• Nachfolgenden Zensurbrief möchte ich zeigen, der mir in der Behandlung Rätsel aufgibt:

    Zunächst völlig normal ein Brief von Bern am 5.10. 18 nach Landshut in Bayern versandt.
    Dass er dabei über die Überwachungsstelle München lief, ist auch normal.

    Was jedoch nun auffällt, ist die Streichung sowohl des Ortes "München" als auch des Wortes "Überwachungsoffizier" auf dem Verschlusszettel. Eine nachträgliche Streichung kann ich mir nicht vorstellen, da insbesondere bei der Ortsangabe "München" die Streichung um die Briefkante geht.
    Auch ein Übergangsprovisorium von der "militärischen" zur "zivilen" (Devisen)-Überwachung kann ich mir nicht vorstellen, da letztere erst am 15.11.1918 in Kraft trat. (Reichsgesetzblatt Nr. 159)

    Kann mir jemand von den Zensurspezialisten weiterhelfen?
    Vielen Dank schon mal im Voraus.

    Beste Grüße
    Postgeschichte-Kemser

  • Sehr fein beobachtet! Ich habe das auch erst nach dem Erwerb eines Postens von einigen Dutzend Belegen aus der Schweiz nach Nürnberg erkannt. Der Zeitraum erstreckt sich vom 23.09.1918 bis zum 15.10.1918, wobei auch Daten früher und später vorkommen können. Danach sind nur noch Verschlußzettel ohne die zuvor gestrichenen Angaben bekannt. Diese Verschlußzettel wurden auch noch in der Zeit der Devisenkontrolle verwendet.

  • wuerttemberger

    Vielen Dank für die Erläuterungen.
    Aber diese Streichungen machen m.E. doch nur dann Sinn, wenn die Verschlusszettel z.B. in anderen Orten verwendet wurden - quasi "aushilfsweise", weil die eigenen Zettel ausgegangen waren.
    Und wie gesagt - Aushilfen für eine "Devisenkontrolle" können sie ja auch noch nicht sein, weil diese zu dem Zeitpunkt noch nicht eingesetzt hatte. Das Fragezeichen bleibt also...

    Beste Grüße
    Postgeschichte-Kemser

  • Postgeschichte Kemser

    Die Zensur wurde 1918 intensiviert, vor allem die chemische Zensur, aber die Zensurkennzeichnungen wurden meistens sparsamer angebracht. In diesem Fall liegt es zeitlich sehr nahe bei der Übergangszeit zur Devisenkontolle, aber da waren die Zettel auch nicht lange im Gebrauch, weil es keine militärische Kontrolle mehr war. Diesen Zettel habe ich bis 13.01.1919 belegt. Die "Militärzettel" wurden bei der Devisenkontrolle recht schnell durch andere Verschlußzettel ersetzt.

  • Ich verstehe Dich hinsichtlich der Devisenkontrolle, aber mein Beleg ist ja weit VOR dem Beginn der Devisenkontrolle.
    Mein Beleg ist vom 5. Oktober 18, also fast 6 Wochen VOR dem Termin 15.11. - die Streichungen können also mit einer Weiterverwendung durch die Devisenkontrolle nichts gar nichts zu tun haben.

    Es gab ja im Bodensee-Bereich noch eine weitere bayerische Zensurstelle, nämlich Lindau. Kann es sein, dass in Lindau Verschlusszettel von München "aufgebraucht" bzw. aushilfsweise verwendet wurden? In Betracht käme vielleicht auch noch Augsburg?

  • Ich habe mich mißverständlich ausgedrückt. Eine Fremdverwendung ist bei allen Belegen ausgeschlossen, da die Nummernstempel eindeutig München zuzuordnen sind. Lindau würde man an der Zensornummer erkennen.

    Die Angaben auf dem Verschlußzettel wurden gegen Ende des Krieges abgespeckt und auf die Angabe des Ortes und des Überwachungsoffiziers verzichtet. Die Zensornummern auf dem Brief wurden beibehalten. Bei den noch vorhandenen Zetteln wurde also nur die Angaben gestrichen und bei der folgenden Neuauflage ganz weggelassen. Diese Neuauflage wurde auch noch in der Zeit der Devisenkontrolle aufgebraucht, obwohl dies keine militärische Kontrolle mehr war.

