Fahrpost Sachsen nach Russland

  • Hallo zusammen


    Schon einige Zeit in meiner Sammlung befindet sich der folgende Paketbegleitbrief. Er ist 1856 von Leipzig via Berlin nach St. Petersburg gelaufen. Ausweislich der Post-Declaration wurde vom Leipziger Verleger Leopold Vofs "1 Paket in Wachstuch" mit Büchern an die russische "Kaiserl. Akademie der Wissenschaften" geschickt.


    Das Paket wurde am 18. Juni 1856 versandt. Russland befand sich bis März 1856 mit dem Osmanischen Reich und dessen Verbündeten Frankreich, Großbritannien und Sardinien-Piemont im Krimkrieg (1853-1856).


    Eine Frage sei mir erlaubt: der Versand war bis zur russischen Grenze bezahlt ("franco bis zur Russ. Grenze"). Nicht deuten kann ich die postalischen Vermerke auf dem Umschlag, die offensichtlich das Entgelt für den weiteren Transport nach St. Petersburg zeigen. Und falls jemand russisch spricht (ich vermag es leider nicht) würde mich eine Übersetzung des Vermerks auf der Rückseite des Begleitschreibens interessieren. (Damit ist mein "Wissensdurst" fürs erste gestillt)


    Herzlichen Dank für jedweden helfenden Beitrag,

    Viele Grüße

    René

  • Hallo Rene


    wie du schon richtig schreibst, handelt es sich um ein Wertpaketbegleitbrief.

    Das Paket wog 20 Pfund 8 Loth - später mit 20 Pfund 2 Loth neu bestimmt (wahrscheinlich in Berlin)


    Das Paket war bis zur Russischen Grenze frankiert und im Gegensatz zu vorherrschenden Meinung, war es auch in Russland nicht.


    Als erstes galt die sächsische Taxe zu berechnen und hier ist der Fall, das der Laufweg sicher nicht dem Vertrag zwischen Preussen und Sachsen entspricht. Hier galt als Grenztaxpunkt Reichenbach und damit ergibt sich die Progressionsstufe 5.


    Die Berechnung:

    2 Pfennige * 21 Pfund * 5 Progressionsstufe (20 -25 Meilen) = 210 Pfennige / 12 = 17 1/2 Sgr. + 1 Sgr Werttaxe = 18 1/2 Sgr.


    Für Preussen ab Görlitz bis Laugszargen = ca. 88 Meilen:

    Die Berechnung:

    2 Pfennige * 21 Pfund * 18 Progressionsstufe = 756 Pfennige / 12 = 63 Sgr + Werttaxe von 2 Sgr. = 65 Sgr.


    Diese 65 + f siegelseitig ist der preussische Anteil.


    Der echte Laufweg wird von Leipzig über Köthen - Berlin nach Laugszargen gewesen. Der rote Stempel W.G.N. = Waren Güter Niederlage ist von der Berliner Packkammer. Der rote Rahmenstempel ist von der dortigen Zollexpedition.


    Die russische Taxe:

    Dazu müssen Gewichte und Währungen entsprechend umgerechnet werden:


    20 Pfund 2 Loth entsprechen ca 24 Pfund 16 Loth russisch

    30 Thaler entsprechen 27,90 Rubel


    Je volles Pfund waren 10 Kopeken zu zahlen + 1 Kopeke je ganzen Rubel als Werttaxe + Brieftaxe,


    also

    24 Pfund * 10 Kopeken = 2,40 Rubel + 27 Kopeken + 10 Kopeken für den Brief = 2,77 Rubel.

    Laut Zolldeclaration mußte jedoch 2 Rubel 87 Kopeken bei der Abholung bezahlt werden, wobei die Differenz von 10 Kopeken Zollgebühren sind.


    Mit freundlichem Sammlergruss


    Ulf

  • Hallo Ulf


    Ich ziehe den Hut vor Dir. Vielen Dank für das Erläutern und die Berechnung der Postgebühren. Damit machen die Vermerke auf dem Brief Sinn. Gibt es Literatur, die ich bei ähnlichen Belegen nutzen kann um mir die Erläuterung selber zu erarbeiten ?


    Schöne Grüße

    René

  • + 1 !

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Rene


    leider gibt es nur wenig Literatur zur Fahrpost. Einige wenige Werke befassen sich nur begrenzt hiermit und sind auch teilweise fehlerhaft. Ich nutze solche gar nicht.


    Zur Zeit des DÖPV gibt es glücklicherweise eine ganze Menge von Postverordnungen der unterschiedlichen Mitgliedsstaaten und so kann etliches nachvollzogen werden. Glücklicherweise wird dort nicht nur die Briefpostbehandlung beschrieben, sondern auch die der Fahrpost.


    Anders sieht es mit den Postverträgen zwischen einzelnen Staaten und den Nicht-DÖPV-Ausland. Diese beschränken sich meist nur auf die Briefpost.


    Im Postvertrag vom 24.12.1851 zwischen Preussen und Russland gibt es jedoch einige Informationen zur Behandlung von Paketen und Wertgegenständen. Jedoch wird dies hier auch nur grob beschrieben. So kann nur durch Forschung versucht werden, die "fehlenden" Informationen zu erhalten.


