Italienische Militär- und Zensurpost im 1. Weltkrieg

  • Hallo Sammlerfreunde,


    der Beleg anbei zeigt bei eingehender Beschäftigung mit seinem Hintergrund Geschichte pur und zwar solche, von der man kaum etwas so richtig weiss. Was geschah bspw. mit und in der Türkei nach dem 1. Weltkrieg ? Offiziell wurden die Feindseligkeiten zwischen dem Osmanischen Reich und der Entente am 30. Oktober 1918 mit dem auf der HMS Agamemnon unterzeichneten "Waffenstillstand von Moudros" im Hafen der griechischen Insel Limnos beendet. Unterzeichner war der türkische Marinieminister Rauf Obray, für die Entente zeichnete Admiral Somerset Gough-Calthorpe. Kapitel 7 des Vertrages gestattete den Siegermächten, jederzeit jede Region des Osmanischen Reiches zu besetzen. Auf Grundlage dieses Abkommens wurden nahezu alle Gebiete der Türkei durch Großbritannien, Frankreich, Italien und Griechenland besetzt.


    Die Osmanen mussten auf ihr gesamtes Reich mit Ausnahme Anatoliens und eines kleinen europäischen Teils um Istambul verzichten und verloren damit auch die Kontrolle über ihre Besitzungen auf der Arabischen Halbinsel und im Nahen Osten (Hedschas, Jemen, Syrien, Palästina, Mesepotanien), die ihnen bereits während des Kriegsverlaufs entrissen worden waren. Im Kaukasus musste die Türkei sich hinter die Grenzen zurückziehen, die vor dem Krieg bereits Geltung hatten. Istambul war bereits am 13. Oktober 1918 von britischen, italienischen und französischen Truppen besetzt, weitere Schlüsselpostionen innerhalb des Landes eingenommen worden. Darüber hinaus kam es dann noch mit der Unterstützung der Großmächte Großbritannien und Frankreich zu einem Feldzug Griechenlands gegen das kriegsgeschwächte Osmanische Reich.


    Darunter fiel auch und insbesondere die Besetzung des Aufgabeortes des über die Militärpost der italienischen Streitkräfte aufgegebenen 25 Cetmi Beleges anbei. Mit der Besetzung von Izmir (Smyrna / Smyrne) am 15. Mai 1919 übernahmen das griechische Militär die Verwaltung über die kulturell und strategisch wichtige Hafenstadt und die umliegenden Gebiete. Dies führte zu ethnischen Spannungen ungeahnten Ausmaßes. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich der "Friedensvertrag von Sèvres" vom 10. August 1920, wonach das Osmanische Reich einen Großteil seines Territoriums endgültig verlieren sollte. Die Türkei sollte lediglich ein Gebiet um Ankara in Zentralanatolien umfassen, das zudem unter fremder finanzieller und militärischer Kontrolle bleiben sollte.


    Der sog. "Diktatfriedensvertrag" wurde durch Bevollmächtigte des osmanischen Sultans Mehmed VI. und der Regierung unter Großwesir Damad Ferid Pascha unter heftigstem Protest unterzeichnet. Seine Ratifizierung erfolgte nie, weil der Sultan das Parlament bereits im März 1920 aufgelöst hatte. In vielen Landesteilen organisierte sich nun Widerstand gegen die Besatzung, welcher schließlich in den Türkischen Befreiungskrieg (1919-1923) unter Mustafa Kemal Atatürk führte. Der hier gezeigte Brief lief vermutlich per Schiff von Izmir nach Süditalien und von dort in die im 1. WK für Auslandspostzensur am 1. Dezember 1915 eingerichtete Zensurstelle Mailand (MILANO POSTA ESTERA). Dort wurde mit dem Zweizeiler VERIFICATO PER CENSURA und der gleichnamigen Zensurbanderole der Postüberwachungsvorgang dann abgeschlossen. Von den französischen Besatzern in der Pfalz gab es dann vorderseitig noch den dort verwendeten Zensur-Sternstempel in rot.


