Gibraltar : Desinfizierte Post

  • ich eröffne einen neuen Thread für Belege unabhängig ihrem Bestimmungsort



    Mein Beleg wurde in Gibraltar am 12 September 1833 geschrieben. Der Inhalt ist besonders interessant: 1 Seite Text und eine doppelseitige Preisliste. Im Transit durch Spanien und bei St Jean de Luz über die Grenze. Auf der Rückseite ist ein sehr schwach abgeschlagener Postvertragstempel zu sehen. Er ist schwer zu deuten wahrscheinlich Frankrijk over Arnhem auch wenn dies ein riesiger Umweg wäre. Ansonsten hätte ich gesagt over Schiedam aber dieser Stempel ist bei VdL gelistet. Bei Rotterdam passt der Schriftzug nicht. Wohl doch Arnhem.


    Nun lagen die Niederlande mit Belgien im Clinch. Deswegen gab es schon 1830/31 Richtlinien für die Umleitung aus Frankreich kommender Post. Über die Jahre gab es diesbezüglich mehrere Postcirculare. Anfangs wurde die Post teils mit einem Dampfer von Dünkirchen nach Rotterdam verschifft bzw über London nach Rotterdam. Es gab aber auch die Route über Thionville - Preußen - Arnhem.


    Der vorgestellte Beleg erreichte seinen Zielort Schiedam am 3 Oktober. Laut einer Postcircular vom 27 Februar 1833 [1] und soweit ich dies richtig deute denn mein niederländisch kommt gleich null wurden die Porti, unabhängig von der Landroute, immer ab/bis Valciennes - Bergen gerechnet. Der Empfänger hat 85cts bezahlt. Appliziere ich nun besagte Postcircular ergibt dies 55 cents von Bayonne bis Valenciennes plus 30 cents für die Strecke Bergen - Schiedam, macht gesamt 85 cents. Diese Rechnung konnte ich bei einem anderen Beleg auch so ermitteln. Hier ist die Meinung der Experten gefragt. Mir mangelt es da noch an Erfahrung.


    Kommen wir zur Desinfizierung. Vorne unter dem Namen des Empfängers befindet sich ein kleiner Schnitt. Die beiliegende Beschreibung besagt das der Brief geräuchert wurde und ein schwacher roter L2 Stempel purifié... abgeschlagen wurde. Da ist kein solcher L2! Jedenfalls kann es nicht der L2 auf dem Verso sein. Den roten Stempel vorderseitig (für mich ein L3) kann ich nun leider nicht lesen, im Anhang ein Scann. Ich habe Guy Dutaus Werk konsultiert. Er schreibt, dass Briefe aus Spanien nahe den Grenzübergangsbüros behandelt wurden. Da er keine offiziellen Texte für die Zeit 1831/1833 gefunden hat, geht er davon aus, dass dies wie schon um 1820 in Béhobie erfolgt ist. Béhobie liegt an der französischen Grenze gegenüber von Irun. Der rote L3 scheint mir aber kein französischer Stempel zu sein. Kennt vielleicht jemand von euch diesen Stempel?




    Nun habe ich mich auch gefragt wo denn nun die Cholera gewütet hat. Aus dem Inhalt kann man schliessen dass es zum Zeitpunkt des Schreibens Probleme in Gibraltar gab. Das geht die Rede von einem Lazaret auf Malta und von niederländischen Schiffen welche vom Gesundheitsamt wieder weggeschickt werden '' vessels from Holland are again ordered away by our board of health''. Hätte der Beleg nicht schon in Gibraltar desinfiziert werden müssen ?


    Ihr seht ich habe viele Fragen und hoffe auf Erleuchtung


    [1] https://www.dasv-postgeschichte.de/pdf/1833-NL-circ252.pdf

    Phila-Gruß


    Lulu

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  • Hallo Lulu,


    vielen Dank für das Zeigen und Deine Anmerkungen zu diesem schönen Brief. Bezüglich der Portoberechnung findet sich bei Delbeke ("De post naar de Nederlanden 1813-53", Seite 47) eine Bestätigung für die 55 Cent von St.-Jean-de-Luz nach Valenciennes. Der kleine Desinfektionsschlitz ist eher untypisch für Gibraltar. Denis Vandervelde und Richard Garcia erwähnen in "Gibraltar – Quarantine and desinfection of mail" (Seite 48 ) einen Brief von März 1832 nach Schiedam und vermuten die Reinigung in St.-Jean-de-Luz. Mir sind jedoch auch etliche Briefe aus diesem Zeitraum nach Spanien bekannt, die einen kleinen Schnitt aufweisen. Ich halte daher eine Desinfektion beim Grenzübertritt nach Spanien (San Roque) für nicht unwahrscheinlich.


    Nachfolgend möchte ich zwei weitere desinfizierte Belege zeigen:


    1) Gibraltar-Cadiz vom 14.4.1834
    Der Brief weist einen etwa 2 cm langen Reinigungsschnitt auf. Der Empfänger zahlte das Inlandsporto von 9 quartos für einen Brief der zweiten Gewichtsstufe.


    2) Gibraltar-Schiedam vom 19.4.1832
    Neben dem etwa 15 mm langen Schnitt verweist der Stempel "GEZUIVERD" auf die äußerliche Reinigung in Arnheim. In Arnheim, wo Post aus Preußen und Frankreich einging, wurde wegen der Cholera desinfiziert. Es sind gereinigte Belege von September 1831 bis August 1832 bekannt.


    Beste Grüße,
    André

  • Hier ein desinfizierter Brief vom 13. November 1833 nach Genua mit einem etwa 18 mm langen Schnitt.


