Defraudationen Contraventionen Postbetrug

  • Liebe Freunde,


    sicher nicht uninteressant, was man in Bayern alles veröffentlichte, wenn es um die bösen Buben ging.


    Zu den Strafen: 1 Franken war ca. 30 Kreuzer; man kann sich ausrechnen, dass die Kosten eines Strafverfahrens nebst den Beträgen, die hier genannt werden, keinen Pappenstiel darstellten.

  • Liebe Freunde,


    heute darf ich ein ganz besonderes Stück vorstellen - ein Brief vom 8.4.1853 der Firma Scherer & Schad aus Schweigen (heute: Schweigen-Rechtenbach), direkt an der bayer.-französischen Grenze liegend (s. Absenderstempel in blau) mit Postaufgabe in Wissembourg (ein paar Meter entfernt) als Portobrief für 25 Centimes (ca. 7 Kreuzer) ins nahe Strasbourg als Rechnung über Zuckerdosen (abschließbar und nicht abschließbar, weil Zucker damals noch recht teuer war, im Gegensatz zu heute) im Wert von 35 Francs und 70 Centimes.

    Die Frage stellt sich, was der Brief bei der regulären Postaufgabe in Bayern (Schweigen hatte keine eigene Post, man hätte den Brief ca. 7 km nach Bad Bergzabern bringen müssen) gekostet hätte? Die Antwort ist: Sondertarif für die Pfalz in die Departements Bas-Rhin und Moselle nur 6 Kreuzer franko bis 8,75g, hier nur bis 7,5g.

    Der Brief wiegt aber nur 5g, von daher war das Gewicht nicht ausschlaggebend, ebenso wenig der eine Mehrkreuzer, weil durch die nahe Postaufgabe wenig Zeit und Weg vor einem lag, während man in Bad Bergzabern erst nach ca. 1,5 Stunden Fußweg, wenn man fit ist, angekommen wäre - und von dort aus wäre der Brief auch erst nach Wissembourg geschickt worden.

  • weil Zucker damals noch recht teuer war, im Gegensatz zu heute

    Lieber Ralph,

    es wäre für die Gesundheit der Menschen gut, wenn sich die Zuckerpreise nicht geändert hätten. Dann gäbs vielleicht auch heute noch abschließbare Zuckerdosen.

    Davon unabhängig, ein schöner Brief.

    viele Grüße
    Erwin W.
    preussen_fan

  • ...sicherlich ein interessanter Beleg, bei dem die Post wieder mal gezeigt hat, dass sie entweder gepennt hat oder kulant geblieben ist. Ich finde es angesichts der geschilderten Umstände und der Tatsache, doch etwas zu weitgehend von Defraudierung / Postbetrug zu sprechen, da sich der Absender mit seinem Standort auch hier offenkundig geoutet hat. Es ist mir nach wie vor ein Rätsel , warum derartiges, das man nun schon häufiger auch DÖPV-intern gesehen hat offenbar nie interveniert worden ist, zumal man in weitaus weniger sträflichen Dingen weitaus weniger kulant unterweges gewesen ist. Ich habe jedenfalls noch keinen Beleg gesehen, wo derartiges klar erkennbar interveniert daherkommt und das macht einen langsam aber sicher stutzig.


    Schönen Gruß

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Lieber Erwin,


    da bin ich ganz bei dir - aber Süßstoff ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei ...


    Morsche Tim,


    gute Frage - lustigerweise hat ja der Schweigener noch seinen Firmenstampel vorne abgeschlagen, damit auch die trübste Tasse genau sehen konnte, dass der Brief aus Bayern stammte. Hat aber in Frankreich keinen Interessiert - die 25 Centimes blieben ja ungeschmälert bei der französischen Post, während ein 6 Kr. Brief bei halbscheidiger Teilung nur 10 Centimes in die franz. Postkasse gespült hätte.

    Für den Absender ging es schneller, für die franz. Post war es mehr Umsatz und damit Gewinn und der Empfänger kam auch schneller an seine Post - eine win-win-win-Situation.


    Als erkannte Defraudation wäre der Brief zum corpus delicti geworden, über die Polizei und die Staatsanwaltschaft vor Gericht gelandet und, wie auch immer, 10 Jahre später amtlich vernichtet worden (bei Strafsachen war das damals glaube ich die Aufbewahrungsfrist). Daher sind diese Stücke extrem selten, wenn es sie überhaupt heute noch gibt.


