Der Deutsche Krieg 1866

  • Lieber Wilfried,


    genau so. :thumbup:

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Aschaffenburg d. 18ten Juli 66


    Mein lieber freundlicher Herr Wirth!

    Ein ehrlicher Mann hällt sein Wort, dieß mahnt mich heut an mein Versprechen, Sie von meinem Befinden in Kenntnis zu setzen. Heut kann es grade einmal in aller Gemüthsruhe geschehen, da wir uns hier seit dem gemüthlich schönen Gotha wieder einmal eines Tages behaglicher Ruhe erfreuen. Wie wohl dies den ermatteten halb gefolterten Gliedern thut, kann ich Ihnen kaum beschreiben, ich wundere mich selbst daß man sich nach diesem Gebirgsklettern durch den Thüringerwald sowie Spessardgebirge, bei den Nachtlagern unter Gottes freiem Himmel auf fünf Fuß bloßer Erde sowie dieser unordentlichen Lebensweise wohl befinden kann, ja so wohl daß ich schon heute vor Freuden über diesen Ruhetag dreimal in den Main gesprungen bin. Ich habe hier wieder ein recht nettes Quatir bekommen bei nichts weniger als feindlich gesinnten Leuten, die mir alles verschaffen was ihnen nur möglich, Eier, Wein, was bekanntlich hier im Baierland sehr billig und gut ist, im Überfluß, doch mit meinem Gothaer Quatir kann es sich nicht messen, da mein Wirth ein Sattler nur wenig Weltkenntniß besitzt und nur zittert und verzagt ist über diese Zeiten.

    Nun will ich mich bemühen Ihnen uns’re Marschruthe sowie Gefechte mit den Baiern, soviel ich davon gesehen, zu beschreiben. Von Gotha wo wir den 1ten July ausrückten, kamen wir den zweiten Marschtag durch Eisenach im nächstliegenden Dorfe in Quatir, wodurch wir Gelegenheit fanden den Aufenthalt des großen Mannes Luther die Wartburg zu sehen was uns allen eine ewige Erinnerung sein wird. Den 3ten und 4ten beschwerliche Märsche durch den Thüringerwald bis zur Stadt Längstfeld [=Stadtlengsfeld] wo wir, verschiedene Regimenter, vor der Stadt zur Reserve lagen. Da sich die Baiern nach einem kurzen Gefecht zurückgezogen so marschierten wir ihnen durch Stadt Fulda nach. Den 10ten rückten wir in Baiern ein am Gefechtstage von Kissingen, kamen durch die Stadt Brikenau [Brückenau] bis vor Kissingen um zur Avangarde zu stoßen wenn’s Noth thue, hatten dadurch einen fürchterlichen Marsch und das Gefecht war vor uns’rer Ankunft schon entschieden, die Baiern auf dem Rückzuge, eine Masse Gefang’ner in unsren Händen, die Stadt fürchterlich zerschossen, die Verluste des Feindes über fünftausend, bei uns dreitausend, dies waren die Resultate dieses Tages. Folgenden Tag verbreitete sich das Gerücht daß Baiern um Frieden gebeten was wahrscheinlich war, da wir den Feind liegen ließen um direkt nach Frankfurt zu marschieren, wo aber bei Karlstadt die Bahn, der Telegraph sowie Mainbrücke zerstört wurde um eine etwaige Überfahrung der Baiern zur Bundesarmee [VIII. Bundes-Armeekorps] zu verhindern.

    Den 14ten und 15ten mußte unser Rgt. recognosziren und hatten in dieser fürchterlichen Hitze schreckliche Märsche durch das Spessard-Gebirge wo wir am 16ten das Schlachtfeld bei Aschaffenburg überschritten und in der Stadt Quatir bekamen wo uns heute diese wohlthuende Ruhe vergönnt ist.

