Bayern - Schweiz Postbetrug durch Unterschleif

  • Liebe Freunde,

    den folgenden Brief konnte ich - leider! - nicht für 1 BP$ irgendwo in der Bucht grabschen, sondern musste ihn auf einer Schweizer Auktion heimholen, aber seis drum, man lebt nur ein Mal und ich musste ihn unbedingt haben.

    Verfasst wurde er am 15.4.1863 in München auf Briefpapier der Firma Bath und gerichtet war er an den allseits bekannten Strohfabrikanten Isler in Wohlen im Aargau. Text:

    "Indem mir Ihr w(erthes) Haus noch aus früherer Zeit bekannt ist, wo ich in Kempten etablirt, mit Ihnen in Stroh - Waaren mehrere Jahre hintereinander verkehrte, dasselbe aber wegen Kränklichkeit meiner Frau aufgab, um dafür eine Kunstmühle angetretten habe, welche ich in jüngstens an meinen Sohn übergab, und hierher gekommen bin um mir Agenturen zu sammeln. Ich kenn das Strohgeschäft, und an große Thätigkeit von jeher gewöhnt, könnte Ihnen gewiß gute Dienste leisten, wenn Sie mir Ihr werthes Zutrauen schenken wollten.

    Nicht allein für hier wäre ich dazu bereit, sondern ich ließte mich wenn Sie es wünschten, auch darauf ein, einen gewissen Bezirk selbst über Baiern hinaus zu bereisen.

    Nahdem ich immer eine besondere Vorliebe für die Schweitz gehabt, würde im Falle auch eine feste Stelle bey Ihnen als Buchhalter, Correspondent, Magazzinier & annehmen, und weil ich 8 meiner Jugendjahre in Italien auf dem Comptoir und auf Reisen zugebracht, bin ich deßhalb in der italienischen Sprache ganz ferm (soll heißen "firm"), und der französischen auch kundig.

    Mein Herr Vetter Albert Rohr in Lenzburg, der mir Ihre verehrliche Addresse aufgegeben, und Herr Friedrich Jäger in Lindau, können über mich genügende Auskunft ertheilen.

    Zum Schluße hoffend, von Ihnen in irgendeiner Beziehung eine günstige Antwort mit Anträgen zu erhalten, empfehle mich Ihnen mit besonderer Achtung und Ergebenheit.

    Sendlingerrhor - Platz No 7, parterre links."

    Der Brief hätte im April 1863 bei regulärer Aufgabe in München unfrankiert bis 1 Loth 9 Kreuzer für Bayern und 3 Kreuzer für die Schweiz = 12 Kreuzer = 40 Rappen gekostet.

    Durch den Schmuggel (wohl Verwandschaft bzw. ehemalige Geschäftsfreunde) und Postaufgabe in Zürich kostete er jetzt als innerschweizer Fernbrief nur 15 Rappen, also etwa 5,5 Kreuzer.

    Das war natürlich nett von ihm, dass er seinem potentiellen, zukünftigen Arbeitgeber diese 25 Rappen ersparte, aber man hätte sich auch sehr gut vorstellen können, dass er den Brief, ob in München, oder in Zürich von einem Dritten aufgegeben, frankiert hätte, um so einen guten Eindruck zu machen - aber das tat er nicht.

    Dergleichen Briefe sind m. E. recht selten, auch wenn Kuvertierungen und durch Güte - Aufgaben auch im Auslandsverkehr schon mal vorkommen.

    Interessant ist noch die Tatsache, dass der Brief am 15.4. in München geschrieben und noch am selben Tag in Zürich aufgegeben wurde, wobei er am Folgetag in Wohlen seinen Empfänger erreichte.

    Leider weiß ich nicht, ob die Bemühungen unseres Herrn Jacob Pfeiffer aus München von Erfolg gekrönt waren. Über nähere Informationen zu Jacob Pfeiffer würde ich mich sehr freuen - ich selbst bin im Netz leider völlig erfolglos geblieben, wie fast immer ...

  • Lieber Ralph,

    eine wunderschöne Geschichte hast Du da aufgetan. Ich als Herr Isler hätte diesen Portobrief nicht einmal beantwortet. Wenn einem ein solches Ansinnen nicht einmal ein paar Kreuzer wert ist, dann kann man von ihm nicht viel halten.

    Hast du mir nicht jüngst von brieflichen Anfragen zu postgeschichtlichen Problemen, die ohne Rückporto bei Dir eingehen, erzählt? Von deren Absendern ist etwa genau sovielzu halten.

    Liebe Grüße von maunzerle

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Lieber Peter,

    ja, so ist es in beiden Fällen - ziemlich frech, finde ich.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    ich würde es nicht Postbetrug nennen, aber sicher eine grenznähere Aufgabe mit gern gesehener Portoermäßigung - dergleichen Briefe dürften nicht häufig sein und ich kann jetzt einen davon zeigen, der es "in sich" hat (einen von 58.000 Briefen an Isler).

    Ein Brief unter einem Loth wurde von Herrn Carl Isler in Nürnberg am 27.8.1860 verfasst und war gerichtet an Firma Jacob Isler & Co. in Wohlen in der Schweiz. Nürnberg lag im 3. Rayon, Wohlen im 1. Rayon, womit das Porto 9 Kreuzer für Bayern (30 Rappen) und 3 Kr. für die CH (10 Rappen) betragen hätte.

    Aber Isler wäre nicht Isler gewesen, wenn er dieses hohe Porto einfach so hingenommen hätte - er hat den Brief noch am selben Tag (nur mit der Bahn möglich) nach Augsburg gebracht und erst dort aufgegeben und zwar zwischen 17.00 und 18.00 Uhr. Der etwas verwackelte Augsburger Zweikreiser bestätigt dies.

    Nun taxierte ihn Augsburg mit 6 Kreuzer für den 2. Rayon zur CH in blauer Kreide. In Basel malte man eine 6 für Bayern und eine 3 für die CH in typischer Rötel. Dann strich man dieses mathematisch anspruchsvolle Werk durch und notierte folgerichtig 30 Rappen für den Empfänger zu zahlen. Am Folgetag kam der Brief in Wohlen an. Fazit: 3 Kr. oder 10 Rappen Ersparnis durch einen cleveren Schweizer!

    P.S. In Frankreich ging im 18. Jahrhundert, bedingt durch die in der Oberschichte weitläufig bekannte, große Cleverness der Schweizer Finanzdienstleister, folgendes geflügelte Wort um:

    Wenn ein Schweizer Banquier durchs Fenster springt, springen sie am besten einfach hinterher.

  • Lieber Ralph,

    schöne Geschichte!

    Liebe Grüße von maunzerle

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)