    Die, die wir zeigen, sind ja die krummen Hunde, die ohne juristisches Eingreifen geblieben sind. Seien wir froh, überhaupt dergleichen zeigen zu können, da fällt der Verzicht auf die anderen Briefe doch eher leicht ...

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • da bin ich ganz bei dir - aber Süßstoff ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei ...

    Man kann das Süße allmählich reduzieren , Süßstoff braucht es dann nicht, mir sind fertige Süßprodukte mittlerweile viel zu süß

    viele Grüße
    Erwin W.
    preussen_fan

  • Hallo Ralph,

    Als erkannte Defraudation wäre der Brief zum corpus delicti geworden, über die Polizei und die Staatsanwaltschaft vor Gericht gelandet und, wie auch immer, 10 Jahre später amtlich vernichtet worden


    das ist so nicht richtig, in den einschlägigen Quellen steht, dass dererlei Briefe aufgrund des Postgeheimnisses nach Abschluss eines Defraudationsverfahrens dem Absender / Beklagten wieder zurück gegeben werden mussten. Von daher könn(t)en sich solche Belegstücke durchaus im Privatbesitz befinden. Ob Frankreich an der vorliegenden Nummer mehr oder weniger gut verdient hat, ist für mich keine Antwort auf die Feststellung eines evtl. straffähigen Verhaltens. Meine Frage war deswegen auch für die häufiger vorzufindenden Fälle innerhalb des DÖPV gestellt. Die sehe ich nicht beantwortet. Wenn man wie so oft schon bspw. in Mannheim einen Brief nach München schrieb, den selbst über den Rhein nach Ludwigshafen brachte, um das Porto zu verkürzen, dann sollte man dafür strafrechtlich belangt werden können wie ein Schwarzfahrer ?


    Deswegen wurden von den Mannheimer Absendern dann vorn auf den Briefen schön leserlich für die Strafverfolgbarkeit der Firmenstempel mit Ortsangabe abgeschlagen ? Das ist dann etwa so wie in der Bahn sitzen und laut rufen "Hallo ich fahre schwarz". Das ist doch alles nicht mehr haltbar. Ich habe jetzt viele Gerichtsurteile in Defraudationsangelgenheiten recherchiert, es ging im Wesentlichen darum, dass der Postzwang durch versteckte Beförderung von Nachrichten/Sendungen in Drucksachen, Packeten, Postkutschen, Flussschiffen oder von nicht durch die Post selbst bestellten Boten umgangen werden sollte. Nicht aber, dass ein Absender das Porto verkürzt hat, indem er höchstselbst einen Brief mit sich tragend die Beförderungsstrecke/gebühr verkürzt hat.


    Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, aber im Moment tu ich mich sehr schwer, an etwas anderes zu glauben.


    Schönen Gruß

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    Einmal editiert, zuletzt von Pälzer ()

  • Hallo Tim,


    nach dem Postzwang war ja klar, dass verschlossene Briefe nicht ins Ausland geschleppt werden durften, um dort aufgegeben zu werden. Aber wo kein Kläger, da kein Richter.


    Dass man auf vielen Schmuggelbriefen vorne seinen Firmenstempel abgeschlagen hatte, ist eine Tatsache, die heute verwundert und dein Beispiel mit der Bahn ist hervorragend.


    Über die Grüne hierfür kann gerätselt werden (es gibt aber auch Firmenbriefe, die ohne Absenderstempel geschmuggelt wurden, was verständlicher wirkt).


    Die politischen Verhältnisse waren auch nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen - der Ludwigshafener hat sich bestimmt gefreut, ab und zu Mannheimer Briefe zu bekommen, bekam er doch über den Markenabsatz 5% Tantiemen und umgekehrt könnte es auch so gewesen sein. Zu Ulm und Neu-Ulm verhielt es sich auch so und die anderen Drehpunkte waren nach meiner Beobachtung Lindau (Österreich und Schweiz), Hof (Österreich und Preussen) und Aschaffenburg (Taxis).


    Aber umgekehrt wurde ja auch ein Schuh draus; vlt. hat man deswegen scheinbar alles laufen lassen, weil es letztenendes ein Nullsummenspiel gewesen sein könnte.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • nach dem Postzwang war ja klar, dass verschlossene Briefe nicht ins Ausland geschleppt werden durften, um dort aufgegeben zu werden. Aber wo kein Kläger, da kein Richter.