  • Da ich gerade über Zensornummern berichtet habe möchte ich noch Folgendes ergänzen. Im Riemer steht auf Seite 177 hinter der Prüfungsstelle für München folgender Absatz:

    Davon abgesehen, dass dieser Absatz bei der Überwachungsstelle sachlich richtig wäre, bin ich leicht verunsichert was ich davon halten soll.

    Ich habe jetzt über 100 Belege mit diesen Stempeln belegt. Manche tragen auch 2 Zensorstempel. Die frühen Stempel sind mit einem quadratischen Rahmen versehen und die späteren haben gar keine Einfassung, aber ich habe noch nie eine Zensornummer im Kreis gesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das K.-H. Riemer selber geschrieben hat. Er hat sicher Dutzende Belege von München vorliegen gehabt, denn sonst hätte er die Verschlußzettel nicht so ausführlich behandeln können. Diese Rundstempel erinnern an Briefträgerstempel von Belgien. Von Nürnberg gibt es auch solche runden Briefträgerstempel in der Größe.

  • .....

    Die Angaben auf dem Verschlußzettel wurden gegen Ende des Krieges abgespeckt und auf die Angabe des Ortes und des Überwachungsoffiziers verzichtet. Die Zensornummern auf dem Brief wurden beibehalten. Bei den noch vorhandenen Zetteln wurde also nur die Angaben gestrichen und bei der folgenden Neuauflage ganz weggelassen. Diese Neuauflage wurde auch noch in der Zeit der Devisenkontrolle aufgebraucht, obwohl dies keine militärische Kontrolle mehr war.

    Vielen Dank für die ergänzende Info. Jetzt erschließt sich mir der Sinn der Streichungen.
    Besten Dank nochmals. :):thumbup:

  • @Tim - der Humpen wäre mir in diesem Falle jetzt fast lieber wie der Brief... 8)

    ...klar, auf Deinem Heimatgeschichtn-video von dahoam wimmelts ja von sowasigem, hast jetzt auch schon solche von den Preußen im Visier ? ^^

    ...und bevor die Rechtsrheinischen hier drohen Überhand zu gewinnen, anbei eine ebenfalls bemerkenswerte Zensurkarte vom Tag des Kriegsausbruchs. Es ist ein ganz einfacher Anlass, das unterzeichnende "kl. Weib" aus Kaiserslautern hofft auf baldige Rückkehr ihres gerade bei der Reichsbahn in Bollingen (Boulange) / Lothringen beschäftigten Ehemanns. Man kann sich fast schon denken warum. Das Örtchen Boulange liegt an Bahnstrecke Fontoy - Esch-sur-Alzette. Sie ermöglichte eine Verbindung zwischen Diedenhofen mit dem südwestlichen Teil von Luxembourg und verlief dabei nahe und parallel zur von 1871 bis 1918 hier bestehenden Grenze zwischen Frankreich und Deutschland. Damals auf der deutschen Seite.

    Auch wenn die Kriegserklärung an Frankreich offizell erst zum 4. August 1914 erfolgte, war wie man sieht, die im hiesigen Grenzgebiet zuständige Zensurstelle in Diedenhofen (Thionville) schon eingerichtet und hat die mit Eilbestellung bezahle Karte (gerade) noch Weiterbeförderung veranlasst. Der Ingenieur Bauer war aber schon ohne Adressangabe abgereist und das war auch nur gut so, denn kurz danach kam es in diesem Raum zu den ersten, bis zum 20. August 1914 dauernden, schweren Gefechten zwischen der deutschen 5. Armee (Kronzprinz von Preussen) und der französischen 3. Armee (General Ruffey). Dabei drang das XVI. Armeekorps (General von Mudra) westlich von Diedenhofen nahe Boulange brückkopfartig vor, während die weiter nördlich liegenden Korps der 5. Armee erst heftigen Gegenangriffen der französischen Truppen ausgesetzt waren.

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/18/5._Armee_August_1914.jpg

    Viele Grüße

    vom Pälzer

  • Guten Morgen,
    Ansichtskarte von Langenargen / Bodensee aufgegeben in Lindau am 3. September 1915 nach Herisau / Schweiz. Dreizeiliger Stempel; Freigegeben! / Milit. Überwachungsstelle / Lindau i. B.

