werden können.
    Was sagen denn die Spezialisten aus den anderen Gebieten (Baden, Württemberg, NDP etc.) dazu.
    Wenn es denn eine entsprechende VO in Bayern gegeben hat, dann müssten doch auch aus den anderen Gebieten solche VO'en existieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die alle im "Blindflug" unterwegs waren.

    Was meinen denn die Spezialisten Bayern Social und insbesondere 1870/71 dazu ? Ihr seid da ja noch viel tiefer in der Materie.

    Beste Grüße
    Schorsch Kemser

  • Guten Abend,

    ich zitiere aus meinem Buch (Arge NDP Schriftenreihe Nr. 61 S. 31)

    Am 16. Juli 1870, dem ersten Mobilmachungstag in Norddeutschland, erhielten alle Feldpost- und zivilen Postanstalten mit der FPO Nr. 1 erste Informationen und Anweisungen zu den Postverbindungen zwischen Frankreich und der Heimat. Der Teil II. der „Grundsätze“ vermittelt einen Einblick im mögliche und praktizierte Speditionsverfahren:

    In Ansehung der Briefkartenschlüsse

    Die Briefkartenschlüsse Norddeutscher Postanstalten und Eisenbahn-Postbüreaus auf die Postanstalten und Eisenbahn-Postbüreaus des feindlichen Bereichs werden vorläufig ferner gefertigt. Ein Gleiches gilt bezüglich der im Transit durch das im Feindesbereich befindliche Gebiet abzusendenden Briefkartenschlüsse. Die Kartenschlüsse werden auf dem schnellsten, eine sichere Beförderung ermöglichenden Wege spedirt. Kann die Spedition nicht mehr mit den directen Posten resp. Eisenbahn-Posttransporten erfolgen, weil diese aufgehoben sind, so sind die Kartenschlüsse auf dem möglichst geringen Umwege in Richtung auf neutrales Gebiet zu leiten, damit die Postanstalten daselbst die Weiterbeförderung vermitteln ...

    Die Kartenschlüsse, welche von Postanstalten des feindlichen Bereichs auf Norddeutsche Postanstalten abgesandt werden, sind in geordneter Weise zu behandeln. Ueber die Kartenschlüsse sind die etwa vorgeschriebenen Abgangs- und Ankunftsregister zu führen. Werden die diesseits abgesandten Kartenschlüsse von den Postanstalten im feindlichen Bereich angenommen, aber nicht erwidert, so ist die Absendung der diesseitigen Kartenschlüsse noch nicht sogleich einzustellen. Werden die diesseits abgesandten Kartenschlüsse von den Postanstalten im feindlichen Bereich zurückgewiesen, so ist selbstredend die fernere Absendung einzustellen.

    In den Fällen, wo nach Vorstehendem die Anfertigung der directen Kartenschlüsse aufhört, sind die betreffenden Briefpostsendungen einzeln auf Postanstalten neutraler Gebiete (Belgien, Schweiz, Großbritannien) zu leiten zur Vermittlung der Weiterbeförderung … In den Fällen, wo der Bestimmungsort zeitweise außer jeder postalischen Verbindung gesetzt sein sollte, sind die Briefpostsendungen bis zu einer geeignet belegenen, erreichbaren, auf neutralem Gebiete befindlichen Postanstalt zu leiten.

    Ich hoffe, die Gemüter haben sich beruhigt!

    Gruß

    1870/71

  • Guten Abend zusammen,

    zunächst sei nochmals auf den Beitrag in post22 verwiesen, bei dem zumindest schon einmal für den Feldpostdienst dargelegt wird, dass die Kartenschlüsse für die Auslandspost nach Frankreich so anzulegen waren, dass sie A) auf neutrales Gebiet (Schweiz, Belgien, GB) zu leiten waren und B) in den Fällen, wo der Bestimmungsort zeitweise außer jeder postalischen Verbindung stand, die Sendungen bis zu einer geeignet belegenen, erreichbaren, auf neutralem Gebiete befindlichen Postanstalt zu leiten waren.

    Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass es alleine Felpostordre No. 1 des NDP gewesen ist, die bspw. der Aufgabepost von Schorschs Brief aus Donaueschingen nach Lyon die Weiterleitungsinstruktion gewesen ist. Jedenfalls aber zeigt sie, dass für die in Friedenszeiten eingefahrenen Kartenschlüsse, im Krieg so schnell und weit als möglich Alternativen mit neutralen Transitländern aufzusuchen waren. Und gerade eben das bildet doch die Hauptgrundlage für dieses, auch für das damalige Zivilpostgeschehen spannende Thema kriegsbedingter Postverkehrsumleitungen. Insofern kann ich - bei allem Respekt - solchen, wie in post19 gemachten Gegenäußerungen keinerlei Verständnis entgegen bringen.

