Die Zugriffszahlen zu diesem thread steigen zwar langsam aber stetig. Das zeigt mir, dass das Interesse an diesem Randthema immer mal wieder aufflammt. Leider gibt es schon seit längerer Zeit keine interessanten Neuzugänge zu zeigen.
Aber es gibt noch eine aufschlussreiche Korrespondenz zwischen der Handelskammer Stuttgart, der GenDir. PuT Stuttgart und dem Stellvertr. Generalkommando, das einige Einblicke in die Abläufe der Zensurstellen zulässt.
Nachfolgend ein Schreiben der Handelskammer Stuttgart an die Generaldirektion der Posten und Telegraphen Stuttgart. Die wichtigeren Passagen sind von mir hervorgehoben.
#18
Handelskammer Stuttgart
Stuttgart, den 14. Jan 1915
An die
K. Generaldirektion der Posten und Telegraphen
Stuttgart
Betr. : Briefkontrolle während des Krieges
Unter Bezugnahme auf die gestrige Besprechung zwischen dem Herrn Präsidenten der K. Generaldirektion und dem unterzeichneten Syndikus gestatten wir uns, wunschgemäß eine Abschrift der Militärischen Prüfungsstelle für den Post-Überwachungsdienst bei der K. Generaldirektion zugegangenen Zuschrift aus Zürich zur Kenntnis zu bringen. Der dem Briefschreiber auffällige Umstand, dass in zunehmendem Masse die aus Deutschland eingehenden Briefe verschlossen und ohne Stempel der Militärbehörden ankommen, beweist an sich nicht, dass sie die militärische Zensur nicht durchlaufen haben, da, wie wir feststellten, z.B. alle die allgemeine Auslandsstelle (nicht die Prüfungsstelle) in Württemberg durchlaufenden Briefe ungestempelt bleiben und geschlossen werden.
Dennoch halten wir eine Nachprüfung der Angelegenheit auch von Seiten der Postverwaltung für erwünscht, da sich schon seit geraumer Zeit in der Prüfungsstelle beobachten lässt, dass nicht mehr wie früher von allen Plätzen Württembergs Briefschaften einlaufen. Gewiss wird ein Teil der Briefe, auf deren umgehende Beförderung nicht besonders Wert gelegt wird, seit Behebung der grössten Verkehrsschwierigkeiten offen in die Schalter geworfen werden. Das gänzliche Fernbleiben von Auslandsbriefen aus verschiedenen Plätzen des Landes erweckt aber dennoch den Eindruck, als ob das vorgeschriebene Kontrollverfahren von verschiedenen Postämtern nicht mehr strenge beobachtet werde. Diese Vermutung wird insofern verstärkt, als von verschiedenen Seiten – was allerdings von uns im Einzelnen nicht nachkontrolliert werden konnte das „abgekürzte Verfahren“ verschiedener Postämter ausserhalb Stuttgarts (sofortige Nachprüfung des Briefinhalts und unmittelbare Schliessung durch den Postvorstand ) gerühmt wurde.
Um neue erschwerende Maßnahmen der Militärbehörde zu vermeiden, gestatten wir uns der K. Generaldirektion nahe zu legen, die Postämter auf die strenge Beobachtung der militärischen Kontrollmaßnahmen erneut hinzuweisen und ihnen insbesondere auch bei Wertsendungen, für die allein u.W. eine unmittelbare Abfertigung durch die einzelnen Postämter bisher gestattet wurde, eine scharfe Kritik des brieflichen Inhalts zur Pflicht zu machen, da nach Äusserungen aus Geschäftskreisen gerade bei diesen Sendungen die Gefahr missbräuchlicher Ausnutzung eines direkten Nachrichtenverkehrs nahe liegt.
Die Handelskammer
Der Vorsitzende Der Syndikus
Es gibt im Stuttgarter Staatsarchiv eine dicke Akte mit Hilfsangeboten von Zivilpersonen an die Spionageabwehr, die vor allem aus der Anfangszeit des Krieges stammen. Sie wurden allesamt dankend abgelehnt. Auch der Herr in Zürich hat sich veranlasst gefühlt der deutschen Spionageabwehr unter die Arme zu greifen. Er schloss aus der fehlenden Kennzeichnung der Briefe, dass diese keinerlei Kontrollen unterzogen worden sind. Der Brief kam auch beim stellvertretenden Generalkommando an, das etwas verschnupft reagierte:
#19
Abschrift
Stuttgart, den 18. Januar 1915
Postamt Nr. 1
Nr. 193
0 Beil
An
die K. Generaldirektion der Posten und Telegraphen
Betr.: Militärische Briefzensur
den Erlass vom 15. Januar 1915 Nr. 86G
Zur Einlieferung der Briefe bei der Prüfungsstelle (Hauptpostgebäude Zimmer 38) ist nur ein ganz kleiner Teil der Firmen Württembergs zugelassen, von welchen wieder nur wenige ihren Sitz außerhalb Stuttgarts haben. Da die Einlieferung der Auslandsbriefe durch den Briefkasten in offenem Zustande bis jetzt zu keinen Anständen geführt hat und die Briefe nach der Prüfung postamtlich verschlossen werden, dürften die genannten Firmen jetzt ihre wenige wichtigen Briefe auf dem gewöhnlichen Wege einliefern.
