Kongress zur Geschichtlichkeit des Briefs

  • Hallo in die Runde,

    ohne tief in die Diskussionen einsteigen zu wollen, ein paar Einblicke aus der Pespektive des wissenschaftlichen Nachwuchses:

    In den Wissenschaften gibt es mittlerweile durchaus sichtbare Bestrebungen, mit Steuergeldern finanzierte Forschung auch (etwa durch Open Access-Publikationen) öffentlich zugänglich zu machen. Das ist allerdings in vielen Sparten nicht sonderlich etabliert und stößt teilweise sowohl auf persönliche als auch auf strukturelle Probleme, einerseits, weil Leute lieber "ein Buch" in der Hand halten als pdfs ins Internet zu setzen, andererseits, weil auch der Unterhalt von Online-Plattformen Geld und Fachwissens bedarf.

    Zur Fachsprache an sich werde ich mich evtl. zu einem anderen Zeitpunkt noch äußern, kann aber die Kritikpunkte gut nachvollziehen.

    Zur angesprochenen Marburger Tagung: Ich werde dort anwesend sein und hatte auch geplant, einen Tagungsbericht zu schreiben. Den kann ich dann gerne hier zur Verfügung stellen / verlinken - wenngleich, wie bereits kritisiert, zumindest anhand der Titel keine tiefergreifende Berücksichtigung von Postgeschichte zu erahnen ist.

    Viele Grüße

    Philia

  • Ich kann dazu nichts mehr sagen.

    Viele Grüße

    vom Pälzer

    Hallo Pälzer,

    es gibt den schönen Spruch "über den Tellerrrand hinausschauen" oder so ähnlich.

    In meinem Falle komme ich immer mehr weg von der Philatelie hin zum Historischen (gespeist aus Informationen von der Philatelie - sprich Briefe).

    Um zurück auf die Konferenz zu kommen wäre dort vielleicht ein Vortrag zur Postgeschichte so abgehandelt worden, wie z.B. in der Dissertaion von Elke Kollar "Aufbruch in die Moderne". Die Arbeit liegt als "Taschenbuch" mit gut 700 Seiten vor. Der Punkt "Postalisches", also das was einen Sammler besonders interessieren könnte wird auf 5 Seiten abgehandelt. Dennoch ist die Arbeit so interessant, weil ich als Laie sehen kann, wie die Wissenschaft sich die Briefbestände erschließt und daraus Erkenntnisse zieht (unter vielen z.B. Schriftform, Gestaltung der Briefe usw.).

    Darin findet sich folgender Satz unter Punkt "Überlieferung und Quellenkritik": "Weitgehend unbeachtet in der Briefforschung blieben bislang philatelistische Sammlungen, in denen sich durch die Versandart der Faltbriefe die Briefinhalte mit erhalten haben. Sie lösen den Brief zwar zunächst aus seinem ursprünglichen Überlieferungskontext, tragen durch ihre Ordnung nach Absendeorten aber originale Briefe zusammen, die sonst weit verstreut wären. Somit ermöglichen sie in ihre Vielfalt grundlegende Betrachtungen und zugleich Einblicke in regionale Gegebenheiten".

    Das ist sozusagen eine Steilvorlage für mich als Heimatsammler :)

    Und das ist aber auch das Problem der Forschung - wie an die Bestände kommen? Und mal ehrlich, wenn in einem Archiv für Sammler eine "postgeschichtliche Rarität" schlummern sollte, dann muss sie im Archiv bleiben. Ich fand in einem Archivband zwar keine Rarität, aber jucken tut es einen schon, wenn da schöne (einfache) Kreuzerbriefe liegen :(

    Also ich bin zuversichtlich, dass es künftig noch weitergehende wissenschaftliche Arbeiten geben wird, die auch für uns Sammler verwertbare Erkenntnisse bringen.