    Hallo Ralph,


    was war da vom Postzwang her klar ? Was soll da "geschmuggelt" dran sein, wenn auch in Deinem Fall der Absender mit seinem Absendort für jeden Postler voll ersichtlich war ? Ob da einer im DÖPV über den Rhein oder bei Schweigen über die Lauter nach Wissembourg eine Grenze selbst überschritten und seine Sendung andernorts als wie im Absendevermerk selbst abgegeben hat, um das Porto zu verkürzen: Nach meinem Verständnis ist da zwar was schlaues, aber nichts illegales dran.


    Wenn das illegal gewesen wäre, dann wäre das auch nicht wie Du es darstelltst ein einseitiges Problem gewesen, dass die eine Postverwaltung faktisch gar nichts davon mitbekommt (hier Bayern) und die andere (hier Frankreich) es nicht interessiert, weil sie einen Vorteil davonträgt. Denn ganz einfach: Die andere hätte umgekehrt genauso die nach Deiner Theorie Geschädigte sein können, wenn man sich Verstöße nicht gegenseitig gemeldet hätte. Also hätte aus gerade den von Dir benannten politischen Gründen darauf reagiert werden müssen.


    Das auch und erst recht in einem Postverein, nach dessen Art.3 die gegenseitigen Rechts- und Besitzverhältnisse der beteiligten Postverwaltungen in Ausübung ihres Postregals in keiner Weise berührt oder in Frage gestellt werden durften. Da das aber so dermaßen unverblümt im Auslandsverkehr wie innerhalb des DÖPV passiert ist, sind das höchstwahrscheinlich aber gar keine strafbewährbaren Fälle gewesen, welche dazu geeignet waren, die Rechte einer Postverwaltung zu berühren.


    Die Defraudation beginnt nach dem Postgesetz erst ab dem Moment, wo sich der Absender der Sendung entledigt und nachweislich jemanden anderem als die Post zu Weiterbeförderung abgegeben hat, um damit Laufweg/Porto zu verkürzen oder sich das Porto gar ganz zu ersparen. Wirft man den Brief aber nach dem Grenzübertritt höchstselbst in den Kasten, dann ist da nichts dran "geschmuggelt", sondern (noch) piepwurschtegal, wo man ihn zuvor geschrieben hat. Das ist mittlerweile mein Verständnis der Dinge und wie gesagt, lasse mich jederzeit gerne eines anderen belehren.


    Schöne Abend

    Tim

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  • Lieber Ralph,


    interessante Sache...gibt es da eine Verordnung, daß man seine Briefe nur vom Wohnsitz versenden durfte?

    nach dem Postzwang war ja klar, dass verschlossene Briefe nicht ins Ausland geschleppt werden durften, um dort aufgegeben zu werden


    Da bin ich auch eher bei Tim, das ist für mich schwer vorstellbar.


    LG

    Christian

  • Liebe Freunde,


    ich suche und suche, finde aber im Netz nichts. Den Postzwang gab es natürlich und das für praktisch alle Staaten/Postgebiete.


    Im selben Ort war nicht nötig, aber sicher im selben Land. Leider bin ich auf nichts gestoßen von Bayern, aber bessere Googler als ich (99,9999% der Weltbevölkerung) finden sicher etwas auch im Netz.

    Liebe Grüsse vom Ralph



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  • Lieber Christian,


    wenn ich als Münchener in Salzburg bin und schreibe dort einen Brief an einen Freund in Wien, versiegle ich den Brief in Salzburg, gehe auf die dortige Post und kaufe eine 9x CM Marke dafür. Das war natürlich kein Postbetrug.

    Wenn ich aber in München wohne und schreibe 10 gesiegelte Briefe pro Woche an Wiener Firmen, mit denen ich eng verbandelt bin, schicke diese aber von mir gesiegelt in einem Paketchen nach Wien, von wo aus sie ein Dritter in meinem Auftrag als Ortsbriefe aufgibt, ist das sehrwohl Betrug.


    Die Post in München war ja Teil einer bayer. Staatspost und der Staat brauchte Einnahmen, um die Leistungen für seine Kunden zu erbringen, die er versprochen hatte. Das war mit Kosten verbunden, die immer schmäler ausgefallen wären, wenn die Kunden auf diese Weise ihre Briefe verschickt hätten.

