Forwarded bis Brody

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Freunde,


    in den ersten Jahrzehnten des 19. Jhdts. findet man viele Briefe aus Süd-Russland, die bis Brody forwarded und dort erst an die österreichische Post übergeben wurden. Man könnte vermuten, dass die russische Postorganisation dort "unten", weit weg von den Hauptkursen über Petersburg und Moskau, nicht gut organisiert war, so dass man oft (regelmäßig?) zur Selbsthilfe griff.


    Der folgende Brief wurde 1829 in Kremenets, Ukraine, geschrieben, aber erst in Brody der österreichischen Post übergeben.
    Adressiert war er nach Paris. Ausweislich des Stempels Autriche P. Huningue wurde er über die Schweiz nach Frankreich geleitet.
    Welches österreichische Grenzpostamt kommt hier in Frage?



    Leider kenne ich die österreichisch-französischen Gegebenheiten nicht gut und bitte daher um Hilfe. Das Rötelkreuz zeigt an, dass der Brief anscheinend bis zur französischen Grenze bezahlt war. Die rückseitige Rötelnotierung (nur eine Taxe, eigentlich müsste für den Transitanteil eine 2. zu finden sein). kann man als 12 oder 14 oder auch als 21 Kr.CM lesen !??
    Das französische Porto wurde mit 23 Déc. angesetzt. Hier finde ich keine Relation zu einem französischen Inlandstarif. Huningue-Paris 411 km ergäben für einen einfachen Brief 8 Déc. - von da komme ich nicht auf 23 ... Wurde hier ein besonderer Tarif, evtl. mit einem Transitanteil, angesetzt?


    Woher stammt der schwarze Stempel L.A. (Lettre Autriche)? Im vdL-Katalog habe ich ihn erstaunlicherweise nicht gefunden ...


    Das rückseitige Siegel zeigt das russische Staatswappen, umgeben von SIGILLUM HORTI ?TANIEL LYCAEI VOLHYII
    Kann jemand etwas damit anfangen?



    Würde mich freuen, wenn das eine oder andere Puzzlestück richtig gerückt werden könnte. :)


    Gruß
    Michael

  • Lieber Michael,


    hinten sehe ich 14 Kr. CM - der klassische, einfache 1/2 Wiener Loth schwere Brief. Das bekam man wohl von Russland vergütet.


    Die 23 Dec. sollten die Kosten für den Schweiztransit und Frankreich sein, wobei der Brief dort 1,5fach gewesen sein könnte (15 Dec. x 1,5 = 22,5 gerundet 23 Dec.).


    Ich meine Kartenschlusamt war Bregenz / St. Louis - Hüningen. Aber ich bin da nur Laie und hoffe auf unsere Frankreich - Kenner.

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Michael,


    ich bin zwar kein Frankreich-Kenner. Mir liegt aber der Postvertrag Frankreich-Österreich von 1825 vor.
    Danach gab es 2 direkte Paketschlüsse mit Paris, nämlich von Wien und Bregenz. Bei diesem Brief würde ich zu Wien tendieren. Lt. Van der Linden wurde der Autriche P. Huningue in Paris abgeschlagen.
    Frankreich bezahlte an Österreich für 30 g Briefe 18 Dec. Dieser Brief muss zwischen 7,5 und 10 g schwer gewesen sein.
    Das Porto in Frankreich von 23 Dec. setzt sich zusammen wie bayern klassisch bereits geschrieben hat, aus dem "ausländischen Porto" von 7 Dec. + 8 Dec. franz. Inlandsporto (bis 500 km, Tarif von 1828 ) = 15 Dec. x 1,5 = 22,5 = 23 Dec.


    Grüsse von liball

    • Offizieller Beitrag

    Hallo zusammen,


    vielen Dank für die hilfreichen Infos!

    Zitat

    Das bekam man wohl von Russland vergütet.

    kleine Korrektur: Der Brief stammt zwar aus Russland, wurde aber erst in Brody der Post übergeben und dort zahlte man die 14 Kr.CM.


    Kann noch jemand etwas zu dem Stempel L.A. sagen? Es müsste sich um einen österreichischen Postvertragsstempel handeln. Bin noch immer verwundert, dass ich ihn nicht im van der Linden gefunden habe ... So selten ist er ja nun nicht.