Die Einhaltung des vorgeschriebenen militärischen Prüfungsverfahrens ist schon dadurch gewährleistet, dass die gesamte Auslandsbriefpost über die Ausland- und Überwachungsstelle geleitet wird. Den Postämtern steht außer der Prüfung der Postaufträge und Wertbriefe (Wertkästchen) nach dem Auslande kein Prüfungsrecht zu. Bis jetzt wurde nur in ganz vereinzelten Fällen beobachtet, dass auch Einschreib- oder gewöhnliche Briefe von den Aufgabe-Postämtern verschlossen wurden. Der Inhalt dieser Briefe wurde aber hier militärischerseits nachgeprüft. Von einer Verfolgung dieser wenigen Fälle wurde jeweils in Anbetracht der besonderen Umstände im Einverständnis mit der Postüberwachungsstelle abgesehen. Von einem unvorschriftsmäßigen Verfahren oder System kann daher keine Rede sein.
Der militärische Vorstand des Postüberwachungsdienstes, Herr Oberstleutnant von Fischer-Ihringen wünscht hiebei durch durch Vermittlung des Postamtes zur Kenntnis der K. Generaldirektion zu bringen, dass das Schreiben des Eberhardt aus Zürich an das K. Württ. Briefzensurbureau ihm als dem zuständigen militärischen Beamten nicht vorgelegen hat und keinesfalls in die Hände der Handelskammer hätte gelangen sollen, die in der Angelegenheit ohne jede Zuständigkeit vorgegangen sei.
Das betr. Schreiben ist der Prüfungsstelle beim Postamt lediglich durch ein Versehen zugekommen; zur Hintanhaltung eines ähnlichen Versehens wurde das erforderliche angeordnet.
Gez. Capeller
Das Schreiben des stellvertr. Generalkommandos lässt es an deutlichen Worten nicht fehlen und watscht die PuT Stuttgart und die Handelskammer ob ihres eigenmächtigen Vorgehens unsanft ab.
Es lässt sich jedoch feststellen, dass jede Auslandssendung durch eine militärische Prüfungsstelle gelaufen ist. Auch die sogenannten Postamtszensuren liefen über die Überwachungsstelle, die sie aber im Normalfall durchgewunken hat. Das folgende Schreiben der PuT Stuttgart an die Handelskammer stellt dies nochmals klar:
#20
K. Generaldirektion der Posten und Telegraphen
Nr. 86 c G.
Stuttgart, den 23. Januar 1915
An
die Handelskammer
Stuttgarts
Auf das Schreiben vom 14. Januar 1915
Erst in neuerer Zeit wurde die Anordnung getroffen, dass die für das neutrale Ausland bestimmten, offen zur Post einzuliefernden gewöhnlichen und eingeschriebenen Briefe vor ihrer Absendung in fremdes Gebiet durch besonders bestimmte Postanstalten (Auslandsstellen) zu verschließen sind.
Da unter solchen Umständen derzeit wohl alle weniger wichtigen Nachrichten von der Geschäftswelt usw. offen zur Post gegeben werden, dürfte die Tatsache, dass neuerdings bei der hiesigen Prüfungsstelle weniger Sendungen als früher zum Verschluß vorgelegt werden, eine hinreichende Erklärung finden.
Den Postämtern steht außer der Prüfung der Postaufträge und Wertbriefe (Wertkästchen) nach dem Auslande kein Prüfungsrecht zu. Bis jetzt wurde nur in ganz vereinzelten Fällen beobachtet, dass auch Einschreib- und gewöhnliche Briefe von den Aufgabepostämtern verschlossen wurden. Der Inhalt dieser Briefe wurde aber hier militärischerseits nachgeprüft.
Bei der Art und Weise, wie seit Eintritt des Kriegszustands die Briefbeförderung nach dem neutralen Ausland eingerichtet ist, muß es als völlig ausgeschlossen bezeichnet werden, dass Briefsendungen, wenn solche je von einer Aufgabepostanstalt eigenmächtig verschlossen wurden, ohne militärische Genehmigung über die Grenzen des Deutschen Reiches befördert werden.
Die Generaldirektion glaubt hienach zunächst davon absehen zu können, in der Angelegenheit eine Verfügung zu treffen, zumal da den Postämtern das Verfahren bei der Annahme von Wertbriefen usw. bereits besonders eingeschärft ist.
gez. Mezger
Nach meiner Beobachtung gibt es tatsächlich etliche Auslandssendungen aus der Zeit, die keinerlei Zensurvermerke zeigen und wohl verschlossen befördert worden sind. Auch solche Belege gehören eigentlich in eine Zensursammlung. Interessant wäre es jetzt noch zu zeigen, ob Firmen von der Liste der Prüfungsstelle für Geschäftspost auch ohne eine Kennzeichnung ins Ausland liefen. Ich habe bis jetzt noch nie einen gesehen.