100 Aus dem Departement Donnersberg in die Schweiz über Bern

  • Spannend und bezüglich der Taxvermerke nur schwierig einzuordnen ist der nachstehend abgebildete Brief vom 10. September 1812 aus „100 NEUSTADT“ (schwarz-grün) in den Kanton Unterwalden am Vierwaldstätter See.

    Der Brief trägt drei Taxvermerke: 5 Decimes in Tinte, 10 Kreuzer in Rötel sowie 16 Kreuzer in Tinte (obere rechte Briefecke) nebst Franko-Baum 18/20. Er ist durch das Elsass spediert worden, also ohne badisches Gebiet zu berühren und in Basel abgefertigt worden auf seinem weiteren Weg über Bern bis zum Bestimmungsort.

    Bereits dieser Laufweg des Briefes macht einen Exkurs in das Postwesen der Schweiz erforderlich, welches bis Ende 1848 auf kantonaler Ebene organisiert war, bevor durch Beschluss der Bundesversammlung ab 1. Januar 1849 die Übernahme der Posten auf Rechnung der Eidgenossenschaft erfolgte:

    Mit dem Versprechen, Briefe von und nach Deutschland und Frankreich regelmäßig zweimal wöchentlich abgehen und ankommen zu lassen, verpachtete die Berner Obrigkeit durch Vertrag vom 21. Juli 1675 das Regalrecht des Post- und Botenwesens auf 25 Jahre an „Beat Fischer und Consorten“, ohne dass bis dato bekannt ist, wer die Teilhaber des Berner Partritzers Beat Fischer waren, zumal im Vertrag auch nicht genauer umschrieben. Festzuhalten aus heutiger Sicht gilt aber, dass Beat Fischer die bernische Post zur größten Postunternehmerin der Eidgenossenschaft und zu einem der schnellsten Postdienste Europas entwickelt hat.

    Begünstigt wurde der Vertrag mit Beat Fischer durch die Besetzung der Franche-Compté in 1674 durch Frankreich, was Bern als ernsthafte Bedrohung empfand.

    Allen Nachrichten aus Frankreich kam fortan noch größere Bedeutung zu, was die seit langem bestehende Botenorganisation „Lyoner Ordonari“ nur sehr bedingt gewährleisten konnte, nachdem ihr Weg auch seit einigen Jahren nicht mehr über Bern, sondern über Aarberg verlief, woraus es verständlich wird, dass der vordringliche Wunsch bestand, Bern wiederum besser in das überregionale Postnetz zu integrieren, zumal sich der Kurs in Händen von Zürich und St. Gallen befand und die Nachrichten bis dato nur einmal wöchentlich eintrafen.

    Bis zum Zusammenbruch des Ancien Régimes gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Vertrag mit dem Unternehmen Fischer alsdann mehrfach verlängert bis zur Proklamation der helvetischen Republik im Jahre 1798, mit einer Aufteilung des Postwesens in fünf Postkreise unter einer Zentralverwaltung.

    1803 machte Napoleon mit der sog. Mediationsakte dem Zentralstaat ein Ende und gab den Kantonen ihre Souveränität zurück, wodurch auch das Postregal wieder in deren Kompetenz überging. Der zuletzt von der Fischerpost 1793 abgeschlossene Postpachtvertrag blieb gleichwohl bis 1808 in Kraft und wurde in der Folge sogar auf weitere zwölf Jahre verlängert.

    Von 1814 bis 1815 wurde das Postgebiet auf den Kanton Wallis erweitert und von 1815 bis 1830 erhielt die Fischer´sche Post alsdann auch noch die Post in Genf in Pacht. Außerdem besaßen die Fischers – zumindest zeitweise – Transitverträge mit den Kantonen Unterwalden und Uri, womit wir wieder bei dem in Rede stehenden Brief aus Neustadt wären:

    Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, folglich in der napoleonischen Zeit, galten in etwa die gleichen distanzabhängigen Taxen des 18. Jahrhunderts, wonach die Taxe auf dem Gebiet des Standes Bern für bis zu fünf Bernstunden (1 Bernstunde = 5,2789 km) 2 Kreuzer und darüber 4 Kreuzer betrug. Für nicht auf die Pachtfläche entfallende Postorte (z.B. Basel) wurde eine Zustellgebühr von 2 Kreuzer erhoben und vergütet.

    Der Tarif von Bern nach Solothurn, Unterwalden und Freiburg hat 2 Kreuzer, nach Luzern, Basel und Genf 4 Kreuzer sowie nach Zürich und Schaffhausen 6 Kreuzer betragen. Hinzugerechnet wurden die Auslagen für Briefe aus dem Ausland, z.B. aus Frankreich.

    Dies vorausgeschickt, lassen sich die Taxvermerke auf dem Brief wie folgt erklären:

    Die „10“ in Rötel ist eine typische Taxierung von Basel für Auslagen in Kreuzer. Hier rechnete man aber französische Auslagen (5 Decimes = 15 Kreuzer) wohl mit dem Faktor 2 um (5 Decimes = 10 Kreuzer). Die „16“ Kreuzer in Tinte sind eine typische Fischerpost-Taxierung für fremde Auslagen.