    Hier war am 14ten und 15ten wie Sie schon wissen werden das erste Gefecht mit dem 8ten Bundesarmeekorps worunter über 6000 M[ann] Oestreicher stehen, es ist ziemlich bunt hergegangen, die Stadt aber verschont worden da sich die feindliche Armee in wilder Flucht zurückgezogen. Über 2000 oestreichische Gefangene wurden heute von hier nach Preußen befördert. Wohin uns von hier unsere siegreichen Fahnen führen werden ist noch unbekannt, wir hoffen daß die vielen Gerüchte vom Frieden nicht unbegründet sind. Mit herzlichen Grüßen an alle zeichnet sich

    Ihr dankverpflichteter J. Nintwirs

    Sollten Sie mich mit einem Gegenschreiben erfreuen so können Sie es auf meine Adresse:

    J. Nintwirs Hautboist und Unteroffizier im 2ten Schles. Grenad.Rgt. No 11, Corps Manteufel


    Einheiten des 2. Schlesische Grenadier-Regiments No. 11 (Oberst v. Zglinitzki) im Manteuffel’schen Korps hatten am Gefecht von Langensalza (27.6.1866) gegen die hannöversche Armee teilgenommen. Der Schreiber des Briefes, ein Regiments-Militärmusiker (Hautboist), war danach für einige Tage bei einem Lehrer in Gotha einquartiert worden, um am 1.7.1866 mit seinem Regiment der bayerischen Armee entgegenzumarschieren. Am 4.7. kam es in der Rhön bei Dermbach, Wiesenthal und Roßdorf zu einigen Gefechten mit den Bayern, an denen das 11. IR aber nicht beteiligt war. Bei den Gefechten von Kissingen und Hammelburg am 10.7. kam das Regiment ebenfalls nicht zum Kampfeinsatz und zog am 11.7. mit der Division Manteuffel dem VIII. Bundeskorps Richtung Frankfurt entgegen. Auch an den Gefechten von Laufach und Aschaffenburg am 13. und 14.7. war es nicht beteiligt und besetzte Aschaffenburg am 16.7.1866, wo es bis zum 20.7. in Ruhestellung verblieb, um am 21.7. den Marsch durch den Odenwald über Laudenbach nach Miltenberg (22.7.) anzutreten.

    Der Oberbefehlshaber über die Mainarmee, General Vogel von Falckenstein, war am 18.7.1866 von seinem bisherigen Kommando entbunden und zum Gouverneur von Böhmen ernannt worden. Zu seinem Nachfolger wurde General von Manteuffel ernannt, dessen Nachfolge als Oberbefehlshaber über die Division jetzt General von Flies antrat.

    Der am 18.7. in Aschaffenburg geschriebene Brief wurde erst am 22.7. (in Laudenbach oder Miltenberg) bei der Feldpostexpedition der Division Flies aufgegeben. Vielleicht hatte ihn der Schreiber für einige Tage vergessen oder nicht vollständig beendet, oder aber die FPE der Division hat den Brief erst am 22.7. bearbeitet.

    In der Folge kam das 11. IR noch am 26.7.66 beim Gefecht von Uettingen gegen die Bayern zum Einsatz, wobei der „Hautboist“ wohl kaum von den Kampfhandlungen betroffen war.


    Einige Anmerkungen zu den vom Schreiber des Briefes gemachten Aussagen:

    • Seine Angaben zu den Verlusten bei den Gefechten vom 10.7.66 sind sicher deutlich zu hoch gegriffen und eher einer beabsichtigten Dramaturgie seines Berichts vom Feldzug geschuldet; in der Literatur ([1], [2]) werden weniger als 1000 Tote, Verwundete, Vermisste und Gefangene für Preußen und weniger als 1500 für Bayern angegeben.
    • Auch die Annahme, dass Bayern um Frieden gebeten hätte, weil die Mainarmee am 11.7. von der bayerischen Armee vor Schweinfurt abgelassen und eine Kehrtwende vollzogen hatte und Richtung Frankfurt marschiert war, ist nicht richtig. Dies hatte politische Gründe:

    „Auf Veranlassung des Minister-Präsidenten [Otto von Bismarck] wurde daher dem General v. Falckenstein telegraphiert: „… Faktische Occupation der Länder nördlich des Mains für voraussichtliche Verhandlungen auf status quo jetzt politisch wichtig.“ Das weitere Vorgehen gegen Schweinfurt [wo sich die bayerische Armee versammelt hatte] war unstreitig das militairisch Richtige, aber wie im Beginn so am Ende der Feldzüge müssen die militairischen sich den politischen Rücksichten unterordnen.“ (aus [1])