    Der nachstehenden Quelle zu Folge - und ich hoffe die wird jetzt nicht auch noch in Frage gestellt - war die Badische Hauptbahn (auch Rheintalbahn genannt) im Zeitraum vom 24. Juli - 13. August 1870 nicht benutzbar, da sie zur Sicherung der Landesverteidigung auf Befehl des badischen Kriegsministeriums an mehreren Stellen zwischen Rastatt und Offenburg unbrauchbar gemacht werden musste (vgl. Kap. 1, S.7 u. Kap. V, S.38). Das steht "sogar" im wikipedia und lag auch daran, dass die Strecke im engen Rheintal kurz vor Basel gegen Anfang des Krieges von Frankreich aus noch direkt bedroht war. Darüber wird erstaunlicherweise kaum etwas in den Zeitungen berichtet, nur im Badener Wochenblatt vom 6. August 1870.

    https://deref-web.de/mail/client/BA…lv%3D1%26l%3Dde


    Das vorstehend verlinkte Werk von Albert Kutzemüller: Die badischen Bahnen im deutsch-französischen Krieg 1870-71 (Mannheim 1914) sagt nun auf den Seiten 33ff. aus, dass wegen der Sperre der Badischen Hauptbahn die Leitung sämtlicher Briefpost vom Badener Oberland ins Unterland über Stuttgart - Friedrichshafen - Konstanz und Rottweil - Villingen - erfolgen musste. Die zuletzt genannte Route läuft u.a. über Donaueschingen, wo Schorschs Brief aufgegeben worden ist und passt auch zu seiner immer noch recht zügigen Beförderungsdauer nach Lyon in Frankreich.

    Solange die Badische Hauptbahn gesperrt war, war es (natürlich) auch nicht möglich, darüber bspw. einen Brief von Würzburg nach Basel zu leiten, und deswegen schreibt wohl nicht nur der Würzburger Anzeiger vom 19. Juli 1870, sondern auch das Ansbacher Morgenblatt am Folgetag, dass hier für Bayern die Beförderung über Lindau nach Frankreich erfolgte (siehe Anhang). Das einzigste was mich da weiterhin stutzig macht ist die Bemerkung, dass das nur die unfrankierte Post betroffen haben soll, aber mehr erst einmal auch nicht. Der o.g. Quelle (Kap. III, S.34) zu Folge lief nach der Wiedereröffnung der Badischen Hauptbahn der gesamte, "gegeißelte badisch-bayerische Postverkehr" nach Frankreich bis November 1870 über Basel - Mâcon.

    Ich hoffe, dass damit jetzt die gröbsten Unklarheiten ausgeräumt sind. Dass die schnellen Wandlungen der kriegsbedingten Postverkehrsumleitungen nicht unmittelbar oder evtl. gar nicht (gleich) in - heuer "locker-flockig" online zu recherchierende - Verordnungen gegossen worden sind und es sich evtl. nur um interne Dienstanweisungen gehandelt ist, die wir im Moment nicht haben/finden, ja das ist nun einmal unbequem. Aber nur ein konsequent weiteres Erforschen des Hergangs der Dinge wird den weiter erwünschten Erkenntnisgewinn mit sich bringen. Ihr liebe Leut, soviel Zeit sollte man sich noch nehmen (dürfen).

    + Gruß vom Pälzer

  • Hallo Tim,

    besten Dank für deine hervorragende Recherche, die Licht ins Dunkel gebracht hat!

    Wir können nun davon ausgehen, dass die zivile Post aus Bayern ins unbesetzte Frankreich

    bis zur Freigabe der badischen Hauptbahn am 14. August 1870 über Lindau-Konstanz befördert

    wurde.

    Schorschs Brief dürfte demnach aus einem der letzten Briefpakete stammen, dass über Rottweil-

    Villingen gelaufen ist.

    Die von mir zitierte Feldpost-Ordre Nr. 1 bezieht sich auf den gesamten norddeutschen Postverkehr:

    Zivile Post und Feldpost.

    Hierzu gehört ebenfalls der Postaustausch zwischen den besetzten und unbesetzten französischen

    Gebieten, der über Drittstaaten lief.

    Hierzu ein interessantes Beispiel:

    Am 16. Februar 1871 unfrankiert in Mézières in einen Briefkasten eingeworfener Geschäftsbrief. Das in Nachbarschaft liegende Feld-Post-Relais übernahm den Brief, vermerkte blau "Bfkbf" und taxierte

    fälschlich "25" (Centimes), dem Nachporto für einen unfrankierten Inlandsbrief. Da der Adressat sich jedoch im unbesetzten Lille befand, hätte die Sendung nicht angenommen werden dürfen, da zwischen der deutschen Administration der Posten und der französischen Post keine Verrechnung stattfand. Die französische Post kassierte korrekt 30 Centimes.

    Ausweislich des roten französischen Grenzübergangsstempels PRUSSE LILLE lief der Brief über das neutrale Belgien.

    Gruß

    Rudolf

  • Die von mir zitierte Feldpost-Ordre Nr. 1 bezieht sich auf den gesamten norddeutschen Postverkehr:

    Zivile Post und Feldpost.

    Hallo Rudolf,

    das habe ich schon verstanden, aber war das für die Zivilpostexpeditionen und die Bahnpost im NDP jetzt die alleinige Instruktion, wie und wohin von dort jetzt Briefe nach Frankreich zu leiten waren ? Ich meinte zuvor, dass ich da schon noch präzisere Kartierungsanweisungen vermute, die wie gesagt zwar (vielleicht) nicht gleich in Verodnungen gegossen, wohl aber als interne Dienstanweisungen circuliert sind. Wenn ich dieses Jahr ins Bundesarchiv gehe, werde ich versuchen dem noch weiter auf den Grund zu gehen, ozapft is ! 8o

    Gruß

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Guten Abend,

    als Ergänzung zur Diskussion um Schorschs Brief #1 die Schweizer Verfügung Nr. 102 vom

    3. August 1870, die eindeutig die Leitung nach und über Bayern via Lindau belegt.

    Also doch keine Zeitungsenten!

    Gruß

    1870/71