Portofreie Bundes-Dienstsachen

  • Volkszählung 1871


    Liebe Sammlerfreunde,

    wir zeigen hier eine der gesuchten Bundes­dienstsachen, und dies noch zu einem interessanten Thema, das eine Recherche herausgefordert hat.


    Postsendungen in Angelegenheiten des Norddeutschen Bundes waren im NDP portofrei.



    Zum Empfänger: Im Braunschweiger Adressbuch von 1871 ist als Ortsvorsteher der Gemeinde Wieda im Amtsbezirk Walkenried, genannt: Zolleinnehmer Carl Jörn, pensioniert. Nach einer Familien­chronik soll die Familie Jörn, ursprünglich Bergbautreibende aus Schottland (von "earn", d.h. "die in Erz arbeiten"), vor dem Jahr 1700 nach Wieda gekommen sein, wo sie Gruben betrieben. Nach 1800 ging der Bergbau dort allmählich ein. Wieda verlor in jener Zeit Bevölkerung an Nachbar­gemeinden und durch Auswanderung.


    Weder der Absender (sicher der Landkreis Blankenburg) noch der Empfänger waren Bundes­behörden, hier aber waren sie in einer Bundessache tätig, der Durchführung einer nationalen Volkszählung.

    Von 1834 bis 1867 führte der Deutsche Zollverein regelmäßig alle drei Jahre Volkszählungen in den Mitgliedsländern durch, jeweils am 3. Dezember. Die Zählung 1870 entfiel wegen des laufenden Krieges gegen Frankreich.

    Im Deutschen Kaiserreich fanden Zählungen zuerst 1871 und von 1875 bis 1910 alle fünf Jahre statt, bis 1916 immer am 1. Dezember.

    Für die Volkszählung 1871 konnte auf die Vorplanungen einer Kommission des Deutschen Zollvereins aus 1870 zurückgegriffen werden. Ehrenamtliche Helfer teilten die Zählpapiere aus und sammelten sie auch wieder ein. Die Zählung erfolgte namentlich. Es gab Haushaltungslisten oder aber Zählkarten für Einzelpersonen, die in sog. Zählbriefen haushaltungsweise zusammengefasst wurden.

    Die Resultate der Zählungen, für die größeren Verwaltungsbezirke aufbereitet, wurden dem Kaiser­lichen Statistischen Amt zugeliefert. Dies waren: Fläche, Anzahl von Wohnhäusern und Haushaltun­gen, letztere nach Einzel-, Familien- und Anstaltshaltungen gegliedert, ortsanwesende Bevölkerung nach Geschlecht, Geburtsjahr und -ort, Staatsangehörigkeit, Religion, Schulbildung, Behinderungen (genannt "Gesundheitsdaten") sowie weitere aggregierte Daten. Der Geburtsort wurde in den Folge-Zählungen weggelassen. (Beispiel einer Tabelle, für den Kreis Harburg, bei Luca Seehafer, S. 225) Die Ergebnisse der Volkszählung von 1871 waren die ersten, die (endgültig im März 1873) für das Reich veröffentlicht wurden.


    Eigentlich müsste man von dieser Volkszählung Belege aus allen Ecken Deutschlands finden, da dies ja die erste Zählung nach gleichen Standards in ganz Deutschland war. Das Datum der Zählungen, Anfang Dezember, war nicht zufällig gewählt. Man wollte zu einem Zeitpunkt zählen, an dem möglichst niemand auf Reisen war und alle Bevölkerung schön daheim.


    Quellen:


    1. Zum 70. Jahrestag der ersten reichsdeutschen Volkszählung vom 1. Dezember 1871, in: "Wirtschaft und Statistik", 1941, 2. November-Heft, 21. Jahrgang, Nr. 22 https://www.statistischebiblio…und_Statistik-1941-22.pdf


    2. Luca Seehafer, Volkszählung "gestern" - Die Volkszählung 1871 und die Viehzählung 1873 in der Provinz Hannover im Königreich Preußen, in: Statistische Monatshefte Niedersachsen 5/2014


    3. Christine von Oertzen, Die Historizität der Verdatung: Konzepte, Werkzeuge und Praktiken im 19. Jahrhundert, Artikel in NTM, Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 25, Seiten 407-434 (2017) https://link.springer.com/article/10.1007/s00048-017-0183-6


    Die Arbeit von Chr. v. Oertzen beleuchtet insbesondere die technischen Aspekte der Zählung. Das Verfahren wurde an sich bereits zur Zeit des Zollvereins entwickelt und nun auf das ganze Reich ausgedehnt. Diese Zählkarten waren der eigentliche Schlüssel zum Erfolg als frühe Möglichkeit, Daten in normierter Form aufzunehmen und in verschiedenen Schritten (also mehrfach) auszuwerten. Das war damals das non-plus-ultra der Datenerhebung! Man musste zwar kistenweise Papiere zwischen vielen Zählenden (Hilfspersonal) hin- und her bewegen, aber die Zuarbeit war so gut organisiert, dass man überhaupt dazu kam, nach einem halben bzw. eineinhalb Jahren korrekte Ergebnisse veröffentlichen zu können.


    Die erste Quelle stellt vor allem die historische Entwicklung heraus. Die zweite Quelle, Luca Seehafer, ist weniger tiefgreifend als Nr. 3, dafür konzentriert sie sich auf das Land Hannover, was es anschaulicher macht.


    Wer hat weitere Belege zu diesem Thema?

    Beste Grüße,

    Hesse.

    Ei guude, wie?

  • Hallo,


    ein sehr interessanter Beitrag. Die Informationen zu den damaligen Volkszählungen waren mir unbekannt. :thumbup:


    beste Grüße

    Dieter