Industriegeschichte

  • Eine mit 10 Kop. korrekt frankierte 7 Kop.-Ganzsache mit 3 Kop. Auffrankatur aus dem russischen Cherson von 1910, adressiert an

    Richard Raupach Maschinenfabrik Görlitz

    Die Firma war von dem Namensgeber Richard Raupach 1878 gegründet worden.

    Dabei war er gerade 27 Jahre alt gewesen, sein überliefertes Lebensmotto soll "Wer nichts wagt, gewinnt nicht" gewesen sein. Bis dahin deutete wenig auf eine Unternehmerkarriere hin: 3. Kind eines Zugführers bei der Eisenbahn, schwächelnd und oft krank, beendete er seine schulische Laufbahn mit der Tertia.

    Als Firmensitz bezog er ein Hinterhaus mit 4 Zimmern und einem Pferdestall als freien Raum. Als technische Erstausstattung erwarb er 2 Drehbänke aus der Konkursmasse einer anderen Maschinenfabrik. 2 Jahre später verkaufte er seine ersten Dampfmaschinen. Im selben Jahr lernte er auf einer Messe den Unternehmer und Erfinder August Dannenberg kennen, von dem er für Maschinen für die Ziegelindustrie begeistert wurde. Bereits im Folgejahr 1881 produzierte er seine ersten Maschinen für die Ziegel- und Keramikindustrie.

    Das Unternehmen entwickelte sich sehr erfolgreich. 1884 wurde eines neues Produktionswerk in Görlitz gebaut, 1904 erfolgte die Umwandlung in eine GmbH, Erweiterungen betrafen u.a. 1909 die Eröffnung eines Zweigwerks in Warnsdorf in Böhmen und 1912 der Ausbau einer eigenen Gießerei.

    Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs wurden rund 1.400 Dampfmaschinen produziert.

    1921 stirbt der Firmengründer bei einem Autounfall. Die Firma bleibt im Familienbesitz und die Söhne Walter und Gerhard übernehmen die Geschäftsführung.

    Der 2. Weltkrieg beendet die Firmengeschichte dann abrupt: 1945 werden alle Anlagen in Görlitz demontiert und mit den technischen Unterlagen in die Sowjetunion transportiert. 1946 werden noch einmal kleinere Ziegeleimaschinen hergestellt, aber 1948 wirde der gesamt Firmenbesitz entschädigungslos enteignet und die Firma in den Volkseigenen Betrieb VEB Kema umgewandelt.

    Die Rückseite des Briefes zeigt keine postalischen Vermerke ode rStempel, verrät dafür aber den Absender:

    Die technische Expertise der Firma, insbesondere bei Maschinen für Ziegeleien, hatte sich so weit herumgesprochen, dass auch eine Dampfziegelei aus Cherson sich hierfür interessierte.

    Die Stadt Cherson, mit ihrer Lage in der heutigen Ukraine, ist in diesen Tagen sicherlich jedem bekannt. In diesem Zusammenhang kommt der damaligen Lokalisierung Süd-Russland in dem Absenderstempel eine bedrückende Aussagekraft zu.

    Viele Grüße

    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

  • Lieber Michael,

    Ich habe den Beitrag erst heute, dafür aber mit großem Genuss gelesen. Wunderbar!

    Vielen Dank und beste Grüße von maunzerle

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Liebe Freunde,

    hier ein Brief aus Neustadt b. Magdeburg nach Linden bei Hannover von 1860. Bar frankiert mit 2 Sgr. Brieftaxe (18 Meilen Entfernung) + 2 Sgr. Reco-Gebühr.

    Rückseitig ein Ankunftsstempel von Hannover vom Folgetag.

    Absender ist die Firma Kupfer & Aders Kesselschmiede (Kupfer-, Messing- und Eisenwaren).

    Adressat ist Herr Georg Egerstorff.

    Dieser Georg Egerstorff (1802-1868, geboren & gestorben in Linden), war ein Industrieller. Er übernahm das Geschäft von seinem Vater Johann Egerstorff (1772-1834), einer der ersten modernen Unternehmer im Hannoverschen Raum. Das erste Standbein bildete die Kalkbrennerei sowie eine Ziegelei. Der Sohn Georg gründete eine Saline und 1835 eine Eisen-Giesserey und Maschinenfabrik. Hier wurden Dampfmaschinen, Kessel und ab 1846 auch Lokomotiven gebaut. Dazu gehörte die 1846 ausgelieferte Lok Ernst-August, mit der die Bahnstrecke Hannover-Hildesheim eröffnet wurde.

    Die Giesserei und Maschinenfabrik hatten damals schon einen beachtlichen Umfang erreicht:

    1871 wurden die Salinen, Chemischen Fabriken sowie die Maschinenfabrik und weitere Unternhemen von Egestorff in die Hannoversche Maschinenbau-Aktiengesellschaft vormals Georg Egestorff zu Linden vor Hannover umgewandelt. Später wurde dieses Unternehmen unter dem Kurznamen HANOMAG bekannt.

    Zu dem Inhalt des Briefes: Wie hier im Forum schon oft gezeigt, wurden offene Rechnungen zwischen Firmen oftmals durch Überlassung von Wechseln beglichen. Diese damals übliche Vorgehensweise scheiterte hier, da 2 Wechsel geplatzt waren und von dem Empfänger mit diesem Brief zurückgesandt wurden.

