Der deutsch-französische Krieg 1870/71

  • Verehrte Sammlerfreunde,


    das Depeschen-Dokument anbei kann mit Sicherheit als historisch bedeutsam bezeichnet werden, Geschichte in absoluter Reinkultur, möglicherweise noch nicht einmal erforscht. Es geht um die Anfangsphase der Belagerung der Festung von Bitche.


    Zunächst noch einmal zur Vergegenwärtigung der damaligen Situation:


    Am Morgen der Schlacht von Woerth-Froeschwiller (6. August) hatte Marschall Mac Mahon dem in der Festung von Bitche einquartierten Kommandeur des V. Armeekorps General Failly befohlen, sich mit dem Gros seiner Truppen Richtung Phillipsbourg, 17 km südöstlich von Bitche zu begeben. Als er an den Talhängen bei Niederbronn-les-Bains Auffangstellung nahm, kamen ihm aber schon die von der verloren gehenden Schlacht flüchtenden Kameraden des I. und VII. Korps entgegen. Da aus nordwestlicher Richtung auch noch der Kanonendonner der Schlacht von Spicheren zu hören war, wusste Failly nicht, wohin er sich wenden sollte. Erst am Abend erfuhr er von den beiden verloren gegangenen Gefechten und zog sich umgehend nach Petit Pierre (Festung Lützelstein) zurück.


    Die Festung von Bitche nahm in der Zwischenzeit zahlreiche Versprengte auf, so dass das dort verbliebene Restkontingent von ca. 1.000 auf bis zu ca. 3.000 Mann anwuchs. Um es in Schach zu halten, wurde in Germersheim eiligst ein Detachement unter dem Kommando des späteren Belagerungskommandanten Oberst Kohlermann, Kommandeur des Königlich Bayerischen 4. Infanterie-Regiments „König Wilhelm von Württemberg“, gebildet. Im Ganzen waren es 1.850 Mann, 112 Pferde, 13 Fahrzeuge und - lediglich - 4 gezogene 12-Pfünder Geschütze. Dieses Detachment traf am 22. August in Niederbronn-les-Bains ein und wurde in der Nacht zum 23. bis dicht vor Bitche vorgezogen.


    Um 5 Uhr wurde das Feuer eröffnet. Mit insgesamt 52 Granaten und 25 Brandgeschossen der wenigen Leichtgeschütze konnte jedoch keinerlei Erfolg bewirkt werden. Um 7 Uhr abends ließ Kohlermann das Feuer einstellen, dennoch über einen Parlamentär die Festung zur Übergabe auffordern. Das wurde von dort aus bekanntlich prompt abgelehnt und ...auch vollkommen zu Recht. Denn im gleichen Atemzug hatte Kohlermann schon seine Ordonnanz zur Telegraphenstation nach Zweibrücken geschickt um folgende Depesche aufzugeben, auf die sich dann wohl ein Hin-und-Her an Rückfragen/-antworten (siehe Bleistiftnotizen unten) ergeben hat:


    - Bahn Depesche -


    Von der Abgangsstation Zweibrücken am 23. August 1870, 9 Uhr 8 Minuten Nachmittags


    An die Direction (Ludwigshafen)

    Nach soeben erhaltener Mittheilung aus dem Bivouarc bei Bitsch, unterzeichnent Oberst Kohlermann, sollen vom 25ten d(ieses Mona)ts circa 2.000 Mann, 100 Pferde, 17 Wagen und Geschütze von hier nach Germersheim mit der Bahn befördert werden. Bitte um weitere Verfügung.

    Golsen


    Rückfrage Ludwigshafen:


    Was sind das für Truppen?


    Antwort Zweibrücken:


    Es sind bayerische Truppen, die - nach Angabe der Ordonnanz - viel zu schwach, nach Germersheim zurückgehen.