    • Die Angabe „… da wir den Feind liegen ließen um direkt nach Frankfurt zu marschieren, wo aber bei Karlstadt die Bahn, der Telegraph sowie Mainbrücke zerstört wurde um eine etwaige Überfahrung der Baiern zur Bundesarmee zu verhindern...“ suggeriert die Urheberschaft der Zerstörung der Infrastruktur durch die Preußen mit dem Ziel, eine Vereinigung der Bayern mit dem VIII. Bundeskorps zu verhindern. Tatsächlich war der preußischen Main-Armee aber daran gelegen, möglichst intakte Eisenbahnen und Brücken für einen schnellen Vormarsch nutzen zu können. Es lag vielmehr im Interesse der Bayern, den preußischen Vormarsch so beschwerlich wie möglich zu machen. Dazu auch folgende Zeitungsmeldungen:

    Neue Würzburger Zeitung (12.7.66): „(Würzburg 11.Juli) Zwischen Lohr und Partenstein haben die württembergischen Truppen die Schienen aufgerissen“.

    Neue Würzburger Zeitung (14.7.66): „(Gemünden, 13. Juli) Gestern marschirte der Feind in einer Stärke von ca. 18,000 Mann ins Mainthal, überschritt heute den Main zwischen Karlstadt und Wernfeld und stand zuletzt in Marktheidenfeld…

    Die Preußen haben sich sicher nicht der Mainbrücke bei Karlstadt beraubt, um dann den Main einige Kilometer mainabwärts zu überqueren.


    Literatur:

    [1] Der Feldzug von 1866 in Deutschland. Redigiert von der kriegsgeschichtlichen Abtheilung des Großen Generalstabes. E.S. Mittler und Sohn, Berlin 1867.

    [2] T. Fontane: Der deutsche Krieg von 1866. Band 2: Der Feldzug in West- und Mitteldeutschland. Verlag Rockstuhl, 2009.

  • Lieber Wilfried,


    außen und innen sehr unscheinbar - und doch ein kleines Juwel für den, der sich den deutschen Krieg von 1866 auf die Fahnen geschrieben hat.


    Die Probleme bei der Quantifizierung von Toten, Gefallenen, Verletzten usw. ist historisch hinlänglich bekannt, weil Menschen etwas nur selten können, was sie nie gelernt haben - nämlich größere Zahlen zu schätzen. Daher bin auch ich immer vorsichtig bei Zahlenangaben, zumal sie i. d. R. weitaus größer geschrieben wurden, als sie wissenschaftlich nachprüfbar gewesen sind; aber die Zahlen verbreiteten sich sehr schnell, weitaus eher als komplexe Sachverhalte und wenn Zahlen etwas anhaftet, dann damit verbundenes Denken und Handeln - und vlt. war ja gerade das der Grund der Übertreibungen gewesen, jedenfalls hier und da.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Wilfried,


    Glückwunsch, ein äusserst interessanter und aufschlussreicher Feldpostbrief aus dem preussischen Lager !:thumbup:
    Hier wird das Kriegsgeschehen mal aus der Perspektive eines mittleren Dienstgrades dargestellt, der nicht nur sich selbst, sondern auch die politische Lage reflektiert.


    Ich wollte noch im Internet ergründen, ob etwas über eventuelle Nachfahren des Absenders zu erfahren ist, bin aber am Rätseln beim Nachnamen. Obwohl er im Brief dreimal erwähnt ist, komme ich zu keinem endgültigen Schluss, denn der Absender vermischt öfters lateinische Buchstaben und Kurrent-Schrift.

    Ich meine aber, dass zumindest der zweite Buchstabe kein "i" ist, denn es fehlt jeweils der Punkt (wie beim unstrittigen "i" weiter hinten).


    Auch das von Dir vermutete "s" am Schluss kann ich nicht so recht einordnen. In der deutschen Kurrent-Schrift würde das Schluss-"s" anders aussehen. So meine ich in zwei der drei Namenserwähnungen eher ein "t" zu sehen. Also eventuell "Nentwirt", statt "Nintwirs".


    Aber vielleicht gibt es auch noch andere Interpretationen ...


    Viele Grüße von der Frankenhöhe

    Gerd

  • ... I. Nentwich lese ich ...

    Liebe Grüsse vom Ralph



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  • :thumbup: Ist wohl ein Volltreffer,

    bei "Nentwich" gibt es im Gegensatz zu den anderen Varianten jede Menge als Google-Suchergebnis.

