• Hallo Tim, hallo Dieter,

    zur Laufzeit bzw. erhoffter Unterlagen dazu.
    Ich glaube kaum, dass es irgendwelche Regularien gab, die festgelegt haben, wie lange die Zensur von gegnerischer Post (NICHT ! Diplomatenpost) dauern darf. Ich glaube vielmehr, dass dies abhängig vom Postaufkommen war und mit fortschreitendem Kriegsverlauf auch durch Willkür geregelt wurde.

    Neutrale Schiffe wurden im Rahmen der Seeblokade i.d.R. vor Ort nach den Vorgaben der jeweiligen Prisenordnung kontrolliert (Ladung, Post, Passagiere etc.) und i.d.R. danach wieder entlassen. Post des Kriegsgegners wurde dabei i.d.R. beschlagnahmt und "zu Hause" in Ruhe geprüft und festgehalten oder weitergeleitet. Neutrale Schiffe wurden in den seltensten Fällen zur näheren Überprüfung in einen Hafen eskortiert - nur bei begründetem Verdacht auf Blokadebruch/Neutralitätsverletzung.

    Vom ganz normalen Prozedere mal abgesehen: Bis mal ein Schiff von Holland abgeht, welches die Post mitnimmt - dann kommt auch noch der böse Engländer und schnappt sich die Post - diese hat der Engländer dann auch nicht sofort an Bord bearbeitet sondern möglicherweise auch erst mit Wochen Verzögerung auf die Insel zur Zensur weitergeleitet - bis man den nächstenNeutralen wieder gefunden hat, der die Post nach USA weiterbefördert und, und, und...plötzlich braucht dann so ein Brief fast 3 Monate bis er den Empfänger erreicht.

    Beste Grüße

    Schorsch Kemser

    https://www.postgeschichte-kemser.com/

  • Hallo Schorsch,

    es mag zwar nahe liegen, dass es bei den 20-25% Überseetransporten der Neutralen, die während der Seeblockade von den Briten kontrolliert worden sind keinerlei Vollzugsregularien gegeben hat. Den mir vorliegenden Unterlagen zu Folge kann man diesbezügliche Willkür - wie schon zuvor erwähnt - aber nur für die Anfangsphase des Krieges, später nicht mehr (so einfach) unterstellen. Ich habe mir das jetzt nochmal genauer angeschaut:

    Die Briten haben sich für die im Zuge ihrer Überseepost-Zensur verusachten "delays" bei den Amerikanern mehrfach erklären müssen (Außen- und Postministerium). Sie haben sich dafür z.T. auch entschuldigt. Die Amerikaner haben dann aber immer wieder Verstöße geltend gemacht. Um sich dafür zu rechtfertigen haben die Briten gegen Mitte 1916 chronologisch dokumentiert, dass der Zensurprozess in London nicht mit - bewußten - Verzögerungen, sondern routiniert durchgeführt worden ist.

    Sie haben den Amerikanern dann sogar genaustens den Umfang der von den Schiffen beschlagnahmten Postsäcke und des für deren (zügige) Zensur eingesetzten Personals vermeldet. Wenn Du Zeit hast, dann kannst das in dem supplement anbei im Wesentlichen auf den Seiten 615ff. recht gut nachvollziehen. Sehr spannend !

    United States Department of State / Papers relating to the foreign relations of the United States, 1916. Supplement, The World War (1916)

    https://search.library.wisc.edu/digital/AAE4QO…JVKVNVOIVMMID8V

    Die o.g. Seite trifft man gleich, wenn man oben bei "page" das drop-down Menue mit der rechts eingetragenen Seitenzahl ansteuert.

    + Gruß

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo Tim,

    interessante Quelle und Hut ab, wenn sich jemand die Arbeit macht, solche Belege schon fast minutiös zu verfolgen, aber wenn ich es richtig verstehe, so basiert die Erklärung der Briten (und die angegebenen Durchlaufzeiten) lediglich auf den Erfahrungswerten eines bestimmten Zeitfensters (April/Mai 1916).
    D.h. - die Zeitansätze können aufgrund unterschiedlichster Einflüsse 4 Wochen später schon wieder ganz anders ausgesehen haben.
    Darüber hinaus wird ja nur der Teil des Beförderungszeitraumes betrachtet, in welchem sich die Post in britischen Händen befand. Was ist davor - was ist danach passiert?

    Beste Grüße

    Schorsch

    https://www.postgeschichte-kemser.com/

  • Hallo Schorsch,

    man kann dieses Zwischen-statement m.E. nicht so eingrenzen, dass es danach keine Gültigkeit mehr gehabt haben sollte, allein schon deswegen, dass man dafür in GB wie in dem supplement steht 800 - 1.000 Leute für die Zensur am Start hatte.

    Wenn man es von Anfang an liest, dann haben sich wegen der anfänglich z.T. willkürlich-vernichtenden / -beschlagnahmenden Handlungsweise der Briten massive internationale Spannungen aufgebaut. Die USA sahen darin einen glatten Verstoß gegen den UPU-Vertrag und die Londoner Seerechtsdeklaration von 1909. Die Briten führten als Berechtigung der Aufbringung neutraler Schiffe an, dass über damit beförderte Post verdeckt Kriegspropaganda und finanzielle Unterstützung des Feindes abgewickelt wurde. Bei dem von Dir gezeigten Einschreiben war gerade für letzteres Alarmstufe I, deswegen fand ich den Beleg auch so gut. Beweise von GB-Seite gab es zwar genug. Auf Dauer war eine deswegen willkürliche (Zensur-)Behandlung der Überseepost aber nicht haltbar.

