Russland - Bayern ab 1871

  • Wolsk - München 18.02.1918


    Hallo zusammen,


    zunächst kurze Anregung an den admin: Ich denke es ist angesichts der bereits vier vorhandenen Russland-threads an der Zeit eine Zusammenführung in einem Ordner unter Europa zu gestalten. Jedenfalls passt der nachstehende Beleg zu keinem der bisher eröffneten Russland-threads. Um was geht es bei dieser Ganzsachen-Auslandspostkarte nun ?


    Sie lief im Februar 1918 - korrekt - auf 12 Kopeken auffrankiert von Wolsk an der Wolga (Verwaltungsbezirk Saratow) nach München. Neben dem Kriegszensurstempel der Postüberwachungsstelle Königsberg auf dem ersten Blick nicht unbedingt etwas besonderes auf dem zweiten schon eher. Warum ?


    Die Februarrevolution des Jahres 1917 hatte zwar zur Abdankung von Zar Nikolaus II geführt, die provisorische Regierung Kerenski konnte sich jedoch nicht dazu entschließen in Friedenverhandlungen mit dem Deutschen Reich und den Mittelmächten einzutreten. In der Nacht der Oktoberrevolution vom 25. auf den 26.10.1917 stürmten auf das Kanonenschuss-Signal des Panzerkreuzeres Aurora tausende Rotgaristen das Winterpalais in St. Petersburg, das der Regierung Kerenski als Sitz gedient hatte.


    Unter Trotzkis Kommando wurden die Mitglieder der Regierung verhaftet, Kerenski musste nach Frankreich ins Exil. Ein eilig zusammen gerufener "allrussischer Sowjetkongress" beschloss neben der Enteignung der Grundbesitzer nun auch die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit der deutschen Regierung.


    In dem von deutscher Seite her am 15.12.1917 durch Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern in Brest Litowsk unterzeichneten Waffenstillstandsabkommen eröffnete Art. IV Abs. 2 zur Entwicklung und Befestigung freundschaftlicher Beziehungen der Vertragsstaaten den Austausch von Nachrichten und Zeitungen. Auch offene Briefe konnten der Beförderung übergeben werden. Das währte jedoch nicht lange.


    Bereits am 28.11.1917 hatte Estland seine Unabhängigkeit erklärt. Elf Tage später wurde der estnische Landtag auf Veranlassung des bolschewistischen Kriegs-Revolutionskomitees gewaltsam aufgelöst. Daraufhin leitete die kaiserliche deutsche Armee am 18.02.1918 eine neue Großoffensive gegen Russland ein, was zur Besetzung Estlands und schlagartig zum Abbruch des grenzüberschreitenden Postverkehrs führte.


    An diesem Tag wurde der o.a. Beleg verfasst ! Erst Anlage 2 zu Art. XI des am 03.03.1918 - wiederum - in Brest Litowsk geschlossenen Friedensvertrages wurde die Wiederaufnahme des grenzüberschreitenden Postverkehrs festgelegt, was letztendlich zum 04.06.1918 auch eintrat.


    Schönen Gruß


    vom Pälzer

  • Hallo Pälzer,


    eine semiklassische, eierlegende Wollmilchsau in 3 Akten, ähh Farben. :P^^


    Danke für die Einführung - auf der Aurora war ich letztes Jahr; sie liegt immer noch in St. Petersburg im Hafen und kann besichtigt werden.


    Wenn wir jetzt noch wüssten, was man wichtiges zu schreiben hatte, wäre es perfekt.


    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo zusammen,


    zunächst meinen herzlichen Dank an die Forenleitung bzgl. der Neuordnung der Russland-Themen, erleichtert die Orientierung so ungemein.


    eine semiklassische, eierlegende Wollmilchsau


    ...das sehe ich bei dem o.a. Beleg auch so...nur leider, leider keine Pfalz-Destination :evil: Aber man kann eben nun nicht alles haben...bzw. ich immerhin noch mit einer 4 Kopeken Standart-IM-Postkarte aus Gnadenfeld (Ukraine) nach Kaiserslautern aufwarten. Geschichte spielt auch in diesem Zusammenhang eine recht große Rolle, vorliegend die sog. Schwarzmeerdeutschen.