    Gruß
    Michael

  • Hallo Michael,


    dieser Stempel hat seinen Ursprung in den Verträgen mit Frankreich. Demzufolge ist es ein österreichischer Postvertragsstempel. Für Briefe mit L.A. (Lettre Autrichienne) bezahlte Frankreich an Österreich je 30 g 18 Dec. Abgeschlagen wurde er bei deinem Brief in Wien.
    Es gibt weitere derartige Stempel, wie A.T. (Autriche Transit), hier bezahlte Frankreich an Österreich je 30 g 36 Dec., bei L.I. (Lettre Italienne) waren es 18 Dec. und bei T.I. (Transit Italie) waren es 36 Dec.


    Grüsse von liball

  • Hallo Michael,


    noch ein vielleicht interessanter Hinweis auf einen Artikel von Hansuli Sieber im PgA 105 zum Thema Österreich-Frankreich (allerdings zum vorherigen Postvertrag aber mit vielen lohnenden Abbildungen und weiteren Erklärungen).


    Das Siegel würde ich forgendermassen lesen :
    Sigillum horti botanici lycaii volhyni


    Siegel des botanischen Gartens von Lycai (???) in Wolhynien (Grenzgouvernement).


    Mir stellt sich nun die Frage ob dieser Brief nicht vielleicht innerhalb Russlands portofrei war, worauf auch die vorderseitigen Nummern, oder wenigstens eine der beiden hinweisen könnten. Es wäre je eher ungewöhnlich dass eine staatliche Stelle eine Forwarding Agenten benutzt, oder ? Natürlich ist auf den Beleg kein russischer Stempel ...


    Herzliche Grüsse,
    Simmerer

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Simmerer,


    danke für den Literaturhinweis. Schlecht, wenn man den Überblick verliert, was alles im eigenen Regal steht. ;)


    Deine Interpretation des Siegels ist gut. Das vorletzte Wort soll sicherlich ein Lyzeum beschreiben, damit ist es schlüssig.


    An eine Aufgabe in Russland mag ich nicht so recht glauben. Die vorderseitigen Nummern haben beide ein N vorangestellt, was ich so bei Kartierungsnummern nicht kenne.
    Wie ich eingangs schon schrieb, gibt es auffällig viele Briefe aus jenen Jahren, die anscheinend erst in Brody aufgegeben wurden. Da in dieser Zeit auch die südrussischen Orte schon Stempel hatten, sollte man zumindest hin und wieder auch einen entsprechenden Abschlag finden, wenn man von einer Aufgabe bei der russischen Post ausgeht.
    Dies sind jetzt allerdings nur Beobachtungen von Auktionslosen bzw. ebay-Angeboten; Briefe über Österreich gehören nicht primär zu meinem Sammelgebiet.


    Gruß
    Michael

  • Hallo Michael,


    Es scheint tatsächlich es gab in Kremenets ein wichtiges Lyzeum inmitten des botanischen Gartens, weswegen die Stadt auch das Athen Wolhyniens genannt wurde. Insofern ist das vielleicht die Auflösung.


    https://en.wikipedia.org/wiki/Krzemieniec_Lyceum


    https://en.wikipedia.org/wiki/Kremenets_Botanical_Garden


    Der Empfänger war unter Umständen auch nicht ganz unbekannt :


    https://de.wikipedia.org/wiki/…exandre_Auguste_Chevrolat


    Natürlich ist es bemerkenswert, dass sich auf dem Brief kein erkennbarer Stempel befindet. Es erscheint mir jedoch merkwürdig dass ein Beleg mit Staatswappen im Siegel nicht mit der Post transportiert worden wäre. Aber es ist natürlich möglich, da es zu der Zeit sicherlich in der Gegend etwas schwieriger war.


    Herzliche Grüsse,
    Simmerer

    Einmal editiert, zuletzt von Simmerer ()

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Simmerer,


    noch besser: der Schreiber war Direktor des Botanischen Garten und Lehrer am Lyzeum



    Bresser


    Jetzt muss ich noch jemanden finden, der mir den französischen Inhalt übersetzt, dann ist die Social Philately - Geschichte perfekt.


    Gruß
    Michael

  • Hallo Michael,


    Wenn Du Scans einstellen kannst, sehe ich mir das gerne an.


    Der Geschichte des Lyzeums nach zu urteilen, fast schon ein Stück für ein Museum.


    Herzliche Grüsse,
    Simmerer