Karl Winkler: Handbuch der bayerischen Poststempel

  • Karl Winkler (unter Mitarbeit von Rolf Böes, Dr. Georg Hopf und Franz Pfenninger)

    Handbuch der bayerischen Poststempel

    Nürnberg: Karl Ulrich & Co., 1951
    383 Seiten, mit zwei faltbaren Stempeltafeln und acht Verortungskarten der bayerischen Regierungsbezirke
    Format 12,0 x 19,2 cm (Broschur), 12,3 x 19,5 (gebundene Ausgabe)
    nur noch antiquarisch zu beziehen

    Das Erste, das einem bei diesem Buch auffällt: Es ist klein, irgendwo zwischen DIN A5 und A6 angesiedelt. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Handbuch, passend gemacht für die Manteltasche, praktisch bei Philatelistentreffen, Tauschtagen und Auktionen. Die Aufmachung ist bescheiden und täuscht ein wenig darüber hinweg, wie viel Wissen tatsächlich darin steckt. Wer das Buch aufschlägt, hat fast 400 eng in Petitschrift (oder noch kleiner) bedruckte Seiten vor sich. Und es lohnt sich, sie aufmerksam zu studieren, selbst wenn mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Erscheinen verflossen sind.

    Auch wenn der Titel vor allem ein Buch über bayerische Poststempel erwarten lässt, ist es doch viel mehr als das. Es ist ein Nachschlagewerk, das viele Aspekte der Postgeschichte des Königreichs Bayern abdeckt, von der Taxis- bis in die Pfennigzeit. Seine überschaubare Gliederung erschließt dem Leser Fakten, die über das gewählte Thema hinausgehen.

    Eine Einführung vermittelt den damaligen Erkenntnisstand über die Typen der Brief-, Fahr-, und Bahnpost- sowie Güterexpeditionsstempel in Bayern, geht auf Einschreibe- und Nebenstempel sowie Grenzübergangs- und Auslagenstempel ein, wobei Sondertypen starke Beachtung finden. Auch Posteinrichtungen im kleinen Maßstab (Postablagen, Landbriefträger) und Nebengebiete wie Aushilfs-, Feldpost- oder Cholerastempel werden behandelt.

    Allein das sich an diese Einführung anschließende, alphabetisch gegliederte Ortsverzeichnis umfasst mit 270 Seiten zwei Drittel des Umfangs. In gedrängter Form erfährt der Leser, ob ein Ort vor der Markenzeit eine Postanstalt besaß, in welchem Regierungsbezirk er liegt, ob er in erster und/oder zweiter Verteilung einen Mühlradstempel führte, ob dieser geschlossen oder offen war. Ferner erhält er einen auf wenige Zeilen kondensierten Überblick über die Postgeschichte, darüber, welche Stempeltypen geführt wurden, wie lange und wie man sie bewerten kann. Ein Anhang führt die Mühlradstempel nach Nummern auf, ein weiterer die Postablagen, je einer die Fingerhutstempel, die kleinen Einkreiser in Groteskschrift, die Zierstempel, vorübergehend bayerische Postorte in Österreich und Württemberg und zu guter Letzt gibt es ein Suchregister für Ortsnamen mit früher abweichender Schreibweise. Alles in allem: ein rundum durchdachtes Werk!

    Natürlich wird man Eigenheiten wie die Bewertungen auf Basis von „25 Goldpfennigen je Bewertungspunkt“ heute als überholt betrachten. Natürlich hat das Buch Lücken. Natürlich hat die Forschung seither das philatelistische Wissen um viele neue Fakten enorm bereichert. Natürlich liegt der Schwerpunkt des Buchs eher auf der Kreuzerzeit, mit Ausläufern bis 1880. Natürlich sind lediglich ausgewählte Stempel abgebildet (immerhin zählt das Buch knapp 270 Abbildungen!). Aber diese Kritikpunkte verblassen, wenn man sich vor Augen hält, welche Mittel damals zur Verfügung standen, nur wenige Jahre nach einem verheerenden Krieg. Allein die Anfertigung der (teuren!) Bildklischees und der nicht einfache Bleisatz nötigen einem Leser von heute – im Zeitalter von Internet und eBook – noch Respekt ab. Mit den damaligen Möglichkeiten der Kommunikationstechnik ein Projekt dieser Größenordnung auf die Beine zu stellen und seine Fertigstellung zu koordinieren, muss eine Sisyphusaufgabe gewesen sein.

    Man bedenke vor allem, wie verstreut die Informationen vorlagen. Zwar gab es sehr hilfreiche Veröffentlichungen wie die von Adolf Chelius („Der Specialsammler von Bayern nach Abstempelungen“, 1900), Johann Wilhelm Stündt („Verzeichnis der Mühlradstempel nach Orten und Nummern“, 1917) sowie Erich Stenger und Ludwig Sauter („Die Postablagen-, Landpostboten- und Posthilfstellen-Stempel von Bayern“, 1915). Viele Sammler interessierten sich vor allem für die Marken, weniger für den Stempel, und wenn doch, dann vor allem, wenn dieser sich werterhöhend auswirkte. Nur knapp fiel das Kapitel über Entwertungen in Überblickswerken wie dem von Carl Beck aus („Die bayerischen Kreuzer-Marken der Ausgaben 1849 bis 1875“, 1920), und Ewald Müller-Mark stellte seit Mitte der 1930er-Jahre vor allem fremdes Wissen zusammen, wenn auch seine Reihe „Alt-Deutschland unter der Lupe“ über viele Auflagen hinweg das Wissen der Bayernsammler zum Thema Entwertungen bestimmen sollte. Zu diesen Grundlagenwerken, die für viele Philatelisten oft nur über Bibliotheken zu erhalten waren, kamen noch vereinzelte Aufsätze in Zeitschriften; nur wenige erreichten die Qualität der ersten systematischen Aufarbeitung bayerischer Stempeltypen von Johann Brunner („Die Postaufgabe- und Ankunftsstempel“). Letztere erschien 1939 im „Archiv für Postgeschichte in Bayern“, das eine Art „Zentralorgan“ der bayerischen Postgeschichtsforschung darstellte, aber den Schwerpunkt eher auf Postrouten, ortsgeschichtliche Arbeiten, Herausgabe von Quellen und Personenforschung legte.