    Vielleicht noch etwas zum Brief von dir.

    Rechnest du die sächsische + preussische Taxe zusammen, kommst du auf den vorderseitigen Francobetrag von 83 5/10 Neugroschen.


    Freue dich auch, das die Zolldeclaration zum Brief erhalten geblieben ist, welche übrigens in doppelter Ausführung gemacht werden mußte. Sie ist der Schlüssel für die russische Taxe.


    Mit freundlichem Sammlergruss


    Ulf

  • Hallo Ulf,

    deine Darlegung der Gebühren des Wertpaketbegleitbriefes ist phantastisch.

    Wunderbar nachvollziehbar, vielen Dank dafür.

    Anbei ein Brief, der anders behandelt wurde. Am 1.8.1858 änderte sich die Verfahrensweise stark,

    es gab eine gemeinsame Taxe Sachsen und Preußen.

    Ich habe mir die Verordnung durchgelesen und gebe auf.

    Vorn Franko 146 Neu- oder Silbergroschen.

    Hinten 33 Pfund mal 4 Groschen = 132 Groschen plus 11 Groschen gerechnet.

    Ich verstehe es nicht.

    Zum Paketzettel: Laut Bruns gibt es diesen ab 1859, aber der Brief ist vom 2.10.1858 mit einer hohen Nummer. Sehr komisch, ich hoffe nicht nachträglich aufgeklebt.

    Beste Grüße Bernd

  • Hallo Bernd,


    das Werk von Wigand Bruns ist auch schon etliche Jahre alt. Daher würde mich ein neues Datum der Verwendungszeit nicht wundern. Deine Verunsicherung ist berechtigt. Allerdings finde ich keine Registrierungs-Nummer auf dem Begleitbrief.


    beste Grüße


    Dieter

  • Lieber Bernd


    die 146 Ngr. berechnen sich wie folgt:


    2 Pfennige * 33 Pfund * 26 Progressionsstufe (100-104 Meilen) = 1712 Pfennige = 143 Ngr. Die Werttaxe betrug 3 Sgr. also Summa Summarum 146 Ngr. was auch Sgr sind. Also richtig gerechnet.


    Die siegelseitige blaue Notierung kann ich momentan nicht nachvollziehen, jedoch sind 132 + 11 = 143, was wiederum der Gewichtstaxe entspricht.


    Ohne der Postdeclaration wäre der Rest geraten.


    Mit freundlichem Sammlergruss


    Ulf

  • Lieber Bernd


    ich rate mal:


    1 russisches Pfund entsprach etwa 409,5 Gramm und wurde in 32 Loth geteilt.

    1 Thaler entsprach genau 0,93 Rubel. Eventuell wird dies mal helfen.


    32 Pfund 15 Loth entsprechen etwa 39,65 russische Pfund

    50 Reichsthaler sind 46,50 Rubel


    also dürften in etwa 390 Kopeken für das Paket + 46 Kopeken Werttaxe + 10 Kopeken für den Begleitbrief = 4,46 Rubel + Zollgebühren vielleicht in Höhe von 10-12 Kopeken angefallen sein.


    Mit freundlichem Sammlergruss


    Ulf

  • Lieber Bernd,

    den Brief hätte ich auch genommen, alleine wegen des roten Berliner Rechteckstempels und dem roten Wert-Gelass-Stempel, sehr schön.

    viele Grüße
    Erwin W.
    preussen_fan

  • Hallo Ulf


    Vielen Dank für die Informationen. Für mich ernüchternd ist der Umstand, dass es nur wenig Literatur zu Fahrpost gibt und diese auch noch fehlerhaft ist. So bleibt nur, sich eine detaillierte Kenntnis aller individuellen Bestimmungen dazu anzueignen, und natürlich der Austausch mit anderen Sammlern. Bzgl. Fahrpost hatte ich mir vor längerem das Buch "Fahrpost in Deutschland 1808-1923" von Christian Hörter (1992) beschafft. Darin sind viele Informationen enthalten. Für die Erklärung des von mir gezeigten Belegs sind sie leider nicht ausreichend, und über einzelne Postverträge verfüge ich (noch) nicht.


    @ Bernd (BaD)

    Glückwunsch zu Deinem schönen Beleg. Wie es scheint war Leopold Vofs ein +/- regelmäßiger Lieferant von Büchern für die Russischen Akademie der Wissenschaften.


    Viele Grüße

    René

  • Hallo René


    soweit ich bisher feststellen konnte, sind die meisten Belege dieser Art von Leipzig nach St. Petersburg gelaufen. Alle mir bekannten waren Büchersendungen mit declarierten Wert und grenzfrankiert. Von anderen Orten gibt es vereinzelt was.


    Mit freundlichem Sammlergruss


    Ulf

  • Hallo René,


    besonders St. Petersburg hatte umfangreiche Geschäftsbeziehungen. Allerdings trifft das auch auf Moskau und Odessa zu. Ein beträchtlicher Teil der heute verfügbaren Belege mit Bezug Frankreich ging zu Champagner-Häusern (oder kam von dort).


    Dieter