    Man muss sich dazu auch vergegenwärtigen, dass GB, dabei u.a. auch der Erste Seelord Winston Churchill, immer noch darauf hofften, dass die USA in den Krieg eintreten, so dass man einen derart potenten Alliierten wegen dem Thema mit Sicherheit nicht vergraulen wolle. Aber auch die Neutralen auf der anderen Seite, wie Belgien, Holland, und die skandinavischen Länder begannen sich bei den Briten zu beschweren, insbesondere, da ihre Reedereien für die zusätzlichen Liegezeiten hohe Kosten tragen mussten und Ware drohte zu verderben ...dass sie mit kriegsbedingt erhöhten Frachtkosten ein prima Geschäft gemacht haben, steht natürlich auf einem anderen Blatt...

    Bei dem vor GB / nach GB gebe ich Dir vollkommen Recht, da gab es noch ganz andere Gründe für Verzögerungen, die an den Briefen nicht (direkt) ablesbar sind. So kam es zwischen den USA und Reedereien der Neutralen offenbar zu Spannungen, wer was für wen wohin auf der Rückfahrt von den USA prioritär befördern sollte / musste und dafür auch die nötige Kohle in den Häfen erhalten konnte. Ich muss das aber noch alles genauer auswerten und würde dann mal so eine Art Verzögerungs-Potenzialliste erstellen. Mehr kann man dann wohl auch nicht tun, es sei denn, man findet mal einen Brief mit Inhalt, der die Probleme direkt beschreibt. Vor alledem ist ein Zensurbeleg ohne datierbaren Ankunftsabschlag nett, aber von eher geringerer Aussagekraft. Darum ging`s mir im Wesentlichen.

    Greetz !

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    5 Mal editiert, zuletzt von Pälzer (15. April 2021 um 19:30)

  • Hallo in die Runde,

    nachfolgend möchte ich einen Neuzugang zeigen - und ja ich weiß: Schönheit definiert sich anders...

    Trotzdem ein nicht alltäglicher Beleg:
    10 Pfg. Wappen auf einer Ansichtskarte von Mailand (!), geschrieben in Würzburg, vom 27. Juli 1906 nach Desterro in Brasilien.
    Der Taxstempel "T" kam offenbar noch in Würzburg drauf (vermutlich hat sich der Postler daran gestört, dass der Mitteilungstext in den Anschriftenbereich hineingeschrieben war) und es wurden 12 1/2 C. (entsprach 10 Pfg.) nachgefordert. Die Karte wurde also als Brief der 1. Gewichtsstufe angesehen - jedoch wurde kein Strafzuschlag eingefordert.
    Die 12 1/2 C. wurden in Brasilien in 200 Reis umgerechnet und mit 2x100 R. Portomarken verklebt.

    Wie gesagt - keine "Schönheit", aber eine der wenigen Übersee-Destinationen die ich habe, bei denen das Nachporto mit Marken verklebt wurde. (also von USA mal abgesehen, die es ja - fast - an jeder Ecke gibt)

    Ach ja - die Karte kam in Brasilien am 26. August 1906 an - Laufzeit also fast genau ein Monat.

    Beste Grüße
    Schorsch Kemser
    https://www.postgeschichte-kemser.com/

  • Liebe Freunde,

    die nächsten 2 Wochen bleibt hier die Küche kalt, aber den wollte ich unbedingt haben, auch wenn es nicht mehr ganz meine (Kreuzer-)Zeit ist: Schwabach 7.10.1889 mit 20 Pfg. korrekt für einen einfachen Auslandsbrief frankiertes Trauerkuvert an die Kaiserin von Brasilien in Rio de Janeiro "via Bordeaux - France".

    Vorn erfreut uns ein Abschlag von Folgetag aus Avricourt, hinten folgen Paris Etranger, links ein unbekannter Stempel und der Ankunftsstempel von Rio de Janeiro, dazu mit 2a ein Stempel, den ich nicht deuten kann.

    Das Kuvert wurde wohl von einem Mitglied des Adels geschrieben - aber trotzdem frankiert, weil die Portofreiheit hier wohl nicht griff (und auch die der Kaiserin in Brasilien als Empfängerin). Wäre interessant zu wissen, wie dergleichen Briefe zu behandeln waren, also von bayer. König zu bras. Kaiserin portofrei?

    Empfängerin war Teresa Maria Cristina di Borbone (14.3.1822 Neapel, gestorben am 28.12.1889 in Porto in Portugal). Ihr Gatte war Pedro II, der jedoch am 15.11.1889 weggeputscht wurde, so dass der Brief nur wenige Wochen vor diesem Putsch nach Rio gelangt war und sicher der letzte ist, der an eine amtierende brasilianische Kaiserin gehen konnte (Ankunft 31.10.1889 in Rio).

  • Lieber Franz,

    vielen Dank - ich fürchte aber, dass weitere Briefe dieser Liga ein "Träumchen" bleiben müssen ... ;)

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.