    Hierzu werden jene deutschen Auswanderer gezählt, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts nördlich des Schwarzen Meeres zwischen den Flüssen Bug und Dnister niedergelassen haben. Das südrussische Gebiet hatte Zarin Katharina II. die Große im Verlauf zweier Kriege mit dem Osmanischen Reich (1768–1774) und der Annexion des Krimkhanats (1783) für das Russische Reich hinzugewinnen können.


    Die ersten - von Zar Alexander I. gerufenen - Auswanderer aus dem deutschen Südwesten (Württemberg, Baden, Elsass, Lothringen, Pfalz) trafen im Jahre 1803 ein. Gnadenfeld ist ein etwas später im Jahre 1835 von rd. 40 deutsch-mennonitischen Auswanderfamilien gegründetes Dorf in der damaligen russischen Provinz Taurien* im Kolonienbezirk Glückstal.


    Absender der nachstehend auf 4 Kopeken auffrankierten Auslandspostkarte war der Musiklehrer der Gnadenfelder Mädchenschule und Kirchenorganist Johann Gustav Rempel*, welcher die Möbelfabrik Nikolaus Eckel im pfälzischen Kaiserslautern um einen Preiscourant (Zusammenstellung von Warenpreisen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes) hier für Kehlleisten ersuchte. Für damalige Fernabsatzverhältnisse über die Distanz ca. 2.200 km ein recht respektables Unterfangen.


    Schönen Gruß


    vom Pälzer


    *vgl. http://www.gameo.org/encyclope…chna_mennonite_settlement
    *vgl. http://calmenno.org/bulletin/fall06.pdf

  • Hallo Pälzer,


    schöne Sophie - aus Russland in die Pfalz gibt es nicht viel - ins rechtsrheinische Bayern kann man den Faktor 20 oder 30 ansetzen.


    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Pälzer,


    DS von Bayern nach Russland sind schon selten (da kannst du Michael fragen). ;)


    DS von Russland nach Bayern sind sehr selten. In die Pfalz habe ich noch keine andere gesehen. Toll! :P


    Jetzt noch das Gegenstück in die Sammlung und die Seite steht.


    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo bk,


    ich werde mich bemühen, darauf ist Verlass ! Zwischenzeitlich noch ein "Normalbrief" zu 10 Kopeken aus der nach der Kaiserin Katharina I benannten Großstadt am Uralgebirge. Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei dem rückseitigen Kastenstempel um den einer dort ansässigen Firma, jedoch Vergebung: Meine Übersetzungsfähigkeiten tendieren diesbezüglich leider gegen Null.


    Sorry + Gruß !


    vom Pälzer ;)

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Freunde


    Wie Pälzer will ich was russisches zeigen :)


    Eine Karte aus Rjazsjk in Russland nach Schmalhof damals bei, jetzt in Vilshofen. 1898 abgeschickt an der Gärtner Fürst der etwas berühmt war ;)


    Viele Grüsse
    Nils

  • Hallo Nils,


    Klasse Poka ! Klasse Sophy ! :thumbup:


    Aber bitte, bitte tu` mir noch den Gefallen und richte den Eckzahn der so schön grünen 2 Kop-Marke wieder auf. ^^


    + Gruß ! ;)


    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Pälzer


    Ein Zweiten nach dieser Gegend habe ich auch. Jetzt von Mitau an Verlag der Frauendorfer Blätter im Jahr 1893 geschickt. Diesmal mit ein bezahlter Rückantwort, die leider nicht benutzt war.


    Interessant ist dass der Redakteur der Frauendorfer Blätter Eugen Fürst hiess. Ob es der Bruder von Albert Fürst (vorige Karte) weiss ich nicht.


