Briefe mit mangelhafter Anschrift

  • Liebe Freunde,


    viele Sammler wundern sich immer wieder, dass Briefe an ihr Ziel kamen, obwohl die Anschrift/Adresse nicht korrekt, unvollständig, irreführend usw. war.


    Als Eingangsbeispiel zeige ich einen Brief aus Aschaffenburg vom 22.10.1874 mit folgender Anschrift:


    Herrn B. v. Poschinger Glasfabrick in Ob. Zwieslau


    Eine vollständige Anschrift auf allen Poststücken lag im Interesse des Absenders, der sein Poststück zügig und richtig zugestellt bekommen wollte, der Post, die die ihr anvertrauten Poststücke schnell und korrekt zustellen wollte und des Empfängers, der natürlich baldigst seine für ihn bestimmte Post an seinen Wohnort vermittelt bekommen wollte.


    Dennoch ist zu gewärtigen, dass aus vielerlei Gründen Adressen diesem Anspruch nicht gerecht wurden. So gab es die Anweiung an das geneigte Publikum, gerade bei kleineren, also weniger bedeutenden Orten, die man schon ein paar Meilen vom Aufgabeort gar nicht mehr kennen konnte, durch Hinzusetzung der für diesen Ort zuständigen Poststelle, des Gerichtsbezirks, oder ähnlicher, präzisierender Anmerkungen die Arbeit der Postbediensteten zu erleichtern.


    Abgesehen, dass man hier auch Ob. (Abkürzung für Ober) Zwiesbau lesen könnte, gab es den Ort "Oberzwieselau" damals, in dem der Farbrikant Benekikt von Poschinger residierte.


    Ein Postler muss aber gewußt haben, wohin der Brief gehörte, denn er notierte in Blaustift "Post Zwiesel", also genau die Präzisierung, die sich die Post von der Hand des Absenders gewünscht hätte. So wundert es nicht, dass der Brief erst am 24.10.1874 in Oberzwieselau ankam und Benedikt von Poschinger ihn ausweislich des Eingangsvermerks am 26.10.1874 erhielt!


    Es braucht keine Zugpläne und Fahrverbindungen, um zu wissen, dass man 1874 nicht mehr lange brauchte, um innerbayerische Briefe zuzustellen.


    Gerne sehe ich weitere Briefe mit dieser kleinen Besonderheit. :)

  • Lieber Ralph,


    Damals kannten sich die Postler halt noch aus in Bayern und was sie vor allem von den heutigen unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie die Briefe auch an den Adressaten bringen wollten.
    Heute braucht statt der Hausnummer 18 nur 28 zu stehen und ansonsten alles stimmen, und schon ist der Brief unzustellbar, weil das für die Herren und Damen Postbediensteten ja auch viel einfacher ist.


    Liebe Grüße von maunzerle :thumbup:

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Lieber Peter,


    da sprichst du ein wahres Wort gelassen aus. Unlängst in der Bucht eingekauft und 2 Wochen nichts bekommen. Der Verkäufer hatte einen Zahlendreher in der Anschrift und damit eine Hausnummer, die es gar nicht hier gibt - statt bei mir zuzustellen, lief der Brief retour. Den Rest kannst du dir denken.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Liebe Freunde,


    wenn man erfahrene Sammler fragt, was alles zu einer korrekten Anschrift auf unseren Briefen gehört, schaut man fast immer nur in fassungslose Augen.

    Um diesem Missstand ein für alle Mal abzuhelfen, darf ich die Vorgaben hier vorgeben:


    Vor- und Nachname

    Stand des Empfängers

    wenn bekannt Straße bzw. Behausung oder vorläufiger Wohnort

    Ort (wenn unbekannt bzw. sehr klein mit Präzisierung "bei" oder "Landgerichtsbezirk XY").


    Am 4.3.1864 sandte man einen Brief an "Herrn I. Stahl junior in Nürnberg" mit 3x frankiert ab, der auch am Folgetag dort ankam, aber dann mehrere Tage nicht an den Mann gebracht werden konnte. Letztlich gab man in Nürnberg auf, strich "Nürnberg" vorne und vermerkte "retour" und gab hinten als Grund an "Ohne Standesbezeichnung nicht zu ermitteln Einwohnerbureau". Darunter befindet sich ein kleiner Ovalstempel, den ich so noch nie gesehen habe mit dem Titel "Einwohner Bureau".

    Der Brief war also vorübergehend zur Ermittlung der Anschrift dem heutigen Einwohnermeldeamt Nürnberg übermacht worden, aber auch diese konnten nicht feststellen, welche Person gemeint war und man gab ihn wohl am 8.3. der Hauptbriefpostexpedition zurück. Diese sandte ihn retour nach Neustadt an der Aisch, vo er am 9.3. ankam.


    In Anbetracht der Tatsache, dass ich seit über 30 Jahren einen Brief gesucht habe, bei dem wegen des fehlenden Standes (also Uhrmacher, Küfer, Hufschmied usw.) ein Brief unanbringlich war, habe ich über den Markenschnitt großzügig hinwegsehen können, zumal ich mit einem Ovalstempel des Einwohnerbüros auch keinen weiteren kenne.


    P.S. Ich empfehle in diesem Rahmen noch die Sendungen des bayer. Rundfunks vergangener Jahre "Der letzte seines Standes" - ein wundervolles Zeitdokument jede einzelne Sendung und eine Erhellung über die Techniken vergangener Jahrhunderte ohne gleichen.

  • :thumbup::thumbup:


    Da es wohl zu dieser Zeit keinen althergebrachten fränkischen männlichen Vornamen gab, der mit "I" begann, könnte der des Adressaten vielleicht eher Richtung norddeutsch (z.B. Ingobert), altbayrisch (z.B. Ignaz) oder hebräisch (z.B. Isaak) zu verorten sein. Evtl. ein Handlungsreisender ?

    Das würde erklären, dass er nicht gemeldet war.


    Oder wurde das "I" für ein "J" verwendet (z.B. Johann), was ja auch ab und zu vorkam.

    Ohne Brieftext wird sich das leider nicht lösen lassen.


    Viele Grüße von der Frankenhöhe

    Gerd

  • Hallo Gerd,


    oft hat man zwischen "I" und "J" optisch gar nicht unterschieden. Auch Ignatz, Itzhak, Israel oder Isidor als jüdische Vornahmen wären bei dem Nachnamen möglich.


    Noch in den 1860er Jahren wurden alle Reisenden mit Namen, Stand, Firma, Herkunft und Absteige in den Abendzeitungen genannt, damit die heimischen Leser wussten, wen man am Ort ansprechen konnte - auch eine Art der Geschäftstüchtigkeit, die man sich heute gar nicht vorstellen kann.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.