    Jenseits dieses Kreises um Johann Brunner, Hugo Schröder und andere ist wenig über den organisatorischen Zusammenhalt und den Wissensaustausch zwischen Bayernsammlern in den Jahren bis 1950 bekannt. Persönliche Kontakte dürften eine wichtige Rolle gespielt haben. Namen wie Jakob Sessler in Nürnberg, der eine bedeutende Sammlung mit Referenzcharakter besaß, oder Erich Stenger, der nicht nur mit seinem zu Recht legendären Beitrag zum Kohl-Handbuch Bedeutendes leistete, sind auch heute noch bekannt. Interessanterweise war es ein Wiener, Alfred Skorzeny, der den Anstoß zu einer engeren Zusammenarbeit jüngerer Sammler gegeben haben dürfte, aus welcher der Bearbeiterkreis des Handbuchs hervorging. Mitten im Zweiten Weltkrieg, 1942, verschickte er einen hektografierten Aufruf an einen Kreis ihm bekannter Sammler, dem dann 1944 13 weitere Ausgaben seiner auf billigem Papier vervielfältigten und per Post versandten „Mitteilungen für Bayern-Sammler“ folgten. Zum Kreis der Korrespondenten gehörten Eduard Peschl, Rolf Böes, Dr. Georg Hopf, Franz Pfenninger und Karl Winkler.

    Heinrich Dörfler, selbst kein Leichtgewicht in der Bayern-Philatelie, lobte Winklers Arbeit in einer Rezension im bereits zitierten „Archiv für Postgeschichte in Bayern“ (Heft 1/1952, S. 17f.): „Alle Einzelergebnisse sind von ihm selbst erarbeitet und können mit Briefen, losen Marken oder Marken auf Briefen belegt werden. Winkler hat nicht nur die ganze Literatur über die bayerischen Abstempelungen kritisch durchgearbeitet, er hat nicht nur fast alle größeren Bayern-Spezialsammlungen an Ort und Stelle besichtigt und untersucht, sondern er hat auch das Post-Archiv in München und das bayerische Post-Museum in Nürnberg besucht und die einschlägigen Archivalien ausgewertet. Wer das Entstehen des Handbuches miterlebte, weiß, welche unermüdliche Kleinarbeit geleistet wurde, wie kritisch und sorgfältig Winkler alles bereits vorliegende prüfte und mit welcher Beharrlichkeit er dann die eigenen Erkenntnisse und die seiner Mitarbeiter zu einem geschlossenen Ganzen zusammenfügte.“ Diese hohe Meinung teilten auch andere: Noch 1951 wurde dem Handbuch der Sieger-Preis für philatelistische Literatur verliehen.

    Karl Winkler selbst schrieb im September 1951 im Rundbrief Nr. 1 der Arbeitsgemeinschaft I/6 Bayern im BDPh, er hätte sechs Jahre intensiv am Handbuch gearbeitet – womit er auch den Mitgliedern gegenüber um Verständnis für das lange Stillhalten der ArGe warb. Aus deren Leitung zog er sich 1954 zurück, zumal er mit der Führung des Münchener Briefmarken Clubs (1953–1960 und noch einmal 1966–1969) gut ausgelastet war. Abgesehen von zwei längeren Beiträgen in dem Bändchen „München – Postgeschichte und Poststempel“ (1973) ist er nicht mehr mit größeren schriftlichen Arbeiten hervorgetreten.
    Karl Winkler starb 1987 im 82. Lebensjahr.

    Viele Grüße aus Erding!

    Achter Kontich wonen er ook mensen!

    2 Mal editiert, zuletzt von Erdinger (22. April 2013 um 23:38)

  • Hallo zusammen,

    hallo Erdinger,

    für die wunderbare Abhandlung über eines der Grundwerke, die jeder Bayernsammler unbedingt gelesen haben sollte und zur Bearbeitung seiner Belege braucht, danke ich Dir. Ich habe Deine Ausführungen nicht nur mit Freude gelesen, sondern auch ausgedruckt, um sie später noch einmal in Ruhe nachlesen zu können.

    Das Handbuch war durch glückliche Führung eines älteren Sammlers eines meiner ersten Bayernbücher. "Bub, lies erst einmal, bevor Du was kaufst". Der Bub war zwar schon 28, aber der Rat war goldrichtig. Ich war damals ein "richtiger Philatelist", denn ich hatte Bund komplett und wollte nun auf Bayern umsteigen. Eine weise Entscheidung.

    Nochmals vielen Dank und Grüße aus Frankfurt
    hasselbert