    Aber die Verwandtschaft hier ist sicher
    http://www.gartenkunst-im-pass…nn-evangelist-fuerst.html



    Nenn es nicht sophy - es ist normaler Geschichte ;)


    Viele Grüsse
    Nils

  • Hallo Nils,


    mit echt gelaufenen Rückantwortteil wäre es natürlich der Hit, aber das sieht auch so ganz schön aus.


    Die Rechereche der (Kurz-)Biographie/(Kurz-)Historie zum Absender/Adressaten eines postalischen Belegs gehört für mich zur eindeutig zur Sophy, soweit man es zu dessen Beschreibung verwendet.


    ...hatten wir glaube ich aber schon an anderer Stelle ausgetauscht.


    Gruß ! ;)


    Tim

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    Einmal editiert, zuletzt von Pälzer ()

  • Liebe Freunde,


    pfundweise wird hier keiner mit Briefen aus Russland über Lübeck nach Bayern in der VMZ überschüttet werden, aber ansatzweise darf ich mal einen Brief hier einstellen.


    Der Beihilfe der Portohinterziehung dringend verdächtig war R. W. von Husen ("in Mitcommission").


    Geschrieben wurde er am 9.2.1837 in Reval / Russland, jedoch nicht dort zur Post gegeben, sondern über Preußen geschmuggelt und erst am 3.3.1837 (also 4 Wochen später!) als einfacher Portobrief beim fürstlichen TT - Oberpostamt in Vorlage gebracht. Dort taxierte man ihn mit 22x, was eine erstaunliche Leistung gewesen sein dürfte, denn in Lübeck dürfte das verschlafene Mittenwald an der Isar sicher kein üblicher Zielort gewesen sein.


    Bayern brachte daher auf der Rötel nur noch seinen Auslagestempel an und taxiert ihn mit 16x, die ganz schwach in "... wald" zu sehen sind. Eine Addition beider Porti fand sichtbar nicht statt - hoffen wir mal, dass man die dünnen 16x für Bayern überhaupt dort gesehen hat, denn der Mittenwalder Expeditor war einer der faulsten von ganz Bayern.


    Liebe Grüsse von bayern klassisch

  • Hallo bk,


    finde ich bei den Vorphilabelegen immer interessant, dass man bei länderübergreifenden Briefen ohne Angabe der Währung am Aufgabeort mal in der eigenen taxierte, manchmal schon in jener des Empfangsortes.


    Das macht die Sache für Einsteiger in die Materie nicht gerade einfach, aber andersrum wär`s ja auch langweilig ^^ Kann man eigentlich auch eine Einschätzung treffen, was der Absender durch den "Schmuggel-coup" letztendlich eingespart hat ?


    Ganz regulär gelaufen ist der nachstehende Brief deutlich jüngeren Datums. Die Besonderheit: Ein von 7 Kop mit einer 3 Kop-Marke auffrankierte Ganzsache. Jene lief ins pfälzische Hauptstuhl, einem Örtchen am Rande des Pfälzer Waldes im westlichen Teil des Landkreises Kaiserslautern.


    Da meine russisch- bzw. kyrillisch-Kenntnisse praktisch gegen Null tendieren, habe ich mit der Bestimmung des Aufgabeorts so meine liebe Not, vielleicht kann jemand anhand des nachstehend abgebildeten Stempeldetails nähere Informationen dazu liefen; wäre sehr dankbar dafür.


    + Gruß


    vom Pälzer

  • Hallo Pälzer,


    die Ersparnis könnte wohl nur Michael ausrechnen. Es dürfte sich aber um einen Betrag in Höhe von 20 bis 30 Kreuzern gehandelt haben.