    Antwort Ludwigshafen:


    Kann erst Morgen Vormittag bestimmt werden, ob die Truppe am 25ten befördert werden kann


    Dieses Transportgesuch entspricht nahezu exakt dem gesamten, in Germersheim zusammengestellten Detachement des Obersten Kohlermann. Einsehend, dass er ohne bedeutendes Geschützmaterial die noch unter Vauban errichtete Festung nicht auch nur ansatzweise bezwingen würde, zog er sich bei Lengelsheim und Hanviller nahe der Grenze Richtung Hornbach/Zweibrücken zurück. Das war auch dringend notwendig: Am 31. war zwar vom Generalstab Befehl zur vollständigen Einschließung der Festung ergangen, das Detachment aber erst am 5. September ausreichend verstärkt.


    Es waren dann 6.760 Mann Infanterie, 28 Reiter und 24 Geschütze. In der Zwischenzeit waren aber zum 1. und 4. September schon zwei Ausfallversuche der Franzosen erfolgt, um das Detachment Kohlermann zu vertreiben. Das konnte zwar vereitelt werden und die Kenntnis der Niederlage von Sedan wird auf französischer Seite sicherlich auch noch etwas dazu beigetragen haben. Aber all das konnte Kohlermann am 23. August nicht voraussehen und musste zu diesem Zeitpunkt damit rechnen, sich ohne weitere Unterstützung auf einen geordneten Rückzug für andere Verwendungen vorzubereiten.


    Viele Grüße

    vom Pälzer

  • Lieber Tim,


    wieder ein paar kleine Textergänzungen von mir:


    Nach soeben erhaltener Mittheilung aus dem Bivouac bei Bitsch, unterzeichnet Oberst Kohlermann, sollen am 25ten d(ie)s(e)s (Monats) circa ...


    ... ob die Truppe am 25ten befördert werden kann.


    Viele Grüße in die Pfalz

    Gerd

  • Morsche Tim,


    ja, großes Kino - diese Depeschen sind ein Hort an Informationen. :) :)

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Gerd,


    vielen Dank mal wieder, ich habe korrigiert. Jetzt ist alles perfekt!


    Hallo Ralph,


    Vielleicht hat Kohlermann mit der Depesche auf sich aufmerksam machen wollen, denn das Hauptaugenmerk der Armeeführung der III. Armee lag natürlich auf der Verfolgung Mac Mahons. Wenn er so nicht gehandelt hätte, hätte er wahrscheinlich sehr lange auf die notwendige Verstärkung warten müssen, weil ja schon alles eiligst gen Westen am abziehen war.


    LG

    Tim :thumbup:

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • ... Trommeln gehört und gehörte zum Handwerk und Trommeln kommen ja von der Militär-Musik ... Jedenfalls hat er wohl alles richtig gemacht, wie man sieht.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Morschen Ralph,


    erst mal im Vorab; es liegen mir jetzt noch zwei weitere Depeschen vor, nach denen man davon ausgehen kann, dass das Detachment Kohlermann nicht wie in der mir vorliegenden Primärquelle über Niederbronn-les-Bains und das Tal des Falkensteinerbachs nach Bitche vorgerückt ist. So wie das aussieht wurde es schon von Anfang an von Germersheim über Zweibrücken nach Bitche transportiert und muss dann bei Hornbach im Pfälzer Wald über die Grenze gegangen sein.


    Der w.o. avisierte Rückzug wird dann irgendwann von höherer Befehlsgewalt abgeblasen worden sein, weil die Belagerungstruppe ja kurze Zeit später nachweislich sehr deutlich verstärkt worden und bis zum Ende des Krieges dort verblieben ist. Ich bin das noch am auswerten / transcribieren.


    In der Zwischenzeit ein weiterer Beleg, der schon sehr erstaunt, da er zum 26. August, d.h. nach längst erfolgtem Kriegsausbruch immer noch unnötigerweise frankiert worden ist. Der Absender gehörte einer schon 3 Tage vor der Kriegserklärung Frankreichs mobil gemachten Einheit an. Auch wenn er dem Inhalt zu Folge offensichtlich der Ersatztruppe angehörig war, so hatte auch diese zum Zeitpunkt der Aufgabe schon ihren Marschbefehl erhalten und war ausweislich des Aufgabeabschlags Cöln-Bahnhof schon unterwegs zum Einsatz:


    26. August 1870 / Feldpost

    Herrn Venator ???

    auf Altenburg / Station Herbesthal


    Lieber Onkel. Heute Abend um 7 Uhr fahren wir ab, direkt nach Metz. Es geht mir noch sehr gut.