    Viele Grüße

    vom Pälzer


    verwendete Quellen:

    https://de.wikipedia.org/wiki/…A8vres_(Osmanisches_Reich)

    https://de.wikipedia.org/wiki/…Crkischer_Befreiungskrieg

    http://risorse.issp.po.it/colloqui/14-Cavalieri.pdf

  • Lieber Tim,


    ich ziehe meinen Hut. Das ist ja eine Zusammenfassung, mit der Du Deine Promotionsbegehren vorbereiten kannst. Ich bin beeindruckt, ernsthaft und daher ohne Smileys.


    liebe Grüße aus Frankfurt

    Heribert

  • Hallo Heribert,


    merci, allein das aus dem wiki und der italienischen Zensur-pdf zu excepieren ist/war ja noch überschaubar, die "Doktorarbeit" mache ich gerade an dem RB-Beitrag zur 7 1/2 Pfennig Germania Freistaat Bayern.


    LG

    Tim 8o

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo Tim,


    vielen Dank für die gelungene Einführung in dieses komplizierte, aber äußerst interessante Thema. Damit sich Dein schöner Brief in diesem Forum nicht so einsam fühlt, werde ich einige Belege aus meiner Sammlung beisteuern. Es ist allerdings kein Brief in die Pfalz dabei.

    Das italienische Militärpostamt 171 (posta militare 171) nahm seine Tätigkeit in Smyrna (Izmir) am 1. März 1919 auf. Der früheste Brief in meiner Sammlung ist vom 3. März 1919. Es ist ein Einschreibbrief in die Schweiz. Er lief über die italienischen Auslandszensurstellen in Bologna und Mailand - Stempel "posta estera" auf der Siegelseite. Der Brief war nicht verschlossen, die Verschlussklappe ist offen und noch gummiert. Daher war kein Verschlussstreifen erforderlich. Interessant ist, dass die Kennzeichnung als Einschreibbrief nur handschriftlich erfolgte, weder ein R-Zettel noch der R-Stempel waren offensichtlich vorhanden.

  • Lieber Jürgen,


    sieht so aus, als ob hier in die CH 25 Cetmi für den Auslandsnormalbrief und nochmal 25 Cetmi für das Einschreiben anfielen. So werden einem die Dinge auch von den von Dir hochinteressant beschriebenen Auflieferungs-Anforderungen der Zensur mehr und mehr begreiflich. Da spielen (bestimmte) Destinationen weniger die Rolle, es geht (mir jedenfalls immer) ums Prinzip (für alle). In diesem Sinne kann man nur hoffen, für egal welches Postgebiet / für egal welche (spezielle) Epoche noch viel mehr Sammlerfreunde für dieses so großartig weltoffene Forum gewinnen zu können.


    Viele Grüße

    Tim :thumbup:

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  • Lieber Tim,


    eine weitere Besonderheit des gezeigten Briefes ist, dass er um 5 Cent. unterfrankiert ist, aber trotzdem unbeanstandet befördert wurde. Die italienischen Militärpostämter in Konstantinopel und Smyrna wandten zunächst den italienischen Inlandstarif an. Der war ab 1. März 1919 erhöht worden: Brief (je 15 g) von 20 auf 25 Cent., Einschreiben von 25 auf 30 Cent.. Das war nicht vollständig berücksichtigt worden. Der Brief ist nach dem günstigeren Auslandstarif frankiert.

    Viele Grüße

    Jürgen

  • Lieber Jürgen,


    da muss ich jetzt nochmal vom Verständnis her nachfragen: Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde am 1. März 1919 in Italien der Inlandsbrief (je 15 g) von 20 auf 25 Cetmi erhöht. Wie hat dann bspw. mein Beleg von Smyrna nach Speyer als Auslandsbrief mit nur 25 Cetmi zu Buche schlagen können ? Und natürlich: Was war dann ab 1. März 1919 der Tarif für einen Auslands-Normalbrief ?


    Viele Grüße

    Tim

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    Einmal editiert, zuletzt von Pälzer ()

  • Pälzer

    Hat den Titel des Themas von „Militär- und Zensurpost im 1. Weltkrieg“ zu „Italienische Militär- und Zensurpost im 1. Weltkrieg“ geändert.
  • Sorry Tim - Anfängerfehler....also ich meine das mit dem Beitrag in der falschen Kategorie...8)

    Nun gut....dann schau' ich doch mal in meine Italien-Rubrik.

    Und siehe da....