    Hallo Philia,

    vielen Dank für die Info. Bitte, wenn möglich, nach dem Kogress kurz Deine Eindrücke schildern und wie gesagt, der Vortrag "Liebesbriefe" wäre interessant (wenn es nicht wieder mal um Goethe gehen sollte).

    Und ich würde gerne Deinen Beitrag lesen :)

    Beste Grüße von Luitpold


  • Hallo Luitpold,

    zunächst verbleibt zwischendrin der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass ich als Postgeschichtler mit meinen Beiträgen mit Sicherheit nicht im Verdacht stehe, nicht auch längst weit über den Tellerrand hinauszuschauen. Genau deswegen aber ist es doch wünschenswert, dass man Historiker und Privatarchivbesitzer auf relevantes Material hin sensibilsiert, auch und im Besonderen was die fachgerechte Erhaltung für die Nachwelt anbelangt. Das hat auf beiden Seiten längst noch nicht jeder auf dem Schirm. Ob es dann real zu einem Austausch kommt, oder nicht sei dahingestellt.

    Aber wenn sich die Chancen dafür vermehren sollen, muss man miteinander reden und sich gegenseitig mit seinen Belangen anerkennen. Sieht nach dem was hier so lese nicht danach aus. Und um in Bezug auf einen evtl. stattfindenden Austausch nicht missverstanden zu werden: Ich sage auch nicht explizit, dass ein materieller, sondern zumindest ein informeller Austausch über das Vorhandensein evtl. für den anderen interessanten Materials erfolgen sollte, damit jeder die Chance hat, seinen Informationsstand auszubauen, eben weil er über den Tellerrand hinaussschaut.

    Habe ich umgekehrt und aus freien Stücken gerade mit dem hiesigen Landesarchiv in einer ganz speziellen Angelegnheit mit mir umfangreich vorliegenden, historisch eindeutig bedeutsamen Postgeschichte-Material gemacht. Das würde ich mir umgekehrt genauso mal wünschen ! Nichts muss so beim anderen im Archiv weiterschlummern bis es u.U. sogar wegen nicht sachgerechter Langerung vergammelt ist, was im Besonderen Privatarchive betrifft.

    In - zumindest - diesem Tenor geistigen Austauschs verstehe ich den hier eröffnenten thread. Wenn aber nicht einmal dieser Austausch stattfindet, dann kommt man auch nicht nicht zum gegenseitigen Fortschritt. Den stelle ich zumindest nicht schon von vornherein in Frage. So liest sich das leider bei Dir, was ich nach wie vor nicht verstehe...mea culpa.

    Viele Grüße

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    Einmal editiert, zuletzt von Pälzer (23. Februar 2020 um 14:01)

  • Hallo Pälzer,

    ich wünschte mir natürlich einen Austausch zwischen denen die wissenschaftlich arbeiten und uns Sammlern. Wir Sammler haben den entscheidenden Vorteil, dass deren Arbeiten z.T. über Internet zu recherieren ist.

    Doch woher sollen die Wissenschaftler wissen, wo es Privat-Sammlungen gibt die lohnen bearbeitet zu werden?

    In der erwähnten Dissertation steht dazu bemerkenswertes. So hat man auch den Bestand im Nürnberger Postmuseum u. andere bekannte Bestände bewertet (es geht da um Nürnberger Geschäftsbriefe). Vielleicht kann Herr Helbig zu gegebener Zeit über den Nürnberger-Archivtag berichten. Hier scheint doch zumindest der gewünschte Austausch - nochmal auch von mir gewünscht - möglich.

    Beste Grüße von Luitpold

  • Zitat

    Doch woher sollen die Wissenschaftler wissen, wo es Privat-Sammlungen gibt die lohnen bearbeitet zu werden?

    Lieber Luitpold,

    woher wissen Wissenschaftler wie z.B. Historiker, wo sie suchen müss(t)en?