    Ich war bei Schl???ns und habe mir Geld geliehen. Schickt mir bald was nach. Adresse: B. Venator, 2. Rheinisches Infanterieregiment No. 28, 30. Brigade, 15. Division, 8. Armee Corps.

    Schickt mir nicht eher Geld, ehe ich Euch geschrieben habe.

    Grüße alle Altenberger Ber???s und lebet Alle wohl,

    es grüßt und küßt Euch Euer Sohn B. Venator

    Auf Appell geschrieben.


    Interessant ist hier zunächst die Adresse Altenburg / Station Herbesthal. Das liegt heute in der belgischen Gemeinde Lontzen und war bis 1816 dem französischen Département de l’Ourthe zugehörig. Danach war es noch bis 1919 Teil der preußischen Rheinprovinz im Regierungsbezirk Aachen. Die Bahnstation Herbesthal liegt an der Bahnstrecke Lüttich-Aachen, hier wurde 1864 auch ein Anschluss für die Vennbahn eingerichtet.


    Das 2. Rheinische Infanterieregiment No. 28 „von Goeben“ war am 25. Juli ausgerückt und mit der Bahn zum damaligen Endpunkt der Eifelbahn nach Kall befördert worden. Von da ab musste marschiert werden. Am 8. August war die Landesgrenze überschritten, der erste Einsatz erfolgte am 18. August in der dritten Schlacht von Metz bei Gravelotte.


    Die Verluste (einschl. Vermisste und Verwundete) beliefen sich auf 22 Offiziere und 395 Mann. Nachdem die Armée du Rhin des Marschalls Bazaine in Metz eingeschlossen war, bezog das Regiment westlich davon im Raum Rozérieulles Abwehrstellung. Die Ersatztruppe mit dem Absender dabei traf Anfang September ein, sie umfasste der Regimentsgeschichte zu Folge 4 Offiziere, 24 Unteroffiziere und 420 Mannschaften.


    Viele Grüße

    Tim

  • Morsche Tim,


    mach dir um die mit 1 Groschen frankierten Postkarten keinen Kopf - die wurden, wie in Bayern auch, en masse frankiert dem Publikum verkauft und das Publikum hat sie halt verwendet, wenn es Bedarf gab - vor, während und nach dem Krieg.


    "Venator" könnte stimmen - diese Karten wurde leider fast alle undeutlich beschriftet, da kann man halt nichts machen.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Ralph,


    naja, von Masse merke ich da jetzt eher nichts. Es ist zwar richtig, dass die Kartenformulare schon realtiv schnell zur Verfügung gestanden haben, aber nicht fertig frankiert. Von einem solchen "service" habe ich jedenfalls noch nichts gehört, das musste der Absender schon noch selber machen. Venator stimmt, diesen Namen findet man im besagten Raum öfters, hpts. im Zusammenhang mit dem Bergbau. Was mir eher Schwierigkeitemn macht ist das Wort in der zweiten Adresszeile.


    Schönen Gruß

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo Tim,


    wie in Bayern jeder Stadt- und Landbriefträger vorfrankierte Correspondenz- bzw. Postkarten stets mit sich zu führen und dem Publikum zu verkaufen hatte, war es im NDB genauso - die Masse der Karten waren vorfrankiert und wurden von den Kunden bei Bedarf dem Briefträger abgekauft, wenn der an der Türe stand. Und mit Masse meine ich Hunderttausende, jedes Jahr ...

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • ...sehe ich noch nirgends irgendwo bewiesen und deswegen definitiv anders, aber egal.


    Schönen Gruß

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • ... schau mal in den Bestimmungen bei der Einführung der Correspondenz-Postkarten, da steht das alles. Müsste sogar bei Peter Sem stehen ...