    – "S.ROQUE / FRANCA" = Brief über San Roque, vorausbezahlt bis Irun. Rückseitig angeschriebenes Franko von 15 cuartos (Tarif von 1815: Brief bis 5 adarmes).
    – "DE GIBR. / S.ROQUE / ANDA. BAXA" = Brief aus Gibraltar via San Roque
    – "ESPAGNE PAR / ST. JEAN-DE-LUZ" = Grenzübergangsstempel von St.-Jean-de-Luz
    – "T F" cachet = Transit via Frankreich
    – "14 XBRE" = Eingangsstempel von Genua: 14. Dez. (1833)


    Der Empfänger zahlte 27 Soldi = 18 Soldi Auslandsporto (Postvertrag zwischen Frankreich und Sardinien von 1822) + 9 Soldi sardinisches Inlandsporto (Nizza-Genoa, Tarif von 1818: 75 to 100 miles = 9 Soldi). Die Sardinische Post zahlte 36 décimes pro 30g Transit-Briefe an die Franz. Post.


    Postvertrag von 1822 zwischen Frankreich und Sardinien: http://www.dasv-postgeschichte…ownload.asp?file=1171.pdf


    1 sardinische Meile = 2.470 Meter
    2 Soldi = 1 décimes

  • 18 mm langen Schnitt

    bei meinem Beleg sind es auch 18mm. Danke für den Hinweis zu Delbeke. Schlage ich später nach. Ich werde auch meine anderen Belege in den jeweils passenden Threads zur Diskussion einstellen.

    Phila-Gruß


    Lulu

  • Hallo André,


    von 9 quartos


    ich hatte mir "Cuartos" gemerkt als spanische Währung - bist du mit "quartos" sicher?

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Ralph,


    Du hast recht, die Schreibweise "quartos", die sich auch auf alten Edikten der Post wiederfindet - daher auch die Abkürzung "q" auf dem Portostempel von Cádiz, ist veraltet und wird heute nicht mehr verwendet.


    Beste Grüße,
    André

  • Hallo André,


    vielen Dank für die Klarstellung. :)

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Nachfolgend ein Brief vom 23.7.1828 aus Bahia (Brasilien) der durch "Supino y Segre de Gibraltar" weitergeleitet wurde nach Barcelona. Die zwei etwa 27 mm langen Schnitte bezeugen die Desinfektion bei der Ankunft in Gibraltar. Der Empfänger zahlte 12 cuartos Inlandsporto.


    Nach meinen Recherchen würde die Mary, als das Schiff in Betracht kommen, das den Brief von Bahia aus nach Gibraltar gebracht hat. Sie lief am 3. September in Gibraltar ein.

  • Denis Vandervelde und Richard Garcia führen in der Publikation "Gibraltar – Quarantine and desinfection of mail" (Seite 30) aus, dass in den Jahren 1818/21 Post aus Gibraltar, die über die Überlandroute lief, vermutlich wegen der Pest in Nordafrika, in San Roque (Spanien) desinfiziert wurde. Nachfolgend zwei Belege aus diesem Zeitraum.


    – Brief vom 28. Oktober 1819 von Gibraltar nach Madrid. Der Brief trägt den Stempel "S. ROQUE / ANDALUCIA / BAXA" (San Roque, Nieder-Andalusien). Nach dem Tarif von 1815 wurden in Madrid für einen einfachen Brief (bis 6 adarmes) aus Nieder-Andalusien 8 Cuartos erhoben. Mittig besitzt der Beleg einen senkrechten, etwa 23 mm langen Meißeldurchstich.


    – Brief vom 8. November 1821 von Gibraltar nach Oporto. Ankunft dort, am 27. November. Der Brief trägt den verwaschenen Stempel "S. ROQUE / ANDALUCIA / BAXA" und weist Verfärbungen durch die Behandlung mit Essig auf. Er wurde mit zwei Meißeldurchstichen (27 und 35 mm) geschlitzt. Diese Schlitzung ist nicht typisch für Portugal und fand vermutlich in San Roque statt. Der Empfänger hatte 90 reis zu entrichten.

  • Heute möchte ich zwei Belege aus der Markenzeit vorstellen. 1853/54 flammte die Cholera wieder auf den Britischen Inseln und in Frankreich auf. Denis Vandervelde und Richard Garcia zitieren in ihrem bereits vorher erwähnten Werk den Gouverneur von Gibraltar, der ausführt, dass sich das britische Militär bei der Ankunft in Gibraltar nicht an die von Spanien geforderte Quarantine von 8 Tagen hält. Die Spanier schlossen daraufhin von November 1853 bis Februar 1854 die Grenze zu Gibraltar. Der Sanitäts-Kordon wurde am 3. November errichtet.


    Beim ersten Beleg handelt es sich leider lediglich um eine Briefvorderseite, die einen etwa 3,6 cm langen Schlitz aufweist und den Übergangsstempel von San Roque trägt. Der Beleg ist nach Cadiz adressiert und wurde mit einer spanischen 6-cuartos-Briefmarke des Jahres 1853 frei gemacht, die bis zum 31. Dezember gültig war. Von Gibraltar aus galt der spanische Inlandstarif. Die Marke wurde mit einem Grill-Stempel (Parrilla) entwertet.


    Der zweite Beleg, ein ähnlicher, jedoch vollständiger Brief, stammt vom 23. Dezember 1853. Er erreichte den Bestimmungsort Almeria in Spanien am 5. Januar 1854 und weist zwei senkrechte etwa 3,6 cm lange Räucherungsschlitze auf.