    Die Zahl „18“ im Franko-Baum über dem Bruch erklärt sich nach dem zuvor Gesagten wie folgt: 10 Kreuzer (Auslage in Basel) + 4 + 2 = 6 Kreuzer Tarif Basel-Bern, inkl. Zustellgebühr (= 16 Kreuzer = Auslage der Fischerpost) + 2 Kreuzer für die Fischerpost Tarif Bern-Unterwalden = 18 Kreuzer (sowie 2 Kreuzer für Unterwalden = 20 Kreuzer für den Empfänger des Briefes).

    Das für Bern typische große "B" wurde nicht aufgebracht, da der Brief über Basel in die Eidgenossenschaft gekommen ist.

  • Hallo Dept. 100,

    zuerst einmal Glückwunsch zu dieser Pretiose - eine vergleichbare zu finden dürfte einige Zeit dauern und schön ist er ja auch noch ...

    Zu deiner Interpretation: Ich glaube nicht, dass Basel die m. E. 5 Decimes in 10 Kreuzer reduziert hat. Paritätisch und postalisch waren 5 Decimes 14 Kreuzer und wenn wir den Basler (Schweizer) Kreuzer auch oft etwas schwächer sehen, als den rheinischen Kreuzer, so wären es 15 oder maximal 16 Kreuzer, die Frankreich als Portoforderung an Basel gestellt hätte.

    Es ist nicht verständich, warum Basel das franz. Porto nur mit 10 Kreuzern hätte auslegen sollen - damit hätten sie bei jedem Brief mindestens 5 Kreuzer verloren. Eine Postverwaltung, die auf sich hielt, wie die Baseler, wäre niemals einen solchen Deal eingegangen.

    Im übrigen ist mir der Laufweg schleierhaft, weil ich nicht weiß, ob Frankreich Basel seine Post für die Zentralschweiz andiente und nicht möglichst lange auf französischem Gebiet beließ und transportierte.

    Die Fischerpost hat ihre Taxen damals gerne gestempelt - einen Stempel sehe ich aber nicht.

    Leider habe ich keine Quellen, die solche Briefe beschreibbar machen - ein lieber Freund mit guten Altschweiz - Kenntnissen ist ebenso wie ich an den o. g. Logiken bzw. Unlogiken gescheitert, wobei sich schon mal die Frage stellt, warum ein Brief eines franz. Bürgermeisterns überhaupt für die franz. Strecke portobelastet aufgegeben wurde und man sich die Mühe machte, siegelseitig alles minutiös aufzuzählen, wenn das postalisch sinnlos war und am Porto eh nichts änderte.

    Alles in allem ein großer Knobler, wie ich sie liebe, aber hier weiß und kenne ich zu wenig Primärquellen, so es sie heute überhaupt noch gibt und auch an vergleichbaren Briefen mangelt es weit und breit.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo, Ralph,

    nach dem Tarif der Berner Fischerpost vom 14.02.1810, der hier einschlägig ist, muss die Taxierung so gewesen sein, wie von mir beschrieben.

    Briefe über das Elsass nach Basel wurden in Bern nie mit dem großen "B" gestempelt, stattdessen die Berner Auslage in Tinte (hier: 16 Kreuzer) auf den Brief aufgebracht.

    Es soll einen (mir noch unbekannten) Postvertrag "Basel (bzw. Schweiz) mit Frankreich" geben (wohl um 1800), der genau diese Basler Umrechnung kodifiziert. Ihn gilt es aufzuspüren ..... und das Rätsel ist gelöst.

    Neustadt war Frankreich unter Napoleon und der Brief keine Franchise (portobefreit) oder eine Dienstsache, weshalb die 5 Decimes bis zur französischen Grenze (bei Basel) ihre Berechtigung haben. Nicht jeder Bürgermeister konnte portofrei spedieren lassen, auch innerhalb Frankreichs nicht.

    Gleichwohl birgt der Brief bezüglich seiner postalischen Behandlung immer noch Geheimnisse .... aber das ist es doch gerade, was die Vorphila so interessant und liebenswert macht.

    Im Übrigen: Im Januar 2018 erscheint nun endlich mein neues Buch. Derzeit liegt es im Lektorat und soll dann Anfang des neuen Jahres (260 Seiten, in DIN A 4, gebunden) erscheinen. Mehr alsdann hier im Forum.

    Schönes WE + liebe Grüße von Detlev

  • Hallo Detlev,

    danke für deine Ausführungen - dann müssen wir diesen PV suchen. Hast du schon auf der DASV - Postvertragsseite nachgeschaut, ob er da gelistet ist? Wenn ja, dann wohl am ehesten in französischer Sprache, was für meine Erkenntnis nicht so förderlich wäre ...