    Dein Schmuckstück ist aber auch nicht von schlechten Eltern. :P


    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




    • Offizieller Beitrag

    Hallo zusammen,


    die Ersparnis für den Forwarder-Brief via Lübeck war noch deutlich größer.
    Laut Memel-Taxa kostete ein Brief ab russischer Grenze nach Mittenwald an der Isar (ja, der Ort steht in der Taxliste drin ! :D ) 369 Kupferkopeken.
    Das entspricht ca. 20 1/2 Sgr, dazu käme dann noch das russische Inlandsporto.


    Den Aufgabestempel auf Pälzers Karte würde ich als das estnische Weissenstein identifizieren.


    Viele Grüße
    Michael

  • Lieber Michael,


    vielen Dank für die präzise Angabe - ich hätte nicht gedacht, dass man so weit weg von Bayern einen unbedeutenden Ort im Taxverzeichnis findet. Bei DER Ersparnis wundert es mich nicht, dass man den Unterschleif so eifrig betrieb, weil die Differenz ja ein kleines Vermögen war.


    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph



    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.




  • Hallo Sammlerfreunde,


    nun also auch einmal der erste Moskauer in der Pfalz-Sammlung. Bitte um Verständnis, dass ich mir jetzt nicht die Mühe gemacht habe, das in Minischrift auf französisch niedergeschriebene auf der Rückseite zu übersetzen.


    Dafür konnte dem oben links aufgestempelten Hotel-Namen Billo weiter auf den Grund gegangen werden. Es soll sich in der Bolshaya Lubyanka befinden, eine in Richtung Nordost verlaufende Radialstraße, welche nicht unweit vom Kreml ihren Ausgangspunkt hat.


    Schönen Gruß


    vom Pälzer

  • Hallo,


    noch ein wenig ausgepumpt von der Recherche des Aufgabeorts, aber nichts desto trotz sehr erfreut über das nachstehende Streifband hierzu ein paar Ausführungen. Yuzowka (Юзовка) wurde im Jahre 1869 als neue Stadt während der Zarenzeit in der damaligen Provinz Ekaterinoslav (Екатериносла́вская) nicht unweit des Schwarzen Meeres gegründet.


    Gründer im eigentlichen Sinne war der wallisische Ingenieur und Geschäftsmann John Hughes (1814-1889), welcher von der russischen Regierung den Auftrag erhalten hatte, den vor der Hauptstadt Sankt Petersburg auf der Ostseeinsel Kotlin liegenden Marinestützpunkt Kronstadt schwer zu befestigen.


    Hierzu errichtete er mit seiner Millwall Iron Works Company 1869 im Stadtgebiet des heutigen Donezk (Ukraine) eine metallurgische Fabrik, welche sich den Reichtum des Donbass-Kohlreviers zu nutze machte. Um das Werk entwickelte sich rasch eine Siedlung, die nach Hughes Hughesovka genannt wurde (damalige aussprachenahe Schreibweise auch Jusowka, Juzovka, Jousoffka).


    Um die Jahrhundertwende hatte sich bereits etwa 50.000 Einwohner angesiedelt. 1917 wurde Yuzovka zur Stadt erhoben und 1924 in Stalino umbenannt. Im II. WK wurde die Stadt fast vollständig zerstört. Nach der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 gehört Donezk zur unabhängigen Ukraine, sein Wahrzeichen ist und bleibt der Bergmann.


    Schönen Gruß


    vom Pälzer

  • ...und auch ein Einschreiben soll nicht fehlen: 10 Kop für den Auslands-Normalbrief und 10 Kop für die Recommendation, hier in der Kombination aus Ganzsache und rückseitig u.a. für Verschlusszwecke verklebter Auffrankatur.


    Empfänger ist die Kunstwollfabrik Kuhn & Adler in Ludwigshafen a.Rh., über den Absender in Lodz konnte bislang nur eine Agentur-Tätigkeit ermittelt werden, welche dann vermutlich kaufmännischer Art war.


    So wie der Ankunftsabschlag ausschaut, war das Ludwigshafener Stempelgerät wohl gerade erst neu zum Einsatz gekommen, klarer wird`s wohl kaum noch gehen.


    + Gruß


    vom Pälzer