    ....ein Firmenbrief von Turin vom 4. Mai 1915 (am 23. Mai trat Italien in den Krieg gegen die Mittelmächte ein) an die Gebrüder Giulini nach Ludwigshafen.
    Der Brief wurde von der Prüfungsstelle des II. Armeekorps in Ludwigshafen geöffnet und mit einer entsprechenden Vignette wieder verschlossen.
    Leider trägt der Brief keinen Ankunftsstempel, aber es ist zu vermuten, dass der Brief noch vor Kriegsbeginn in Ludwigshafen eintraf und die Zensurmaßnahme eine allgemeine Kontrolle darstellt und nichts mit dem späteren Kriegseintritt Italiens zu tun hat.

    Beste Grüße

    Schorsch Kemser




  • Hallo Schorsch,


    war wohl auch von mir ein bischen unvollständig die Überschrift, da konnte das durchaus passieren.


    Zu dem Beleg ohne Ankunfsstempel. Mich wundert es generell, dass "gefühlt" 90% der von Zensur erfassten Sendungen keine Ankunftsstempel vorweisen. Zu meiner bisherigen Vermutung bzgl. der Ursachen hatte ich mir zunächst die Frage gestellt: Wozu braucht man überhaupt ein Ankunftsstempel?


    Der einzigste Sinn, der darin zu sehen ist, ist die Bestätigung der Ankunft zu einem bestimmten Zeitpunkt, an dem man unbestreitbar nachweisen kann, dass die Beförderung in einem für den Kunden zumutbaren Zeitraum erfolgt ist. In Zeiten der Zensur, wo die Bearbeitung durch die dafür zuständigen Stellen die Beförderungsdauer z.T. heftig verzögert haben, hat das wenig mehr Sinn gemacht.


    Natürlich hat man in Kriegszeiten auch wenig Personal gehabt und musste sich auf das Nötigste beschränken, das kann auch ein wesentlicher Grund sein. Aber so ganz sicher bin ich mir in dieser Frage immer noch nicht, denn es gibt ja auch Zensurbriefe mit Ankunfsstempel.


    Gibt es evtl. noch andere Gründe / Thesen ?


    LG


    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Aber so ganz sicher bin ich mir in dieser Frage immer noch nicht, denn es gibt ja auch Zensurbriefe mit Ankunfsstempel.

    Wäre mal gut zu betrachten ob diese mit Ankunftsstempel nicht genau die sind die einen längeren Laufweg haben. Die Post hat immer versucht sich ab zu sichern.

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich


    Das Leben ist zu kurz um sich darüber zu ärgern, was andere über dich denken oder sagen

    also hab Spaß und gib ihnen etwas worüber Sie reden können

    scheinbar ist ihnen ihr eigenes Leben zu langweilig

  • Liebe Freunde,


    bezüglich der Ankunftsstempel bei Zensurbriefen sollte man mit pauschalen Aussagen vorsichtig sein. Der von mir gezeigte Brief hat einen Ankunftsstempel von BIENNE auf der Siegelseite vom 03.04.1919.


    Lieber Tim,


    mit den Gebühren war es bei den italienischen Militärpostämtern in der Türkei zunächst recht kompliziert. Zunächst wurden die italienischen Inlandstarife angewendet, die am 01.03.1919 erhöht wurden. Die Auslandstarife blieben hingegen im Zeitraum vom 01.10.1907 bis zum 31.01.1921 unverändert: Brief und Einschreiben je 25 Cent.. Damit war die Briefgebühr für Inland und Ausland gleich hoch, Einschreiben für das Inland aber teurer als für das Ausland (30 bzw. 25 Cent.). Im Sommer 1919 gab es dann Verändeungen.


    Beste Sonntagsgrüße

    Jürgen

  • Hallo in die Runde,

    den unter #4 gezeigten Beleg möchte ich gerne durch nachfolgendes Stück ergänzen.
    Ebenfalls ein Einschreibebrief von der "Banque D'Athenes" über das Italienischen Militärpostamt 171 (Smyrna) am 10. September 1921 und über die Zensurstelle Frankfurt a/M. nach Hamburg (Ankunft 21.9.), diesmal mit Einschreibezettel (Blanko-R-Zettel mit L2 "Posta Militare 171".

    Beste Grüße
    Postgeschichte-Kemser