    Schön, dass es bald wieder Fachliteratur gibt - dessen Vorstellung hier ist ja schon obligat. :)

    Liebe Grüsse vom Ralph

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  • Hallo Dept. 100,

    im Handbuch von Richard Schäfer Band XII - Auslandspostverkehr - Schweiz
    Italienische, Österreichische und Deutsche Staaten - Transit - 1798 bis 1850
    steht folgendes auf Seite 89:
    1.11 Postverträge mit dem Ausland 1798 - 1849
    Insgesamt haben die Schweizer Kantone bis 1848 rund 70 Postverträge mit dem
    Ausland abgeschlossen. Die Postverträge bis 1798 sind im Buch der Schweizerischen
    Postgeschichte Band IX, Seite 58, Alte Eidgenossenschaft dargestellt.
    Die Postverträge mit Frankreich für die Periode von 1798 bis 1850 sind im Band VIII
    der Schriftenreihe dargestellt.
    Mit Gültigkeit ab 1798 waren die folgenden Verträge in Kraft:
    Frankreich - Fischer
    Postvertrag Nr.4 Gültigkeit 1786 - 1818
    .............
    Frankreich - Basel
    Postvertrag Nr.3 Gültigkeit 1724 - 1818
    ................

    Vielleicht hat jemand den Band VIII


    Beste Grüße von VorphilaBayern

  • Lieber Hermann,

    danke für deine schöne Ausarbeitung - leider habe ich gerade diesen Band nicht ... ;(

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo Detlev,

    auch hier zu deinem sehr schönen Brief (Glückwunsch!) meine Frage: Wenn er 12 Decimes schon bis zur CH - Grenze kostete, wie kann dann das Gesamtporto nur 24 Kreuzer betragen, da 12 Decimes ja fast 36 Kreuzer waren?

    Ich habe leider Probleme mit deinen Briefen in die Schweiz und kann mir nicht vorstellen, dass, wer auch immer (Fischer, Basel) hier viel Geld je Brief zugesetzt hat. Das hätte jede Postverwaltung pleite gehen lassen.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo Ralph,

    nicht aber (= Pleite), wenn man in Bern (aufgrund bestehender Postverträge mit Frankreich) den Decime laut Richard Schäfer (vgl. oben Band VIII) mit dem Faktor 1,4 umrechnete.

    Ebenso in Basel (Faktor 1,4 - 1,6 - 2,0).

    Diesbezüglich werde ich in meinem neuen Buch noch eine besondere Erläuterung geben.

    Vorab: Bern bis Lausanne = 4 Kreuzer

    Liebe Grüße

  • Hallo Detlev,

    da bin ich mal gespannt auf die Lösung - wenn das Buch fertig ist, schickst du mir es gegen Rechnung gleich zu? Danke vorab!

    Liebe Grüsse vom Ralph

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    • Offizieller Beitrag

    wenn man in Bern (aufgrund bestehender Postverträge mit Frankreich) den Decime laut Richard Schäfer (vgl. oben Band VIII) mit dem Faktor 1,4 umrechnete.

    Hallo Detlev

    Schäfer rechnet hier nicht mit Decimes aber Sols weil die alte bestehenden Verträge (Fischer-Frankreich) mit Sols gerechnet hatten. 10 Sols mal 1,4 ist gleich 14 Kreuzer.

    Viele Grüsse
    Nils

    Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis grösser als in der Theorie.

  • Danke + absolut richtig, Nils,

    Du hast die "Nuss" bezüglich des Briefes von Mainz nach Lausanne geknackt:

    Frankreich taxierte in die Schweiz in Sols/Sous

    (obwohl seit 1800 in Frankreich als Währung Décimes gültig waren)

  • Beide gezeigten Briefe konnten unfrankiert als Portobrief aufgegeben werden.

    Bis zum französischen Austauschpunkt Biel (Département 66) waren Briefe aus Frankreich
    mit einem Teilfranko wie folgt zu belegen (Tarif von 1759, der auch unter Napoleon gültig war):

    · der einfache Brief: 10 Sols,
    · das Kuvert: 11 Sols,
    · der doppelte Brief: 18 Sols.

    Den Schweizer Transit (Biel – Bern) rechnete Frankreich im Verhältnis 1:1 von Kreuzer in Sols um (2 Kreuzer Transit = 2 Sols), weshalb der Brief von Frankreich aus bereits mit 12 Sols taxiert ist

    Die Berner Fischerpost taxierte hingegen mit einem Umrechnungsfaktor 1 Sol = 1,4 Kreuzer, ergo: 10 Sols = 14 Kreuzer + 2 Kreuzer Schweizer Transit = 16 Kreuzer.

    Hinzu kamen 4 Kreuzer für Bern bis Lausanne + 2 Kreuzer Zustellgebühr für Fischer = 22 Kreuzer,

    sowie 2 Kreuzer Taxe für Lausanne,


    weshalb der Empfänger für die gesamte Strecke in Lausanne 24 Kreuzer zu zahlen hatte.


    Der erste Brief (Neustadt – Basel) ist folglich in seiner Beschreibung ebenfalls zu korrigieren in

    Nicht 5 Décimes, sondern 5 Sols aus Frankreich

    x Umrechnungsfaktor von Basel: 1 Sol = 2 Kreuzer = 5 Sols x 2 = 10 Kreuzer


    Je tiefer man in den Dschungel der Schweizer Tarife einsteigt, so schlauer wird man 8)