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

    Das Leben ist zu kurz um sich darüber zu ärgern, was andere über dich denken oder sagen

    also hab Spaß und gib ihnen etwas worüber Sie reden können

    scheinbar ist ihnen ihr eigenes Leben zu langweilig

    Einmal editiert, zuletzt von Minimarke (8. November 2024 um 09:23)

  • Guten Morgen,
    Ansichtskarte von Langenargen / Bodensee aufgegeben in Lindau am 3. September 1916 nach Herisau / Schweiz. Dreizeiliger Stempel; Freigegeben! / Milit. Überwachungsstelle / Lindau i. B.

    Hallo Ulrich,

    vielen Dank fürs Zeigen. Ich habe die Postkarte in meinem Archiv aber unter dem 3. September 1915 einsortiert, weil ich den roten Rahmenstempel nur bis Ende 1915 belegt habe. Die 15 im Lindauer Stempel ist auch regelmäßig sehr fett abgeschlagen. 1916 wurde deutlicher gestempelt.

  • Hallo wuerttemberger , Danke für den Hinweis, habs geändert.

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

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    also hab Spaß und gib ihnen etwas worüber Sie reden können

    scheinbar ist ihnen ihr eigenes Leben zu langweilig

  • Brief eines Textilagenten aus Zweibrücken vom 04. JAN 1916 nach St. Gallen.

    Dreizeiliger Rahmenstempel: Prüfungsstelle / des II. ArmeeKorps / Ludwigshafen a. Rh, Vorder- und Rückseitig abgschlagen.

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

    Das Leben ist zu kurz um sich darüber zu ärgern, was andere über dich denken oder sagen

    also hab Spaß und gib ihnen etwas worüber Sie reden können

    scheinbar ist ihnen ihr eigenes Leben zu langweilig

  • Hallo in die Runde,

    unter Bezug auf Thread #247 + #248 möchte ich ein passendes Pendant dazu zeigen.
    Brief von Rothenburg o/T. vom 28. Februar 1916 über die (übliche) Auslandstelle Cöln-Deutz nach Waverly im Bundesstatt Iowa/USA.
    Im Gegensatz zum bereits gezeigten Beleg (siehe unten nochmals), hat der aktuelle Brief einen dreizeiligen Rahmenstempel "Verzögert weil der Inhalt zwei Bogenseiten überschreitet". (die "4" links davon steht wohl für tatsächliche 4 Bogenseiten)

    Wohlgemerkt - im Stempel steht diesmal lediglich "verzögert", also nicht an den Absender zurückgesandt.
    Die Begründung für die unterschiedliche Behandlung durch die Zensur liefert eigentlich der unter #248 von @Württemberger gezeigte Stempel der Stuttgarter Zensurstelle.

    Beste Grüße
    Postgeschichte-Kemser



  • Guten Tag,

    der Beleg kam gestern mit der Lenggrieser Puppenpost auf dem 50. vom Pfalzsammler hier in NW frei Haus vom Chef persönlich. Ein weiteres, durchaus auch ansehliches Beispiel, dass die überrheinischen Zensurstellen je nach Destination offenbar arbeitsteilig unterwegs waren. Die Freigabe für den Geschäftsbrief erfolgte nämlich auch hier durch die Zensurstelle Mainz, das dem Zielort Wiesbaden bekanntlich gegenüberliegt. Erfreulicherweise findet man auf der Rückseite einen Ankunftstempel 20.03.1919 1-2 Uhr Nachmittag. Da am Vortag um 4-5 Uhr Nachmittags in KL aufgegeben, hat es somit trotz Zensurdurchgang kaum eine spürbare Verzögerung gegeben. Portogerecht in der Gebührenperiode vom 1.10.1918 - 1.10.1919 mit 15 Pf für den Fernbrief bis 20 gr und 20 Pf für das Einschreiben. Vielleicht hat man beim Absender bereits gewusst, dass die 2 Pf Werte schon bald keinen Nutzen mehr haben werden und sie damit aufgebraucht.

    Schönen Gruß

    vom Pälzer