Post des großherzoglichen Hauses Hessen

  • Ein interessanter markenloser Auslandsbrief aus dem Darmstadt des Jahres 1866: Die Empfängerin ist "Sa Majesté La Reine Marie Amélie", die im Exil in England lebende Königin der Franzosen (1782-1866), Witwe des 1850 verstorbenen ehemaligen "Bürgerkönigs" Louis-Philippe. Das Königspaar war 1848 während der Februarrevolution überhastet aus Paris geflohen, andere Familienangehörige hatten sich angeschlossen. Königin Victoria stellte den französischen Royals den Landsitz Claremont in Esher in der Grafschaft Surrey zur Verfügung. Dorthin ist dieser Brief adressiert.

    Die Absenderin gibt sich nur durch ihre Handschrift und das rückseitig Siegel zu erkennen. Es ist Alice, die Gattin von Ludwig IV., Großherzog von Hessen und bei Rhein. Alice war eine Tochter von Queen Victoria und als solche eine Prinzessin von Großbritannien und Irland.

    Der Brief wurde im Februar 1866 in Darmstadt gestempelt. Der Tag ist schwer zu erkennen, der Durchgangsstempel von Frankfurt (Main) vom 15.2. lässt aber ebenfalls den 15. oder evtl. den 14.2. als Aufgabetag vermuten. In London war der Brief als Poststempel am 17.2., am Zielort Esher noch am gleichen Tag. Königin Marie Amélie starb übrigens am 24. März 1866 im Alter von 83 Jahren - nur fünf Wochen nach Erhalt dieses Briefes. Sie war zuvor die letzte noch lebende Enkelin der österreichischen Kaiserin Maria Theresia.

    Wie sieht es aber mit der Freimachung aus? Eine Taxziffer "3" wurde durchgestrichen, dafür wurde eine "8" auf dem Umschlag notiert. Kann ein SF dazu mehr sagen? Das ist nämlich überhaupt nicht meine Expertise.

    Herzliche Grüße

    Peter


    Mitglied

    Royal Philatelic Society London * Forschungsgemeinschaft Großbritannien e.V. im BDPh e.V.

    Arge Jugoslawien und Nachfolgestaaten e.V. im BDPh e.V. * Military Postal History Society (APS affiliate)

  • Hallo Peter,

    Taxis belastete 3 Sgr. Postvereinsanteil, der später von Preußen an Taxis vergütet wurde. Das Gesamtporto in London lag bei 8 d. Hiervon erhielt Belgien 1/2 d und Preußen 3 1/2 d.

    Grüße

    Karl

  • Hallo Karl,

    Tippfehler: Statt "Preußen 3 1/2d" muss es heißen "GB 3 1/2d".

    Die hessischen Stempel heißen sicher 15.2..

    Eigentlich hätte die Absenderin als Ehefrau eines regierenden Fürsten Postfreiheit in deutschen Landen beanspruchen können, aber es war vermutlich egal, oder man in GB 4d oder 8d zahlte - Geld sollte vorhanden gewesen sein.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo Karl,

    also hat bei Frankobriefe der Absender den belgischen Transit bezahlt und bei Portobriefen der Empfänger.

    Liebe Grüsse vom Ralph

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  • Sehr spannend und sehr hilfreich, vielen Dank.


    Hätte Prinzessin Alice die Portofeiheit auf dem Umschlag deutlich machen müssen?

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  • Hallo Peter,

    i. d. R. kannte die Aufgabepost, auch eine größere wie die in Darmstadt, anhand der Siegel ihre Kunden, weil das Alltag war und portobefreite Personen bei der Aufgabepost einen Siegelabdruck hinterließen, um eben diese Portofreiheit zu genießen (die aktive zumindest).

    Aber wenn ein Brief dringend war und in den Briefkasten eingeworfen wurde, um nicht 1 Stunde anstehen zu müssen, dann war das obsolet und die Post hat bei nicht vorne entsprechend gekennzeichneten Sendungen nicht auf Siegelungen geachtet und ihn als Normalbrief taxiert. Sonst hätte man notieren können/müssen: Portofrei bis Grenze, bzw. Franco 0. Dergleichen Briefe sind aber äußerst selten (ohne Ansehung des Empfängers) und mit z. B. von Bayern nur aus der Korrespondenz von König Ludwig II an Richard Wagner in der Schweiz bekannt.

    Liebe Grüsse vom Ralph

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  • Erneut ein portofreier Adelsbrief aus Darmstadt, diesmal aus dem Jahr 1865. Absender ist Prinz Alexander von Hessen-Darmstadt (1823-1888), der Begründer des Hauses Battenberg war und als solcher Urgroßvater mütterlicherseits von Prinz Philip, Duke of Edinburgh und Ururgroßvater von Prinz Charles. Er war eine morganatische (nicht standesgemäße) Ehe mit der Hofdame Gräfin Julia Hauke eingegangen. Alexanders Bruder, Großherzog Ludwig III., gab Alexanders Frau den Titel "Prinzessin (bzw. Fürstin) von Battenberg", ihre Kinder waren von der hessischen Erbfolge ausgeschlossen. Alexander selbst, obwohl er die Linie der Battenberger quasi begründet hat, behielt zeit Lebens seinen ursprünglichen Titel als Prinz von Hessen-Darmstadt, den er auch in diesem Brief führt.

    Geschrieben wurde er am 16. Dezember 1865, gestempelt in Darmstadt am 17. Dezember, rückseitig Durchgangsstempel von Frankfurt ebenfalls vom 17., Bahnpost (von wo?) nach Hannover vom 18. und Ankunftsstempel von Hannover am gleichen Tag. Zur Taxziffer ("4") weiß ich (wie immer) nichts zu sagen. War so ein Brief nicht durchgehend portofrei? Auf der Vorderseite des Umschlags finden sich (in der linken unteren Ecke) auch die Initialen des Prinzen "Pr A de H", also Prince Alexandre de Hesse, auf der Rückseite ist sein rotes Wachssiegel.

    Er ist jedenfalls adressiert an Gustave de Reiset (1821-1905), den französischen Gesandten am Hofe von König Georg V. von Hannover. Er war zuvor, im Jahr 1856, auch in Darmstadt als Gesandter Frankreichs, daher wohl die Verbindung zu Prinz Alexander. De Reiset war zudem Autor, Kunstsammler und - das verbindet ihn mit dem hessischen Prinzen besonders - Numismatiker (siehe Briefinhalt unten). Zudem komponierte er Opern, auch das geht aus dem Schreiben hervor.

    Hier der Text des Briefes, übersetzt aus dem Französischen:

    "Sehr geehrter Herr Graf

    wenn ich so spät dazu komme, um Ihnen dafür zu danken, dass Sie mir "Donna Maria" [eine Oper, die der Graf von Reiset unter dem Pseudonym Gustave Teiset komponiert hat] geschickt haben, dann deshalb, weil ich zuerst eine intime Bekanntschaft mit diesem Jüngsten Ihrer musikalischen Werke machen wollte, bevor ich auf Ihren freundlichen Brief vom 18. November antwortete. Heute kann ich Ihnen in Kenntnis der Sachlage und nach bestem Wissen und Gewissen sagen, dass Ihre neue Partitur meine Zustimmung findet.

    Soweit es möglich ist, eine Oper auf dem Klavier zu beurteilen, glaube ich, dass "Donna Maria" auf der Bühne eine große Wirkung erzielen muss. Sie hatten sehr glückliche Ideen, und dieses Mal haben Sie sich nichts versagt: Ballett, große Märsche, alles ist da.

    Ich wäre entzückt, wenn unser Hoftheater bald dem guten Beispiel des Braunschweiger Theaters folgen würde. Im Moment absorbieren die Erfolge der "Afrikanerin" hier alles [Meyerbeers Oper, die im April 1865 post mortem uraufgeführt wurde], und Sie müssen dem großen Maestro, der nicht mehr da ist, den Vortritt lassen! - Man sagt mir, dass Herr Danger [Georg Banger, der Librettist von "Donna Maria"] sehr stolz darauf ist, seinen Namen neben Ihrem zu sehen: gekrönte Bescheidenheit (was ihm heutzutage nicht oft passiert).

    Das Porträt Ihrer poetischen Reise nach Oberwesel [Stadt am Mittelrhein] hat mir große Freude bereitet: Ich bin entzückt zu erfahren, dass Sie einen Fuß an unseren Rheinufern behalten haben und nicht mit Waffen und Gepäck ins norddeutsche Lager übergelaufen sind.

    Wenn es mir gelingt, den seit langem gehegten Plan auszuführen, Braunschweig und Hannover zu besuchen, werde ich es nicht versäumen, Sie im Voraus zu benachrichtigen. Ich wusste bereits, dass Sie mit dem König [Georg V. von Hannover] und mit meinem Cousin Wilhelm [Herzog von Braunschweig] im besten Einvernehmen stehen, aber was für mich neu ist, ist, dass ich in Ihnen, Herr Graf, einen Kollegen auf dem Gebiet der Numismatik begrüßen kann. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ich diese wunderbare Entscheidung sehr stark befürworte.

    Die Prinzessin [von Battenberg], die mich mit ihren Grüßen für Sie beauftragt, schließt sich mir an, wenn ich Sie bitte, Frau de Reiset zu grüßen.

    Genehmigen Sie, Herr Graf, die Versicherung meiner vorzüglichsten Gefühle.

    Prinz Alex. von Hessen"


    Mitglied

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    Einmal editiert, zuletzt von Real Royal Mail (17. Januar 2022 um 07:49)

  • Hallo,

    der Brief lief durchgehend mit der Eisenbahn. In Frankfurt wurde er umgeladen und lief über Giessen und Kassel nach Hannover, daher auch der rückseitige Bahnstempel Cassel-Hannover.

    Lt. Art. 27 des Postvereinsvertrages von 1860 war die Correspondenz sämtlicher Mitglieder der Regentenfamilien der Postvereinsstaaten portofrei. Ob dieser Absender dazu gehörte kann ich nicht sagen.

    Tatsächlich wurde dein Brief jedoch nicht portofrei befördert, sondern als unfrankierter Brief. Hier lag das Porto bei einer Strecke über 20 Meilen in Hannover bei 4 Gr.

    Grüße von liball

  • Vielen Dank, liball!

    Alexander sollte eigentlich als Sohn des Großherzogs und Mitglied des regierenden Hauses Portofreiheit genossen haben. Möglicherweise ist er auch davon ausgegangen, denn wieso sollte er Post einfach unfrankiert aufgegeben haben (noch dazu mit seiner Paraphe "A Pr de H"? Vielleicht ist es ja ähnlich wie beim zuvor gezeigten unfrankierten Brief vom Prinzessin Alice, nämlich dass er über den Briefkasten aufgegeben wurde?

    Mitglied

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  • ... ich denke auch, dass man den Brief in den Briefkasten geworfen hat, vlt. bei einem Stadtbummel in Darmstadt.

    Was links unten stand, interessierte die Post nur dann, wenn es "frei", oder "franco" hieß, dann musste er nämlich frankiert worden sein, was hier nicht der Fall (und evtl. nötig war), oder wenn ein Vermerk angebracht war, der der Aufgabepost suggerierte, dass der Brief von jeder Taxe freizulassen war. Ob diese Buchstabenkombination hierfür geeignet bzw. zugelassen oder bekannt war in Darmstadt, kann man angesichts seiner Behandlung bezweifeln.

    Üblich wäre z. B. ein "franco Taxis" oder "franco NULL", damit man gleich sah, dass hier nach Prüfung des Siegels eine aktive Portofreiheit vorlag.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo zusammen,

    nach meiner Beobachtung ist die portofreie Korrespondenz der Herrscherhäuser in der Regel recommandiert versandt worden.

    Die Hoheiten dürften sich in der Regel nicht selbst zum Briefkasten begeben, sondern einen Diener beauftragt haben, das Postamt aufzusuchen.

    Bei den gezeigten Portobriefen dürfte es sich um absolute Ausnahmen handeln.

    Nachfolgend zwei Briefe von und nach Sachsen.


    Beste Grüße

    Altsax

  • Sehr hübsch, vielen Dank. Der obere Brief ist wohl an Prinzessin Wilhelmine von Dänemark, Herzogin von Schleswig-Holstein-Glücksburg-Sonderburg, über ihren zweiten Mann Herzog Karl verwandt mit dem britischen Königshaus. Ihre Großnichte war die Uroma von Elizabeth II.

    Der untere Brief ist an ein Mitglied des (1848 geschassten) französischen Königshauses gerichtet, Marguerite von Orléans. Queen Victoria hatte den Franzosen Asyl gewährt.

    Interessant wären noch die Absender. Hattest Du die schon recherchiert (oder sind sie vielleicht für einen erfahrenen Sachsen-Sammler offensichtlich), Altsax?

    Tatsächlich sind viele dieser königlichen Briefe per Einschreiben geschickt worden, aber längst nicht alle. Gerade das britische Königshaus hat dies oft nicht getan. So ist mir kein Brief von Queen Victoria bekannt, der per Einschreiben geschickt wurde. Auf dem Kontinent, gerade in den deutschen Staaten, war das hingegen üblich.

    Seit den 1910er Jahren wurden vermehrt Briefe des britischen Königshauses per Einschreiben aufgegeben, unter König George V. wurde es dann sogar zur Regel. Hier ein Brief der Königinwitwe Alexandra (Ehefrau von König Edward VII. und die oben erwähnte Großnichte von Wilhelmine von Dänemark) von 1911 vom Schloss Sandringham in der Grafschaft Norfolk nach London. Dem ebenfalls erhaltenen Schreiben zufolge enthielt er allerdings 100 Pfund in bar (für ein Denkmal für die kurz zuvor verstorbene Florence Nightingale), deshalb wurde er per Einschreiben geschickt.

    Mitglied

    Royal Philatelic Society London * Forschungsgemeinschaft Großbritannien e.V. im BDPh e.V.

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    Einmal editiert, zuletzt von Real Royal Mail (18. Januar 2022 um 18:28)