    Viele Grüße von der Frankenhöhe

    Gerd

  • ... freut mich, Gerd, wenn ich helfen konnte. Die Geschichte hier zu erzählen wäre sicher spannend. :)

    Liebe Grüsse vom Ralph



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  • Hallo mk,


    den in meinen Augen allerwichtigsten Teil der Transcription hast Du unkommentiert gelassen:


    Ich habe hier wieder ein recht nettes Quatir bekommen bei nichts weniger als feindlich gesinnten Leuten, die mir alles verschaffen was ihnen nur möglich, Eier, Wein, was bekanntlich hier im Baierland sehr billig und gut ist,


    Was für ein einfacher Satz, was für eine simple Feststellung, die doch nicht noch besser Widerspruch und Ironie des "Bruderkampfes" 1866 zum Ausdruck bringen kann. Was den Einigungsgedanke der Revolution 1848 zum Scheitern gebracht hat, Radikalisierung gegen Adel und Fürstentum, Ressentiments der Länder untereinander, Egoismus und Avantgardismus des Besitz- und Bildungsbürgertums, all das spielt 1866 keine Rolle mehr. Vielmehr zeugt der Konflikt auf allen Ebenen der Gesellschaft einen noch latenten, jetzt aber greifbaren Zusammengehörigkeitsgedanke: Die Kinderstube eines Nationalbewußtseins.


    LG

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    Einmal editiert, zuletzt von Pälzer ()

  • Hallo Pälzer,

    ich sehe das im Grundsatz ganz ähnlich. Allerdings darf man nicht verkennen, dass dies der Bericht eines Einzelnen ist, zumal es sich um einen Musiker (also Non-Kombattanten) handelt, der einem "zaghaften Sattler ohne Weltkenntnis" zugeteilt wurde.

    Bei der Besetzung von Mannheim und Heidelberg und anschließender Einquartierung von preußischen Truppen haben sich ganz andere Szenen abgespielt, als die preußischen "Sieger" beschimpft und von den Einheimischen z.T. handgreiflich attackiert wurden.

    Beste Grüsse vom
    µkern

  • ...ja klar, und 4 Jahre später singen letztendlich auch sie in voller Begeisterung: Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein, wir alle wollen Hüter sein.


    LG

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Liebe Freunde,


    aus prominenter Sammlung, als nicht von mir, darf ich zum 1866er Krieg 2 Seiten zeigen, die jede für sich eine Atombombe darstellen und man muss sich glücklich schätzen, dergleichen überhaupt einmal sehen zu dürfen. Gerne kann hierzu kommentiert werden.

  • Lieber Ralph,


    interessieren würde mich, durch wen veranlaßt die Korrespondenz zwischen der Schweiz und Postvereinsstaaten nicht auf normalem Wege zu befördern war.


    Es fällt auf, daß beide Belege aus der Frühzeit des Krieges stammen.In dieser Phase kamen Beschlagnahmungen von Geldsendungen in den preußisch besetzten Gebieten vor, das Postwesen war aber - trotz einiger Verzögerungen - intakt.


    Liebe Grüße


    Jürgen

  • Lieber Jürgen,


    eine beneidenswerte Auswahl zeigst du da - ich hoffe, ich kann heute Nacht ruhig schlafen ... :love::love::love:


    Bis auf die Ostschweiz war Baden für die Leitung nach Sachsen verantwortlich. Ab den frühen1860er Jahren (vlt. sogar schon Ende der 1850er Jahre) könnte aber Württemberg durch die Optimierung der Bahnlinien Baden das Wasser abgegraben haben.


    Ich werde morgen aus großer Sammlung etwas CH - Sachsen zeigen dürfen, das wird weiterhelfen.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo zusammen,


    der folgende Brief gibt mir Rätsel auf:



    Aufgegeben wurde er im mit Preußen verbündeten Großherzogtum Altenburg als Feldpostbrief nach Borsdorf im Königreich Sachsen. Die sächsische Post beließ ihn portofrei.


    Ein spezifischer Grund für die Portofreiheit ließ sich in den sächsischen Postverordnungen nicht finden. Auch der Postvereinsvertrag ist nicht einschlägig.


    Hat jemand eine Idee, ob etwas anderes als vorauseilender Gehorsam gegenüber der preußischen Besatzungsmacht zu dieser Portofreiheit geführt haben könnte?


    Beste Grüße


    Altsax

  • Lieber Jürgen,


    wenn ein paar bis an die Zähne Bewaffnete vor einem stehen, sah man auf Seiten der Post auch gerne mal davon ab, die Vorschriften genau zu interpretieren - bei der Aufgabe und bei der Abgabe. Aber es mag natürlich auch ganz anders gewesen sein ...

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.