    • Zunächst einmal lernen sie Bibliografieren und Recherchieren in Proseminaren. Zu meiner Studienzeit arbeitete man noch mit Nachschlagewerken und Zettelkatalogen, aber mit OPAC war Ende der 1980er-Jahre das erste Datenbanksystem am Start. Eine Offenbarung! Das Internet hat alles noch viel einfacher gemacht und bietet zahlreiche Ansatzpunkte. Denke nur einmal an die Mutter unseres Forums, den DASV. Da laufen zahlreiche Fäden zusammen.
    • Nächste wichtige Voraussetzung: gut vernetzt zu sein, eine Menge Leute kennenzulernen; irgendjemand weiß immer etwas, was man selbst noch nicht weiß und worauf man vielleicht nie gekommen wäre. Gar nicht so viel anders als hier im Forum, oder?
    • Dritter, nicht zu unterschätzender Faktor: der Zufall. Ob vom Archivpersonal jemand einen guten oder schlechten Tag hat, ob man dich dort leiden kann oder nicht, ob gerade die oder der Richtige den Hörer des läutenden Telefons abnimmt (oder auch nur mit im Büro sitzt und sich einschaltet), ob beim Umschichten und Neuverzeichnen von Archivbeständen jemand sich an dich und dein Forschungsvorhaben erinnert – das sind menschliche Faktoren, die das Streben der Wissenschaft nach Objektivität und Objektivierbarkeit schon einmal auf den Kopf stellen können. Das sollte einem aus den eigenen philatelistischen Erfahrungen irgendwie bekannt vorkommen, oder?

    Wissenschaftler sind hungrig nach unerschlossenen Informationen, sie müssen es sein, weil sie ja nicht immer nur das wieder aufarbeiten können, was bereits gedruckt oder elektronisch vorliegt. So wie jetzt die ersten angehenden Magister und Doktoren der Geschichte in den Stadt- und Marktarchiven aufschlagen*, so könnten sich in naher Zukunft auch private Sammlungen als Fundgrube für neue Erkenntnisse entpuppen.

    Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, dass sowohl Geisteswissenschaften als auch die Philatelie nicht in jene Falle tappen, die man mit einem neuen Modewort als Selbstreferenzialität bezeichnet, volkstümlich: das Schmoren im eigenen Saft. Wenn meine Kritik an der akademischen Wissenschaft bezüglich ihrer Sprache und ihrem Hang zur Isolation harsch klingen mag, dann liegt das auch daran, dass sie sich in meinen Augen unter Wert verkauft und Chancen vergeudet. Sie hätte es nicht nötig.

    Ich freue mich jedenfalls darüber, dass philia den Weg zu uns gefunden hat. Sie wird hoffentlich nicht die letzte Wissenschaftlerin in dieser Runde bleiben.

    * Ich habe meinen Kommilitonen schon vor 30 Jahren vorgeschwärmt, was da noch alles zu finden wäre. »Ach, du mit deiner Heimatforschung«, hat einer gesagt. Na ja, der wurde ebenso wenig Professor wie ich ...

    Viele Grüße aus Erding!

    Achter Kontich wonen er ook mensen!

  • Liebe Runde,

    ein kleiner Nachtrag:

    Ich war bei dieser Tagung anwesend und habe auch einen Tagungsbericht dazu verfasst, der mittlerweile in der Zeitschrift für Germanistik publiziert wurde. Leider war die Tagung für "historisch orientierte" Brieffreunde nicht sonderlich ertragreich - falls dennoch jemand Interesse an dem Tagungsbericht hat, dann ist er unter folgendem Link im Open Access zu erreichen (auf den Button "Download Article" klicken): https://www.ingentaconnect.com/content/plg/zfg/2020/00000030/00000003/art00011#

    Sollte das nicht klappen, dann sende ich den digitalen Sonderdruck gerne weiter; einfach eine PM mit der Mailadresse an mich senden.

    Liebe Grüße

    Philia

    Einmal editiert, zuletzt von philia (14. November 2020 um 14:19)