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Lieber Ralph,


    was soll mir das denn alles sagen:


    Ich kann hier nicht darüber spekulkieren, ob nach Verausgabung der Correspondenzkarten im NDP die dortige Post schon am Schalter fertig mit Freimarken beklebte davon verkauft hat. Wenn Du dazu eine VO auch aus Bayern hast, die das klar belegt, bitte dann zeige Du sie mir. Vielleicht war es so und der eine oder andere hat sie in der Tat mit auf den Marsch gen Feindesland genommen. Ich stelle hier aber nichts in den Raum, ich stelle lediglich fest, dass sowohl im NDP als auch in Bayern jeder Combattant früh genug mitbekommen hat können, dass Feldpost portofrei ist und es dafür von Anfang an schon die unfrankierten Feldpostkarten bei den Postämtern zu kaufen gab, siehe Anhänge. Wenn Du eine VO zu den bayerischen Corresponzenkarten hast, die das Angebot der Bayernpost von mit Freimarken vorfrankierten Karten bestätigt: Wo ist dann die "Masse" von Belegen für Feldpostzwecke unnötig vorfrankierter Bayern-Correspondenzkarten aus dem deutsch-französischen Krieg ? Ich sehe diese angeblichen Massen jedenfalls auch vom NDP nicht.


    Schönen Gruß

    Tim

  • Lieber Gerd,


    man kann bei den ganz harten Nüssen auf kaum einen mehr zählen als auf Dich, das könnte ja auch mit meinen bisherigen Recherchen zusammenpassen, da wird er wohl Bergbauingenieur gewesen sein. Das andere ist ja so wichtig nicht, Hauptsache die Adresse ist jetzt komplett.


    Herzlichen Dank

    Tim :thumbup:

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo Tim,


    zu # 1.253 hier die bayer. Verordnung, die sich mit denen der anderen Länder, die genannt sind, wohl weitestgehend deckt.

    Darin liest du auf S. 334 unter dem Vordruck, dass diese Karten frankiert den Briefträger zum Verkauf an die Kunden mitgegeben wurden, natürlich auch an Soldaten und deren Angehörige.

  • Moje Ralph,


    danke für die Bestätigung, dass das jedoch der Grund für massenweise Verwendung frankierter Correspondenzkarten aus dem Feld gewesen sein soll, wenn zugleich schon wie w.o. dargelegt die Portofreiheit bestand und die dazu gehörigen Formulare zu beziehen waren, halte ich weiterhin für abwegig. Es sind Einzelfälle, deren konkreter Hergang nicht mit pauschalen Einordnungen rekonstruierbar ist. Aus der VO geht in meinen Augen auch nicht grad sonnenklar hervor, dass die Post Karten vorfrankiert hat, da steht, dass sie dafüt genügend Briefmarken vorrätig zu haben hatte.


    Schönen Gruss

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    Einmal editiert, zuletzt von Pälzer ()

  • Hallo Tim,


    lies dir einfach 1) auf der Correspondenzkarte durch; da steht, dass sie mit aufgeklebten Marken verausgabt wurden, sonst nur für 50 Stück zu 9x ohne Marken. Und wer wollte schon 50 Karten kaufen für 9x kaufen, wenn er ein Soldat war, der nicht wußte, ob er morgen noch lebt?

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Tim,


    lies dir einfach 1) auf der Correspondenzkarte durch; da steht, dass sie mit aufgeklebten Marken verausgabt wurden, sonst nur für 50 Stück zu 9x ohne Marken. Und wer wollte schon 50 Karten kaufen für 9x kaufen, wenn er ein Soldat war, der nicht wußte, ob er morgen noch lebt?

    Na bitte, dann kann es ja auch nicht massenhaft passiert sein. Ich habe ja w.o. auch schon dargelegt, dass auch längst das für die Feldpost vorgesehene Kartenmaterial zum günstigen Preis vorrätig war. Dass ein Soldat aus Unwissenheit noch frankiert hat oder frankierte mitgenomnen hat, ist nicht bestritten, aber das diebezüglich massenhaft unterstellte. Gerade aus Bayern ist derartiges nicht ersichtlich.


    Schönen Gruss

    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo Tim,


    ich hatte das massenhaft auch nicht auf Bayern (allein) beschränkt, da du ja eine vorfrankierte Karte des NDP gezeigt hast und eben diese vorfrankierten Karten in der Anlaufphase des Krieges m. E. Standard waren. Das ist schon alles.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.