    Herrn Georg Egestorff in Linden
    Magdeburg, den 25. April 1860

    In höfl. Beantwortung Ihres Geehrten
    vom 23. ds. haben wir zwar die Einziehung
    der uns damit gesandten beiden Wechsel
    de Rt. 47 G. - 10 Pfg.
    de Rt. 47 G. - 21 Pfg. auf H. Döbbel
    hier versucht, jedoch ganz vergeblich
    der Bezogene war und ist nicht anzu-
    treffen und nach den eingezogenen
    Erkundigungen auch durchaus un-
    zahlungsfähig, soll auch wegen Schulden schon
    in Personalarrest gewesen sein.Er ist un-
    verheirathet, wohnt bei seiner Mutter und
    hat kein Vermögen; das vorhandene Möb-
    lement gehört jener.

    Protest M.Z. haben deshalb nicht aufnehmen
    lassen, weil die gesetzliche Zeit zur Sicherung
    des Wechselrechts auf Ihren Vornamen schon
    verstrichen ist nur dieser durch das Wech-
    selrecht auf den Acceptanten behält, wie auch
    Sie. Wozu mehr noch gutes Geld hinter bösen
    Forderungen herwerfen.

    Als einen tüchtigen, vielbeschäftigten
    Anwalt können Ihnen den Justizrath Dürre
    hier empfehlen, doch werden Sie nur durch
    Personalanwalt von Döbbel vielleicht et-
    was erreichen.

    Die beiden Wechsel anliegend zu unserer
    Entlasthung zurückreichend, empfehlen uns

    Hochachtend
    Kupfer & Aders

    Wäre schön, wenn jemand die offen gebliebenen Stellen entziffern könnte.

    Viele Grüße
    Michael

    Bildquelle: Wikipedia

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

    3 Mal editiert, zuletzt von Michael (23. September 2024 um 19:03) aus folgendem Grund: Text des Inhalts ergänzt

  • Lieber Michael:

    der Bezogene war und ist nicht anzutreffen

    Wegen Schulden schon in Personalarrest gewesen sein

    Er ist unverheiratet, wohnt bei seiner Mutter

    Protest M. Z. haben deshalb nicht aufnehmen lassen

    auf Ihren Vormann schon verstrichen ist

    nur dieser durch das Wechselrecht auf den Acceptanten

    doch werden Sie nur durch Personal????? Von Döbbel

    viele Grüße
    Erwin W.
    preussen_fan

    3 Mal editiert, zuletzt von preussen_fan (26. Juli 2023 um 23:52)

  • Lieber Erwin,

    danke für die Hilfe, werde den Text oben, zwecks besserer Lesbarkeit, entsprechend ergänzen.
    Bei dem letzten verbliebenen Problem

    doch werden Sie nur durch Personal????? Von Döbbel

    würde ich nach "Personal" einen "anwalt" entziffern.

    Viele Grüße
    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

    Einmal editiert, zuletzt von Michael (23. September 2024 um 19:03)

  • Liebe Freunde,

    hier eine Postkarte vom 1.8.1923 (Ersttag der Portoperiode 15) von A. Ruben in Herford an die Firma Vortisch & Co. in Hausen - Reitbach (Hausen im Wiesental).
    Frankiert mit 10 x 40 M. = 400 M., portogerecht für eine Fernpostkarte innerhalb Deutschlands.

    Der Inhalt illustriert sehr gut die Materialprobleme der damaligen Zeit. Anscheinend war der Lieferant knapp an Waren und wollte weniger als die bestellten 3 Artikel liefern.

    Bei diesem Lieferanten handelt es sich um die Tuchfabrik Vortisch & Comp.
    1896 hatte die Lörracher Unternehmer- und Politikerfamilie Vortisch eine kleine Wollspinnerei mit angeschlossener Weberei in Hausen erworben. Diese baute den Betrieb dann zu einer großen Textilfabrik mit Spinnerei, Weberei und Färberei mit 150 Arbeitern aus.
    Hausen hatte damals 1200 Einwohner und insgesamt 450 Arbeitsplätze in der ansässigen Textilindustrie.

    Die Firma Ruben in Herford wurde 1843 von Abraham Ruben als Herrenkleiderfabrik A. Ruben gegründet. Dort wurden u.a. Anzüge, Sakkos, Mäntel, Hosen, Jagd- und Sportkleidung gefertigt, überwiegend in Heimarbeit. In den 30er Jahren wurden außerdem bis zu 130 Arbeiter an rund 40 Webstühlen beschäftigt. Der Sohn Hermann Ruben erbte die Firma und leitete sie bis zu seinem Tod 1937. Dann übernahm dessen Sohn Hugo die Leitung, musste die Firma aber 1938 auf Druck der Nationalsozialisten Zwangsverkaufen. Ihm selber, seiner Frau und den beiden Kindern gelang, nachdem er sich aus zwischenzeitlicher Haft freikaufte, dann noch 1938/39 die Emigration nach Amerika, wo die Nachfahren heute noch leben.

    Viele Grüße
    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

  • Liebe Freunde,

    hier ein Brief aus dem preußischen Saarbrück(en) an eine Adresse, die meine Neugierde weckte und bei der Beschäftigung damit dann eine kleine, aber interessante Geschichte hervorbrachte.

    Viele Grüße
    Michael

    Mitglied im DASV - Internationale Vereinigung für Postgeschichte

  • Glückwunsch Michael,

    So etwas mag ich sehr, zumal man von den Anfängen heutiger Globalplayern erstaunlich wenig philatelistisch zu sehen bekommt. Teils weil sie unter anderem Namen ihre Ursprünge hatten, teils weil doch vieles im letzten Krieg verloren ging.

    Liebe Grüße von der Pappnase Andreas

    Liebe Grüße von der Pappnase Andreas