    Liebe Grüsse vom Ralph



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  • Hallo Ralph,


    Wenn ich aber in München wohne und schreibe 10 gesiegelte Briefe pro Woche an Wiener Firmen, mit denen ich eng verbandelt bin, schicke diese aber von mir gesiegelt in einem Paketchen nach Wien, von wo aus sie ein Dritter in meinem Auftrag als Ortsbriefe aufgibt, ist das sehrwohl Betrug.


    ...das steht ja auch völlig außer Frage, das ist selbstverständlich ein glatter Mißbrauch des Postmonopols, das habe ich ja bereits weiter oben geschrieben:

    Ich habe jetzt viele Gerichtsurteile in Defraudationsangelgenheiten recherchiert, es ging im Wesentlichen darum, dass der Postzwang durch versteckte Beförderung von Nachrichten/Sendungen in Drucksachen, Packeten, Postkutschen, Flussschiffen oder von nicht durch die Post selbst bestellten Boten umgangen werden sollte.


    Hier ist es aber anders gelagert, dem Absender nichts dergleichen nachzuweisen. Das ist der Unterschied.


    Schönen Gruß

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • ... schon klar, wollte nur Christian ein praktisches Beispiel liefern.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Das Postregal schützt den jeweiligen Staat davor, (1) mit privaten gewerblichen oder staatlichen Drittanbietern (2) auf dem eigenen Staatsgebiet in Konkurrenz zu treten. An beiden Voraussetzungen fehlt es aber in unserem Fall, so dass das bayerische Postregal nicht verletzt wird.


    Bei der Übermittlung von Sendungen persönlich oder mittels eigener Boten (z. B. ins benachbarte Frankreich oder Österreich) fehlt bereits die Einbeziehung eines gewerblich handelnden Dritten. Deshalb ist eine solche Übermittlung auch ausdrücklich in der anfangs dieses Thread genannten Verordnung von 1855 vom Postzwang unabhängig von einem etwaigen Grenzübertritt ausgenommen - und kann insoweit keine Verletzung des eigenen Postregals darstellen.


    Auch die Entgegennahme von Post auf dem eigenen (französischen) Staatsgebiet durch möglicherweise staatsfremde Dritte (aus Bayern) stellt keine Verletzung des Postregals eines Drittstaats (hier: Bayern) dar. Denn dieses Postregal schützt den Drittstaat nur vor einer Konkurrenzsituation auf dem eigenen Staatsgebiet, wenn etwa die französische Post ein Auslandspostamt in der Pfalz hätte einrichten wollen. Deshalb endet das bayerische Postregal an der eigenen Grenze und vermag daher aufgrund fehlender Gesetzgebungshoheit nicht zu verhindern, dass ein benachbarter Staat wie Frankreich konkurrenzzierende Aufgabebedingungen vorhält.


    Einziger Ausweg wäre gewesen, in den deutsch-französischen Postverträgen ein wechselseitiges Verbot der Entgegennahme ausländischer, grenzüberschreitender Post flankiert mit einer Prüfungspflicht bezüglich der Aufgabeumstände zu vereinbaren. Nach meiner Kenntnis hat es ein solches durch Staatsvertrag festgelegtes Aufgabe- und Entgegennahmeverbot für persönlich oder durch eigenen Boten zur Post gebrachte Sendungen nicht gegeben, so dass in diesen Fällen auch von einem grenzüberschreitenden Postschmuggel keine Rede sein kann. Den besonderen Umständen des grenznahen Postverkehrs wurde insoweit lediglich durch bestimmte Sondertarife Rechnung getragen, ohne aber ergänzende Verbote zu vereinbaren.


    Wie immer lasse ich mich gern eines besseren belehren. Aktuell scheint mir die rechtliche bzw. staatsvertragliche Ausgangslage aber einigermaßen eindeutig zu sein. ;)

  • # 2


    Liebe Freunde,


    heute kann ich einen Komplementär-Brief zeigen vom 16.06.1863 desselben Absenders an Nestor Albert nach Le Havre. Zwischenzeitlich ist die Firma Jean Philippe Scherer (1853 noch Scherer & Schad) vom pfälzischen Schweigen ins elsässische Wissembourg umgezogen, mit Änderung von Briefkopf und Absenderstempel natürlich, was man hier perfekt sehen kann.

    Leider habe ich keine Details zu dieser Firma aus dem Netz bekommen.