Postzensur in Friedenszeiten

  • 1879, 5 Rp. Porto für Drucksache von Bern an die Kaiserliche Sternwarte in St. Petersburg, welche der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften unterstellt war. Zensurstempel aus Russland. Die Buchstaben bedeuten D.Z. für Departement Zensura aus der Zensurstelle in Charkow.

  • Hallo Rene,


    ääh, warum sollte man 1879 eine offene Drucksache zensieren?

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Ralph


    Die Geschichte besagt dass seit der Französischen Revolution und Ihrer Ideen (ohne zu benennen welche) , sich der Russische Zar Paul I. veranlasst sah ein Gesetz in Kraft zu setzen, welches alle Drucksachen aus dem In- und Ausland einer Zensur durch die Gendarmerieverwaltung im Innenministerium unterwarf. Erstmals in den 1870 er Jahren findet man solche Zensurstempel.


    Georg Schild ein Schweizer Sammler, hat 1988 einen Artikel geschrieben über diese Zensur.

    Da ist dann zum Schluss auch die Bibliographie gelistet.


    Lieber Gruss Rene

  • Hallo Rene,


    vielen Dank für den tollen Artikel - kannte ich nicht und hätte ich auch für zweifelhaft gehalten, aber so war es nun mal. Wieder etwas dazu gelernt (leider sind Drucksachen = DS von Bayern nach Russland extrem selten, so dass ich mich trotz des nun durch dich erweiterten Wissens kaum auf die Suche nach solch einem Stück werde machen können - ihr Schweizsammler seid schon priviligiert!). :)

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




    • Offizieller Beitrag

    Hallo Rene,


    meinen Glückwunsch zu diesem absolut seltenen Stück. :):thumbup: Einen so frühen Zensurstempel habe ich zuvor noch nicht gesehen.

    Er dokumentiert aber tatsächlich auch die Zeitgeschichte. Der Zar Alexander II. hatte nach dem Krim-Krieg große Reformen angestossen, aber die Bauernbefreiung wie auch manches andere verlief nicht nur positiv, die innenpolitischen Spannungen nahmen zu und es entstanden geheime Gruppen von Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten. Als 1866/67 zwei Attentate auf den Zaren verübt wurden, veränderte dies die Einstellung und Reformwilligkeit des Zaren und die Zensur wurde wieder deutlich strenger gehandhabt. Im Jahr 1879 (dein Brief) gab es 2 weitere Attentate auf den Zaren.

    Aus dieser Sicht gehört der Brief in einen ganz besonderen postgeschichtlich/sozialen Rahmen.


    Gruß

    Michael

  • Hallo zusammen,

    in diesen thread passt dann auch gut der folgende Beleg vom 14.5.1878 aus München an eine Frau M. Zenz in der Bierbrauerei Bavaria in Petersburg. Es ist die Anzeige eines Premierlieutnant Vogt für die Geburt seiner Tochter. Wofür der rückseitige blaue Rahmenstempel (nach Angabe eines Vereinskollegen, der Rußland sammelt, heißt es "frankowirano" und bedeutet frankiert) genau steht, ist mir noch nicht klar. Ist es das russische Pendant zum amerikanischen "paid all"- oder dem bayerischen PD-Stempel ? Der von Euch beschriebene Zensurstempel ist jedenfalls deutlich und es ist offenbar ein sehr früher Beleg dafür.

    Diese Auslandsdrucksachen sind tatsächlich nicht leicht zu finden und wenn, dann meist nach CH, F oder I .

    Schönes Wochenende wünscht die


    redaktioneller Hinweis: 6 Beiträge aus "Schweiz-Russland" hierhin kopiert

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Freunde,


    in Russland wurde auch in Friedenszeiten sporadisch aus dem Ausland eingehende Post kontrolliert/zensiert. Es gab eh schon innenpolitische Widerstände, teils gewaltätig mit Attentaten auf den Zaren oder sonstige Würdenträger. Da wollte man keinen Import von revolutionären Ideen. Die Intensität der Postzensurmassnahmen korrespondierte mit der (In-)Stabilität der innenpolitischen Lage.

    Hier eine Streifbandsendung von 1908 aus dem schweizerischen Cham am Zugersee nach Saraisk im Gouvernement Rjasan, ca. 160 km südöstlich von Moskau.
    Frankiert wurde die Drucksache mit 15 Rappen, was nach Angaben des Vorbesitzers ein Gewicht von 100-150 Gramm (3. Gewichtsstufe) bedeutete.

    Erstaunlicherweise lief die Sendung über Odessa am Scharzen Meer. Von dort stammt der Zensur-Stempel Д.Ц. Одесса (Departement Zensura Odessa).



    Der Absender ist leider nicht mehr ersichtlich. Der Adressat, die Russische Baumwoll-Spinnerei war ursprünglich im Besitz einer schweizer Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich. 1907 war sie von der Moskauer Textil-Manufaktur übernommen worden, die ihrerseits ebenfalls schweizer Textilindustriellen gehörte. Diese Firma gibt es bis heute unter dem Namen MTM-Holding.


    Viele Grüße
    Michael

  • Hallo José,


    :thumbup: danke für die Bestätigung.


    Viele Grüße
    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

    Einmal editiert, zuletzt von Admin-M ()

  • Liebe Freunde,

    hier ein Brief (Drucksache) von 1891 aus London nach Kronstadt, der auf einer Insel mit Festungsanlagen vorgelagerte Hafen von St. Petersburg, an das Kaiser(liche) Kriegsm(arine) Hosp(ital).

    Zur Zensur wurde der Brief nach St. Petersburg gebracht.



    Viel Grüße

    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte