Postzensur in Russland

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Freunde,

    hier ein Reco-Brief der russischen Siemens-Schuckert (Tochterunternehmen des deutschen Unternehmens Siemens-Schuckert) vom 14. April 1915 aus Petrograd, vormals St. Petersburg, nach London. Ankunft in London am 7. Mai 1915.

    Die verklebten 50 Kopeken wären korrekt für einen Reco-Brief der 4. Gewichtsstufe.
    Rückseitig ein Zensurstempel, der geöffnete Brief wurde mit einem sehr gut erhaltenen Siegel der Petrograder Militär Zensur ( петроградская военная цензура ) wieder verschlossen.

    Gruß

    Michael

  • Wie ich schon mal angedeutet habe, sind die Postzensuren Russlands aus dem 1. Weltkrieg eines meiner top Gebiete. Ich dürfte so 700 - 800 Belege haben.

    Bei der Literatur ist es etwas dürftig. Der Kosoy behandelt nur die Stempel aus Petrograd. Am sonsten gibt es aus Russland nur noch ein Handbuch, das die Zensur von Drucksachen behandelt, welche ab Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Ausland geschickt wurden. Das Handbuch von Skipton / Michalove behandelt das Thema Zensur auch eher allgemein und startet mit dem Beginn der Zensur in Russland und zeigt dann eine größere Anzahl der Zensurstempel aus dem 1. Weltkrieg. Einzig allein der Speeckaert behandelt das Thema ausführlich. Nach der 1. Auflage (1988?) erschien 1990 dann die 2. Auflage. 1997 gab es dann einen Nachtrag, welcher später über die Zeitschrift für klassische Russlandphilatelie um drei weitere Nachträge erweitert wurde.

    Ich beschäftige mich nun seit knapp neun Jahren mit diesem Thema. Ich finde es toll, das jemand dieses Thema angegangen ist. Der größte Teil der Stempel wird gezeigt. Ich kann aber auch sagen, das hier noch eine erhebliche Menge Luft noch oben ist. Inzwischen habe ich eine ganze Menge an Belegen bekommen, bei denen der Stempel hier nicht aufgeführt ist.

    Um in Petrograd zu bleiben: die im oben gezeigten sowie in meinem Beleg zu sehenden Zensurstempel sind Stempel, welche einem Prüfer persönlich zugeteilt waren. Zu sehen sind neben der Nummer auch eine Faksimile-Unterschrift (Kürzel). Bekannt sind Die Zensornummern 3 - 68 mit einigen Lücken.

    Karte aus Pischely (Pyšely im heutigen Tschechien) nach БИЙСК (Biysk) im Gebiet Tomsk. Die Karte lief über die Zensurstelle Wien, dann über Petrograd, wo das erste Mal in Russland geprüft wurde und schließlich nach Zarizyn, wo erneut geprüft wurde. Anschließend ging es dann an den Bestimmungsort.

    Der hier gezeigte Zensurstempel mit der Zensornummer '33' ist der einzige, der in rot bekannt ist. Alle weiteren existieren nur in der Stempelfarbe violett.

    Der Zensurstempel von Zarizyn zeigt hier den Setzfehler 'i' an der zweiten Stelle anstatt eines 'a'.

  • Der Verschlussstreifen aus Moskau existiert in mehreren Farben (weiß, gelb und orange). Zudem gibt es unterschiedliche Typen beim Punkt. Bei dem Zensurstempel mit den Initialen habe ich 38 verschiedene registriert.

    Ganzsachenumschlag vom 23.10.1916 aus Kasan. In Kasan wurde der Brief erstmalig geprüft und mit einem rosa Verschlussstreifen wieder verschlossen. Zudem kam ein Zensurstempel auf den Umschlag. Weitergeleitet nach Moskau wurde hier ein weiteres Mal geprüft. Auch hier kam ein Verschlussstreifen auf den Umschlag und ein weiterer Zensurstempel ähnlich wie auf deinem Brief, jedoch mit einer Nummer des Zensors. Anschließend lief der Brief an seinen Bestimmungsort Lausanne.

    Außer den Verschlussstreifen aus Petrograd und Moskau sind die aus allen anderen Zensurstellen selten bis äußerst selten.

  • Hier ein Brief mit Verschlussstreifen aus Minsk, aufgegeben am 17.6.1917 in Mogiljew, was zum Militärbezirk Minsk gehörte. Geprüft wurde meiner Meinung nach zweimal. Zunächst in Mogiljew (auch wenn Speeckaert von dort keine Zensurstelle benennt, gab es dort definitiv eine), wo die beiden pinkfarbenen Zensurstempel abgeschlagen wurden und dann ein weiteres Mal in Minsk, wo der Brief dann auch verschlossen wurde.

    Der Brief ist korrekt mit 20 Kopeken für ein Einschreiben frankiert und wurde in die Schweiz gesendet.

  • Die Verschlussstreifen aus Petrograd lasse ich erst einmal außer Acht. Bei der Menge könnte man fast ein eigenes Thema für starten. Zum Teil sind hier sogar nur sehr geringfügige Unterschiede festzustellen.

    Dafür zeige ich ein Einschreiben vom 13.4.1916 aus Reval nach Kopenhagen ans Rote Kreuz. Der Streifen besteht aus leicht rosa Papier mit einer Größe von ca. 77 x 61 mm. Zusätzlich befindet sich der Siegelstempel des spanischen Vizekonsuls sowie ein roter ovaler Zensurstempel mit den Initialen F.L. auf dem Brief. Letzterer existiert mit mehreren verschiedenen Initialen.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Schlacki,

    interessante Belege.
    Zu dem letzten habe ich eine Frage: der Verschlussstreifen zeigt nicht, wie die anderen bisher hier zu sehenden, die Beschriftung "Stadtname Militär Zensur". Kennst Du den Hintergrund dafür?

    Dann noch eine Frage hinterher: Warum wurden Briefe doppelt kontrolliert/zensiert? Waren das Stichproben oder gab es da ein System?

    Viele Grüße

    Michael

  • Hallo Schlacki,

    deine Briefe gefallen mir. Sachlich kann ich leider mangels Kenntnis der Schrift und der Auslegung nichts beitragen. Aber schön, daß es nun für dieses Gebiet einen Exprten gibt.

    beste Grüße

    Dieter

  • Ich verstehe deine Frage nicht. Es steht wie bei den anderen der Städtename (Reval) und dann 'Militärzensur'. Eben wie bei den anderen auch. Beim Minsker Verschlussstreifen ist es mit 'Geprüft Militärzensur ...' ausführlicher. Es gab keine bestimmten oder exakten Vorgaben, wie die Stempel, Verschlussstreifen und Siegel auszusehen hatten. Da hatten die einzelnen Zensurstellen mehr oder minder freie Hand. Daher auch die große Vielfalt.

    Eine doppelte Zensur kann mehrere Gründe haben. Beispielsweise kann bei der ersten Prüfung etwas unklar gewesen sein. Wenn der Prüfer also nicht sicher war, hat dann ein anderer Zensor sich das Stück ein weiteres Mal angesehen.

    Auch kann ein Zensor einer Sprache nicht mächtig gewesen sein und das Schriftstück dann weitergereicht worden sein. Eventuell hat ein Prüfer auch die Arbeit eines anderen überprüft. Da gab´s sicherlich verschiedenste Gründe.

    Zitat


    Sachlich kann ich leider mangels Kenntnis der Schrift und der Auslegung nichts beitragen.

    Nun, ich kann das kyrillische lesen - ist nicht so schwer, aber russisch kann ich nicht. Daher habe ich dann bei der Übersetzung auch meine Schwierigkeiten. So gut ist google dann auch nicht immer.

  • Laut Speeckaert sind am sonsten nur noch Verschlusszettel aus Kasan, Tallin und Tiflis bekannt, welcher alle äußerst selten sind. Aufgefallen sind mir nur noch Belege aus Irkutsk mit neutralem Verschlussstreifen aufgefallen. Diese haben jeweils die gleiche Breite und sind nur unterschiedlich lang. Möglicherweise hatte man hier eine Rolle Papier, von denen man Stücke abgeschnitten oder abgerissen hat.

    7-Kopekenumschlag mit 3 Kopeken Zusatzfrankatur aus Irkutsk vom 24.8.1916. Rückseitig dieser Papierstreifen. Darauf übergehend ein roter Zensurstempel sowie ein weiterer vorderseitig aus Irkutsk. Auch hier wurde ein zweites Mal - in Sarapul - geprüft.

  • In Batum und Odessa nutzte man anstelle von Papierstreifen auch Klammern, um die Briefe wieder zu verschließen.

    Mit 25 Centimes freigemachter Brief vom 5. Mai 1915 aus Paris. Der Brief lief über die Zensurstellen in Petrograd (vorderseitiger Zensurstempel) und Odessa (rückseitiger Zensurstempel mit Unterschrift des Prüfers).

  • Am sonsten wurde mit allem verschlossen, was man zur Hand hatte. In diesem Fall war es ein Verschlussstreifen für Telegramme.

    Brief aus Lublin (Polen) vom 1.1.1915 nach Genf. Geprüft wurde in Lublin, was zum Militärbezirk Minsk gehörte. Zensor war ein gewisser E.A. von Stavenhagen. Zensur aus polnischen Städten ist sehr selten.

  • Der Brief ging nach Urschum (russ. Уржум), wie es in rot in der ersten Zeile sowie im Stempel steht.

    Das der Brief so lange unterwegs war, kann mehrere Gründe haben. Zum einen könnte er eine längere Zeit bei der Zensur gelegen haben. Eine Fehlleitung wäre auch möglich. Andererseits sind in der Adresse Teile gestrichen und ersetzt worden. So scheint es am wahrscheinlichsten, das der Brief nachgesendet wurde.

  • Am häufigsten nahm man Bogenränder von Briefmarken, um die Briefe wieder zu verschließen. In diesem Fall war es der einer 1-Rubel-Marke.

    Illustrierter Briefumschlag, freigemacht mit 10 Kopeken, abgesendet am 8.12.1915 in Pogranitschnaja, dort geprüft und mit zwei Zensurstempeln versehen.

    Pogranitschnaja ist ein Grenzort in der Mandschurei, an einem Teilstück der Transsibirischen Eisenbahnstrecke von Wladiwostok nach Tschita. Dieser Teilabschnitt bestand nur bis 1916.